Martin Suter
Eine große Liebesgeschichte
von Stefan Sell
19. Mai 2023
Martin Suter erzählt in seinem Roman »Melody« von dem Alt-Nationalrat Dr. Stotz und dessen Verlobter Melody, die vor 40 Jahren kurz vor den Hochzeit verschwand.
Tom Elmer, 30, taufrischer Jurist mit zwei Masterabschlüssen bewirbt sich nach vergeblicher Arbeitssuche auf eine Anzeige, die sein Leben verändern wird. Kaum hat er den Zuschlag, erliegt er trotz anfänglicher Skepsis dem Charme und den ausgefeilten Verführungskünsten seines neuen Arbeitgebers Dr. Peter Stotz. Stotz zählt zu den Reichen, ein erfolgsverwöhnter Unternehmer, dessen Leben sich dem Ende neigt. Als schillernde Persönlichkeit der Zürcher High Society hat er es bis zum Nationalrat gebracht. Seine Stärke war und ist, im Spiel um die Macht die Strippen zu ziehen, er gilt als Königsmacher. Stolz residiert Stotz in einer prunkvollen Villa mit einigem Dienstpersonal und holt sich Tom als Verwalter seines ideellen wie materiellen Nachlasses ins Haus. Wenn er nun sein Leben Revue passieren lässt, soll Tom diesen Rückblick elegant modellieren und salonfähig machen. Damit das in seinem Sinne verläuft, hat Tom immer um ihn zu sein, Zeit für die Papiere am Schreibtisch bleibt da wenig.
Im Zentrum steht eine große Liebesgeschichte, groß, weil sie mehr von der Distanz als von der Nähe zueinander erzählt. Die aus Marokko stammende Tarana, genannt Melody, war Stotzs Ein und Alles, verliebt, verlobt und doch kurz vor der Hochzeit auf mysteriöse Weise verschwunden. Kein Tag vergeht, an dem Stotz nicht von ihr schwärmt und sich in Erinnerungen an sie ergeht. Auf selbst gemalten Portraits verewigt ist sie im Haus omnipräsent.
Martin Suter hat den Bogen raus. Er erzählt so fantastisch, dass einem bei jeder kulinarischen Köstlichkeit das Wasser im Munde zusammenläuft, jeder edle Tropfen will vom Leser selbst verkostet werden, und gerne wäre man auf den exotischen Reisen dabei und möchte auch in den teuersten Hotels verweilen. Äußerst geschickt behält Suter alle ausgelegten Fäden seiner Geschichte in der Hand und verknüpft sie gekonnt mit immer neuen Wendungen. Das macht Lesefreude pur.
Bis zum Schluss bleibt keine Frage offen und doch stellen sich welche: Was bewegte Suter, sein Sujet hingebungsvoll dem Wesen und Denken einer privilegierten, sich elitär verhaltenden Persönlichkeit anzudienen? Scheint sich für Stotz alles um Meldody zu drehen, ist und bleibt er Dreh- und Angelpunkt des Romans. Zuviel ist die Rede von teuren Luxuskarosserien, die in der Garage auf Abruf warten, wie überhaupt alles, was er besitzt einfach nur erlesen und teuer ist.
So farbenprächtig Stotzs Besitz und Machenschaften beschrieben werden, so schwarz-weiß skizziert bleibt der kulturelle Hintergrund der marokkanischen Geliebten, deren Familie „streng gläubig” dem Islam zugewandt ist. Zielte Suter darauf, ein Hoch auf die ungleiche Vermögensverteilung anzustimmen, den Leser dafür zu begeistern, wie sich Menschen über alles hinwegsetzen können, wenn sie Status und Geld haben, oder dachte Suter seinen Roman einem Fossil zu widmen, mit dem diese Welt nicht mehr zu retten ist?
Die Lesereise von Martin Suter zu seinem Roman Melody musste aufgrund des Todes von Suters Ehefrau am 9. Mai 2023 verschoben werden. Neue Termine werden bekanntgegeben: www.martin-suter.com