Max Raabe
Reime sind so schön absurd
von Antoinette Schmelter-Kaiser
17. November 2017
Er liebt Doppeldeutigkeit und Ironie, Reime und neue Orte. Aktuell beweist Bariton Max Raabe außerdem, dass er ein echter Teamplayer ist.
CRESCENDO: Ihr neues Album „Der perfekte Moment“ ist in Zusammenarbeit mit mehreren Textern, Komponisten und Musikern entstanden. Wie lief das ab?
Max Raabe: Wahnsinnig kompliziert war nur die Terminfindung. Ich bin permanent auf Tournee. Wenn ich zurückkomme, ist es nicht so, dass die anderen Zeit hätten. Deshalb haben wir Monate vorher Termine klargemacht, die sakrosankt im Kalender standen. Wir hatten dann jeweils ein, zwei Tage eingeplant. Die bedeuteten intensive Arbeit, waren aber auch immer sehr lustig und angenehm.
Gab es dafür einen bestimmten Ort, ein besonderes Ambiente?
Mit Annette Humpe saß ich einfach samt Notizblock am Küchentisch, wo zuerst die Inhalte der Texte besprochen wurden. Mit Achim Hagemann ging es direkt ans Klavier oder den Computer, um zu überlegen, wie eine musikalische Phrase aussehen könnte. Mit den Kollegen von Rosenstolz wurde im Studio gearbeitet. Dort überlegte sich Daniel Faust am Computer, mit der Gitarre oder am Klavier irgendwelche Layouts, während ich mit Peter Plate und Ulf Leo Sommer an den Texten weiterschraubte. Danach konnte ich vors Mikrofon treten und die ersten Sachen aufnehmen. Es war für mich unheimlich spannend zu sehen, wie unterschiedlich Leute vorgehen. Die Arbeit im Team ist viel beglückender für mich, als allein zu Hause zu sitzen und mir was auszudenken.
Warum ist das so?
Ich habe immer eine sehr kritische Einstellung meiner Arbeit gegenüber, finde alle meine Ideen erst mal Käse. Wenn aber die anderen sagen „Das ist gut, lass uns das nehmen!“, finde ich das großartig. So bleiben Dinge hängen, die ich vielleicht gar nicht erkannt hätte. Es passiert aber genauso oft, dass jemand sagt: „Das klingt nicht gut.“ Oder: „Das kann man so heute nicht mehr ausdrücken“, um mit den Worten von Annette zu sprechen. Dann bin ich der erste, der sagt: „Ab damit in die Tonne!“
Inwiefern sind Sie sich treu geblieben, was hat sich auf dem neuen Album verändert?
Ich wollte nicht auf der Ebene weitermachen, dass meine Lieder nach den 20er- und 30er-Jahren klingen und nur durch die Texte ein Bezug zur Gegenwart hergestellt werden kann. Deshalb musste das musikalische Fundament heutig und poppig sein – nicht extrem und aufdringlich, aber Raabe-Pop. Die ersten Layouts von Rosenstolz waren schon heftiger und hatten richtig Druck. Aber dann haben sie die immer mehr entschärft und erkannt, dass die Beats keine Konkurrenz zu meinem erzählerischen Ton sein dürfen.
Ist es Ihnen wichtig, dass Worte kein bloßes Beiwerk zur Musik sind?
Ich habe Freude an Texten. Vor allem, wenn ich auf der Bühne stehe, will ich, dass jeder jede Nuance, jede Silbe, jedes Wort richtig versteht.
Wie viel Max Raabe steckt in den Themen der neuen Lieder?
Ehrlich gesagt sind viele gar nicht von mir, sondern entstanden im Zusammensitzen mit den unterschiedlichen Leuten. Ich wäre zum Beispiel nicht so schnell auf die Idee gekommen, ein Stück übers Fahrradfahren zu machen – obwohl das für mich naheliegend ist, weil ich ständig durch Berlin radele.
Typisch für Ihre Texte sind viele Reime. Erleichtert Ihnen diese Technik das Schreiben?
Für mich gibt es keine Alternative. So macht mir das Texten und Singen viel mehr Freude. Reime sind einfach lustiger. Außerdem kommen so Absurditäten zustande, die keinen Inhalt wiedergeben, sondern eine Überraschung darstellen.
Es gibt aber auch ein sehr ernsthaftes Stück: Willst Du bei mir bleiben.
Ich bin ein großer Freund der Doppeldeutigkeit und Ironie, aber ich kann auch anders. Für Willst Du bei mir bleiben haben Annette Humpe und ich uns gefragt, wie man als moderner Mensch mit schlichtem Vokabular sagen kann „Ja, ich will“. Bei diesem Lied soll man innerlich schreiten.
Es klingt fast wie eine Kantilene. Welche Rolle spielt Klassik für Sie?
Wenn ich Lust auf Musik habe, lege ich gerne etwas auf, wo nur eine Geige oder ein Cello zu hören ist, denke aber nicht in den Kategorien „Klassik“ oder Ähnliches. Früher habe ich ganze Sinfonien oder Opern durchgehört. Wagner hat meine Pubertät vertont. Danach habe ich den Liedgesang entdeckt, also Schumann und Schubert, und mich zum Bariton ausbilden lassen. Denn Baritone waren in Opern meiner Meinung nach immer die Charaktertypen – der beste Freund des Königs oder irgendwelche Schurken. Ich wäre allerdings kein großer Opernsänger geworden. Im Studium kam dann aufgrund des Erfolgs mit Kein Schwein ruft mich an ohnehin alles anders, und das Palast Orchester war plötzlich auch über die Grenzen Berlins hinaus ein Begriff.
Heute geben Sie mit ihm 80 Konzerte pro Jahr. Ist das keine extreme Beanspruchung Ihrer Stimme?
Ich habe eine gute Technik. Das ist der Vorteil einer klassisch ausgebildeten Stimme. Wenn ich Sorge um sie habe, dann eher, wenn ich nach dem Konzert Freunde treffe. Eine Viertelstunde reden ist viel anstrengender als zwei Konzerte hintereinander. Das Singen selbst ist eine kultivierte Form, mit dem Stimmmuskel umzugehen.
Konstante bei all Ihren Konzerten ist Ihr seriöser Stil. Warum tragen Sie nur Frack und Smoking?
Das ist die klassische Arbeitskleidung für Musiker. Außerdem muss man sich keine Gedanken mehr machen, was man anzieht. Da bin ich gerne faul.
Angesichts der Länge Ihrer Tour bleibt nicht viel Zeit zum Ausruhen. Wie leben Sie damit?
Die Konzerte sind der wichtigste Teil meiner Arbeit. Pro Jahr ungefähr 80 Konzerte klingen viel. Aber wir sind zum Beispiel fünf, sechs Tage durch Norddeutschland unterwegs. Dann fahren wir zurück nach Berlin und bleiben am Stück dort. Danach geht es nach Ostdeutschland weiter, wieder gefolgt von einer Pause in Berlin. So löst sich das alles etwas auf und ist eigentlich entspannt. Im Sommer haben wir fast zwei, drei Monate frei, was ein enormer Luxus ist. Reisen an sich finde ich nervtötend, wenn man am Flughafen sitzt, Gepäck verloren geht oder man morgens früh raus muss. Aber an einem Ort anzukommen, wo man noch nicht war, ist für mich sehr spannend.