KlassikWoche 33/2019
#metoo-Frieden, Flügel-Krach und Pavarottis Poolparty
von Axel Brüggemann
12. August 2019
Dieses Mal aus dem Sommerloch, das neben einer ziemlich langweiligen Netrebko-Absage-Debatte einen spannenden Flügelkampf ausspuckt – und so einige andere Klassik-Erfrischungen von Pavarotti bis Rihm.
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
dieses Mal aus dem Sommerloch, das neben einer ziemlich langweiligen Netrebko-Absage-Debatte einen spannenden Flügelkampf ausspuckt – und so einige andere Klassik-Erfrischungen von Pavarotti bis Rihm.
WAS IST
LEVINE, DIE MET UND #METOO
Es ist noch gar nicht lange her, dass die #metoo-Debatte Hoffnung auf neue Umgangsformen versprach: emanzipiert, ehrlich und transparent sollte alles werden. Und jetzt das: James Levine und die MET samt Intendant Peter Gelb haben sich vor Gericht darauf geeinigt – Achtung! – ab sofort nichts mehr zu sagen! Sexueller Missbrauch? Vorwürfe von Opfern? Eine angeblich interne Nachforschung des Opernhauses, die dazu führte, dass Levine entlassen wurde? Schwamm darüber! Nachdem sich beide Seiten so heftig verklagt hatten, wurde der Prozess nun einfach zu teuer und endete im Vergleich des Schweigens. Ist was? War was? Alles vergessen! Ein ähnliches Abkommen kennen wir ja schon von Daniele Gatti und dem Concertgebouw. Ich frage mich allerdings langsam, ob ich einfach zu naiv für diese Welt bin. Müsste da nicht irgendein Staatsanwalt weiter ermitteln? Müsste da nicht irgendjemand Klarheit schaffen? Irgend ein Gericht? Schuldig oder nicht? Die Vorwürfe einfach unter den Teppich zu kehren, genau das ist doch, was die #metoo-Debatte nicht mehr wollte.
MÄDCHEN IM KNABENCHOR?
Dieses Männer-Frauen-Ding scheint in der Welt der Klassik irgendwie noch lange nicht ausgestanden zu sein. Neulich fragte mich ein mächtiger, alter, weißer Mann doch tatsächlich, wieso ich ihn interviewen würde – es wäre doch viel schöner, wenn ich eine hübsche Frau wäre. Ich rätsele noch immer, was das für ein Spruch war – eine Art Doppelchauvinismus? Noch mehr irritierte mich die Meldung über die Eltern eines neunjährigen Mädchens, die ihre Tochter um jeden Preis in den Berliner Staats- und Domchor einklagen wollen. Der Chor nimmt aus Tradition nur Jungen auf, was die Eltern diskriminierend finden. „Bei einem Vorsingen im März hatte die Auswahlkommission das Mädchen abgelehnt“, berichtet der Spiegel, „zuvor hatte das Kind im Kinderchor der Komischen Oper Berlin und später in der Domsingschule in Frankfurt am Main gesungen.“ Am Freitag wird hier ein Urteil des Verwaltungsgerichtes erwartet. Ich weiß gar nicht, was ich darüber denken soll: Muss in Zukunft auch eine Frau den Boris Godunow singen dürfen und ein Bass die Carmen? Und soll es in Zukunft auch eine Frauenquote in der Männer-Nationalmannschaft geben? Oder sind das vollkommen falsche Vergleiche, und es geht um eine andere Form der Gleichheit? Ich bin wirklich ratlos.
„SPIEL KLASSIK, ALEXA!“
Als ich neulich mit Klaus Heymann, dem Gründer und Chef des Labels Naxos plauderte, stellte der mein etwas naives Klassik-Weltbild auf den Kopf. „Wenn die Leute ihre amazon-Lautsprecher ‚Alexa‘ auffordern, ein wenig Klassik zu spielen, etwa mit dem willkürlichen Befehl ‚spiel Klassik, Alexa!‘, steht für Alexa der Komponist Max Richter ganz oben auf der Liste jener Titel, die nun erklingen werden.“ Warum ausgerechnet Richter? Heymann schaute mich etwas mitleidig an. Ist es also möglich, sagen wir als großes Deutsches Label mit gelbem Logo, amazon Geld dafür zu zahlen, dass es die Musikgeschichte neu interpretiert und Klassik zunächst einmal mit Max Richter und dann erst mit den zugegeben mittelmäßigeren Tonsetzer-Kollegen Bach, Mozart, oder Beethoven besetzt? Bitte lesen Sie an dieser Stelle laut: „Alexa, spiel keine Klassik mehr!“
„SCHIFFS FLÜGELKAMPF“
Diesen Titel hat Jan Brachmann seinem Text in der FAZ gegeben, der sich mit der Wut des Pianisten András Schiff über Steinway-Flügel beschäftigt, damit, dass Schiff nur Bösendorfer-Instrumenten zugesteht, das alte Klangbild Wiens abzubilden und sich wegen dieser ideologischen Auffassung nun mit der ihm einst teuren Schubertiade, ihrem Intendanten Gerd Nachbauer und zahlreichen Künstlern überworfen hat. Brachmann wirft Schiff Ignoranz vor: „Immer deutlicher wird nun, dass András Schiff sich mit alternativen Fakten in einen Wahn von der Reinheit der österreichisch-ungarischen Kultur des Klavierspiels hineinsteigert, der nichts mit der geschichtlichen Wirklichkeit zu tun hat.“ Schiffs Wut auf Steinway-Instrumente ist nicht neu – schon in seinem Interview über die Diabelli-Variationen 2012 wetterte er gegen den Klavierbauer. Schiff Nationalismus vorzuwerfen ist indes nicht ganz unheikel. Oder vielleicht etwas zu kurz gegriffen, denn selbst wenn Schiffs Bösendorfer-Wien-Ungarn-Fimmel tatsächlich pathologisch anmutet, so ist er sicherlich auch ein Spiegel seiner innigsten Abneigung gegen das unkultivierte und unfreie Kultursystem Viktor Orbáns, das in seiner Heimat Ungarn gerade einen ganz anderen Nationalismus installiert.
WAS WAR
ANNAS ABSAGEN
Leute, lasst die Frau doch mal in Ruhe! Ja, Anna Netrebko war krank in Salzburg, und, ja, nun hat sie auch ihre Elsa in Bayreuth abgesagt – und: ja, ja, ja! Alle Klassik-Besserwisser wussten all das eh schon lange! Nun gab sie auch noch bekannt, dass Bayreuth auch nächstes Jahr nicht auf ihrer Agenda stünde. Das wird weder der Karriere der Netrebko noch der Geschichte der Festspiele schaden – können wir nun bitte einfach weiter machen?
FREYERS HARMLOSER OEDIPUS
Zu früh, um Kritiken zur Salzburger Première von George Enescus Oedipe abzuschreiben – also mussten wir selber hin. Die lyrische Tragödie hatte es nie wirklich leicht, auf Grund ihrer wirklich individuellen Musiksprache, ihres sehr französischen Blickes auf den Mythos, ihres unendlichen Ensembles, ihrer Giga-Chöre, und wahrscheinlich hat man sich genau solche Musiktheater-Abende von Markus Hinterhäuser als Festspielintendanten gewünscht: Nicht alltägliche Entdeckungen für die Ohren. Aber das war es dann auch, denn für das Auge war – mal wieder – Regisseur Achim Freyer verantwortlich, der, einfach alles, egal welche Oper gerade auf dem Programm steht, in seine knallbunten pseudo-mythologischen Fantasie-Funktions-Kostüme steckt und über die Bühne wandeln lässt. Ob es sich bei dem Embryo in Boxershorts, um den zum Herkules gewachsenen Oedipus handelt, um irgendeine vergangene Salome oder einen Papageno – all das scheint Freyer herzlich egal. Hauptsache sein Publikum findet‘s schön. Großartig, dass Hinterhäuser Enescu aufs Programm holt, aber warum, verdammt, in der Freyer Harmlos-Variante? Das passt hinten und vorne nicht – oder anderes: ist einfach zu unüberraschend. Und auch Dirigent Ingo Metzmacher blieb weitgehend vorhersehbar, steuerte die Wiener Philharmoniker durch Enescus Giga-Partitur, stutzte dem Werk aber immer auch wieder die exzentrischen Flügel auf Sicherheitsmaß. Das Sängerensemble durchwachsen, großer Applaus – zu Recht – für Christopher Maltman, der sich mit einer Simm- und Spielkraft durch die Titelpartie kämpfte, dass einem schon beim Zuhören der Schweiß über die Ohren lief.
PERSONALIEN DER WOCHE
Was für eine Rückkehr! In Aspen hatte Renée Fleming einst ihre erste Figaro-Inszenierung gesungen, und nun wird sie als Intendantin zurückkehren, gemeinsam mit dem Dirigenten Patrick Summers, dem künstlerischen und musikalischen Direktor der Houston Grand Opera. „Ich habe immer gedacht, dass ich einst zurückkehren würde“, sagte Fleming, „jahrelang war das eine meiner Flucht-Phantasien, die nun wahr wird.“ +++ Das Salzburger Sommerloch wurde währenddessen mit einer Debatte über Herbert von Karajan gefüllt: der habe seine Ehrendoktorwürde nicht auf Initiative der Salzburger Universität, sondern auf politischen Druck des ehemaligen Salzburger Landeshauptmanns Wilfried Haslauer (dem Vater des derzeitigen Landeshauptmanns) bekommen. Karajans Nazi-Vergangenheit wurde dabei ignoriert, und überhaupt war die ganze Angelegenheit eher Bäh! Aber so richtig überraschend oder neu ist das, was Alexander Pinwinkler in dem mit Johannes Koll herausgegebenen Buch „Zuviel der Ehre?“ herausgefunden hat, am Ende eben auch nicht. +++ Um so erfreulicher, dass Wolfgang Rihm sich endlich Mal wieder zu Wort meldet. Im Schweizer Tagblatt spricht er mit Urs Mattenberger über die Academy beim Lucerne Festival, darüber, dass er sich zuweilen wie ein Kriegsveteran vorkomme und darüber, dass sein Requiem nichts mit seiner Krebserkrankung zu tun hätte: „Nein, überhaupt nicht, die »Requiem-Strophen« hatten damit überhaupt nichts zu tun. Ganz einfach, weil ich mit dieser Form des Krebses bereits seit 22 Jahren lebe. Damals hatte man ein Lipom festgestellt, ein Fleischgeschwulst in meinem Oberschenkel, das wuchs und entfernt werden musste. Zehn Jahre später war´s wieder dick und musste wieder entfernt werden, und da waren schon verdächtige Anteile dran. 2016 war es zum Liposarkom geworden und man musste mit stärkeren Mitteln rangehen, das war schon eingreifend. Aber es war kein Schock, weil ich schon lange mit dem Bewusstsein lebe, dass da irgendwelche Dinge in mir wachsen. Ich habe keine Schmerzen und erfreue mich trotz Einschränkungen einer guten Lebensqualität. Und das, obwohl man mir ein Objekt von sieben Kilogramm entfernen musste und das Bein gelähmt blieb. Der Mensch ist ein Wunder!“
AUF UNSEREN BÜHNEN
Für mich als Bremer waren die Eutiner Festspiele immer ein Highlight im Sommer – nun konnte Geschäftsführer Falk Herzog das zweitbeste Ergebnis seit 20 Jahren bekannt geben. Auf dem Spielplan standen Verdis Maskenball und das Musical Kiss me, Kate – nächstes Jahr erwartet die Besucher Puccinis Madame Butterfly und Ein Käfig voller Narren. +++ Volker Blech hat das Sommerloch in der Morgenpost für ein vielsagendes Gespräch mit Ole Bækhøj, dem Intendanten des Pierre Boulez Saals in Berlin, genutzt, der besonders über seine Zusammenarbeit mit Daniel Barenboim schwärmt, aber auch freimütig eingesteht, wie der Dirigent der eigentliche Herrscher über den Saal ist. „Wie viel Daniel Barenboim steckt denn im neuen Programm? Wie oft tritt er selber auf?“, will Blech wissen, und Bækhøj antwortetet: „Er gibt zwei Konzerte als Dirigent des Pierre Boulez Ensembles und 19 als Pianist.“
WAS LOHNT
Endlich ganz auf YouTube – Pavarotti wie er lebte, aß und am Pool saß.
Ich hatte bereits berichtet, dass Ron Howards Doku über Luciano Pavarotti im Dezember in die Kinos kommen wird. Nun kündigte Hollywood-Regisseur Michael Gracey ein weiteres Pavarotti-Projekt an: ein Musical! Der Clou: Niemand wird die Stimme des Tenors imitieren – sie wird nur vom Band zu hören sein. Nicoletta Mantovani, die letzte Ehefrau des Tenors, die vielen Pavarotti-Verwertungen eher kritisch gegenübersteht, hat diesem Unternehmen bereits zugestimmt. Mehr noch: Sie hat dem Regisseur, der unter anderem The Greatest Showman mit Hugh Jackman gedreht hat, sogar Zugang zu privater Korrespondenz und privaten Aufnahmen ermöglicht. Der wiederum verriet, dass er Pavarotti mit den neuesten Mitteln der Technik abbilden werde – wie genau, ließ Gracey allerdings offen. Für alle, die all das nicht abwarten können und auf leichte Unterhaltung im Sommer stehen … auf YouTube wurde inzwischen das ganze Video online gestellt, aus dem bereits Ausschnitte bei der Preview zu Howards Pavarotti-Film für Aufmerksamkeit sorgten: Genießen Sie den Sommer am Swimmingpool des Tenors in Modena, wo er lebte wie Elvis mit seinen Good-Old-Boys auf Graceland. Mehr gute Laune geht nicht! Während der Dreharbeiten war Pavarotti übrigens gerade auf Diät – und wir können uns gar nicht satt sehen!
In diesem Sinne, halten Sie die Ohren steif
Ihr