KlassikWoche 33/2019

#metoo-Frieden, Flügel-Krach und Pava­rottis Pool­party

von Axel Brüggemann

12. August 2019

Dieses Mal aus dem Sommerloch, das neben einer ziemlich langweiligen Netrebko-Absage-Debatte einen spannenden Flügelkampf ausspuckt – und so einige andere Klassik-Erfrischungen von Pavarotti bis Rihm.

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

dieses Mal aus dem Sommer­loch, das neben einer ziem­lich lang­wei­ligen Netrebko-Absage-Debatte einen span­nenden Flügel­kampf ausspuckt – und so einige andere Klassik-Erfri­­schungen von Pava­rotti bis Rihm. 

WAS IST 

LEVINE, DIE MET UND #METOO

Es ist noch gar nicht lange her, dass die #metoo-Debatte Hoff­nung auf neue Umgangs­formen versprach: eman­zi­piert, ehrlich und trans­pa­rent sollte alles werden. Und jetzt das:  und die MET samt Inten­dant Peter Gelb haben sich vor Gericht darauf geei­nigt – Achtung! – ab sofort nichts mehr zu sagen! Sexu­eller Miss­brauch? Vorwürfe von Opfern? Eine angeb­lich interne Nach­for­schung des Opern­hauses, die dazu führte, dass Levine entlassen wurde? Schwamm darüber! Nachdem sich beide Seiten so heftig verklagt hatten, wurde der Prozess nun einfach zu teuer und endete im Vergleich des Schwei­gens. Ist was? War was? Alles vergessen! Ein ähnli­ches Abkommen kennen wir ja schon von  und dem Concert­ge­bouw. Ich frage mich aller­dings langsam, ob ich einfach zu naiv für diese Welt bin. Müsste da nicht irgendein Staats­an­walt weiter ermit­teln? Müsste da nicht irgend­je­mand Klar­heit schaffen? Irgend ein Gericht? Schuldig oder nicht? Die Vorwürfe einfach unter den Teppich zu kehren, genau das ist doch, was die #metoo-Debatte nicht mehr wollte.

MÄDCHEN IM KNABEN­CHOR?

Dieses Männer-Frauen-Ding scheint in der Welt der Klassik irgendwie noch lange nicht ausge­standen zu sein. Neulich fragte mich ein mäch­tiger, alter, weißer Mann doch tatsäch­lich, wieso ich ihn inter­viewen würde – es wäre doch viel schöner, wenn ich eine hübsche Frau wäre. Ich rätsele noch immer, was das für ein Spruch war – eine Art Doppel­chau­vi­nismus? Noch mehr irri­tierte mich die Meldung über die Eltern eines neun­jäh­rigen Mädchens, die ihre Tochter um jeden Preis in den Berliner Staats- und Domchor einklagen wollen. Der Chor nimmt aus Tradi­tion nur Jungen auf, was die Eltern diskri­mi­nie­rend finden. „Bei einem Vorsingen im März hatte die Auswahl­kom­mis­sion das Mädchen abge­lehnt“, berichtet der Spiegel, „zuvor hatte das Kind im Kinder­chor der Komi­schen Oper und später in der Domsing­schule in Frank­furt am Main gesungen.“ Am Freitag wird hier ein Urteil des Verwal­tungs­ge­richtes erwartet. Ich weiß gar nicht, was ich darüber denken soll: Muss in Zukunft auch eine Frau den Boris Godunow singen dürfen und ein Bass die Carmen? Und soll es in Zukunft auch eine Frau­en­quote in der Männer-Natio­nal­­man­n­­schaft geben? Oder sind das voll­kommen falsche Vergleiche, und es geht um eine andere Form der Gleich­heit? Ich bin wirk­lich ratlos.

„SPIEL KLASSIK, ALEXA!“ 

Als ich neulich mit Klaus Heymann, dem Gründer und Chef des Labels  plau­derte, stellte der mein etwas naives Klassik-Welt­­bild auf den Kopf. „Wenn die Leute ihre amazon-Laut­spre­cher ‚Alexa‘ auffor­dern, ein wenig Klassik zu spielen, etwa mit dem will­kür­li­chen Befehl ‚spiel Klassik, Alexa!‘, steht für Alexa der Kompo­nist Max Richter ganz oben auf der Liste jener Titel, die nun erklingen werden.“ Warum ausge­rechnet Richter? Heymann schaute mich etwas mitleidig an. Ist es also möglich, sagen wir als großes Deut­sches Label mit gelbem Logo, amazon Geld dafür zu zahlen, dass es die Musik­ge­schichte neu inter­pre­tiert und Klassik zunächst einmal mit und dann erst mit den zuge­geben mittel­mä­ßi­geren Tonsetzer-Kollegen Bach, Mozart, oder Beet­hoven besetzt? Bitte lesen Sie an dieser Stelle laut: „Alexa, spiel keine Klassik mehr!

„SCHIFFS FLÜGEL­KAMPF“

Diesen Titel hat Jan Brach­mann seinem Text in der FAZ gegeben, der sich mit der Wut des Pianisten  über Steinway-Flügel beschäf­tigt, damit, dass Schiff nur Bösen­­dorfer-Instru­­menten zuge­steht, das alte Klang­bild Wiens abzu­bilden und sich wegen dieser ideo­lo­gi­schen Auffas­sung nun mit der ihm einst teuren Schu­ber­tiade, ihrem Inten­danten Gerd Nach­bauer und zahl­rei­chen Künst­lern über­worfen hat. Brach­mann wirft Schiff Igno­ranz vor: „Immer deut­li­cher wird nun, dass András Schiff sich mit alter­na­tiven Fakten in einen Wahn von der Rein­heit der öster­­rei­chisch-unga­ri­­schen Kultur des Klavier­spiels hinein­stei­gert, der nichts mit der geschicht­li­chen Wirk­lich­keit zu tun hat.“ Schiffs Wut auf Steinway-Instru­­mente ist nicht neu – schon in seinem Inter­view über die Diabelli-Varia­­tionen 2012 wetterte er gegen den Klavier­bauer. Schiff Natio­na­lismus vorzu­werfen ist indes nicht ganz unheikel. Oder viel­leicht etwas zu kurz gegriffen, denn selbst wenn Schiffs Bösen­­dorfer---Fimmel tatsäch­lich patho­lo­gisch anmutet, so ist er sicher­lich auch ein Spiegel seiner innigsten Abnei­gung gegen das unkul­ti­vierte und unfreie Kultur­system Viktor Orbáns, das in seiner Heimat Ungarn gerade einen ganz anderen Natio­na­lismus instal­liert. 

WAS WAR

ANNAS ABSAGEN

Leute, lasst die Frau doch mal in Ruhe! Ja,  war krank in Salz­burg, und, ja, nun hat sie auch ihre Elsa in Bayreuth abge­sagt – und: ja, ja, ja! Alle Klassik-Besser­­wisser wussten all das eh schon lange! Nun gab sie auch noch bekannt, dass auch nächstes Jahr nicht auf ihrer Agenda stünde. Das wird weder der Karriere der Netrebko noch der Geschichte der Fest­spiele schaden – können wir nun bitte einfach weiter machen?

FREYERS HARM­LOSER OEDIPUS

Zu früh, um Kritiken zur Salz­burger Première von George Enescus Oedipe abzu­schreiben – also mussten wir selber hin. Die lyri­sche Tragödie hatte es nie wirk­lich leicht, auf Grund ihrer wirk­lich indi­vi­du­ellen Musik­sprache, ihres sehr fran­zö­si­schen Blickes auf den Mythos, ihres unend­li­chen Ensem­bles, ihrer Giga-Chöre, und wahr­schein­lich hat man sich genau solche Musi­k­­theater-Abende von Markus Hinter­häuser als Fest­spiel­in­ten­danten gewünscht: Nicht alltäg­liche Entde­ckungen für die Ohren. Aber das war es dann auch, denn für das Auge war – mal wieder – Regis­seur Achim Freyer verant­wort­lich, der, einfach alles, egal welche Oper gerade auf dem Programm steht, in seine knall­bunten pseudo-mytho­­lo­­gi­­schen Fantasie-Funk­­tions-Kostüme steckt und über die Bühne wandeln lässt. Ob es sich bei dem Embryo in Boxer­shorts, um den zum Herkules gewach­senen Oedipus handelt, um irgend­eine vergan­gene Salome oder einen Papa­geno – all das scheint Freyer herz­lich egal. Haupt­sache sein Publikum findet‘s schön. Groß­artig, dass Hinter­häuser Enescu aufs Programm holt, aber warum, verdammt, in der Freyer Harmlos-Vari­ante? Das passt hinten und vorne nicht – oder anderes: ist einfach zu unüber­ra­schend. Und auch Diri­gent Ingo Metz­ma­cher blieb weit­ge­hend vorher­sehbar, steu­erte die Wiener Phil­har­mo­niker durch Enescus Giga-Partitur, stutzte dem Werk aber immer auch wieder die exzen­tri­schen Flügel auf Sicher­heitsmaß. Das Sänger­ensemble durch­wachsen, großer Applaus – zu Recht – für Chris­to­pher Maltman, der sich mit einer Simm- und Spiel­kraft durch die Titel­partie kämpfte, dass einem schon beim Zuhören der Schweiß über die Ohren lief.

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Was für eine Rück­kehr! In  hatte Renée Fleming einst ihre erste Figaro-Insze­nie­rung gesungen, und nun wird sie als Inten­dantin zurück­kehren, gemeinsam mit dem Diri­genten , dem künst­le­ri­schen und musi­ka­li­schen Direktor der Houston Grand Opera. Ich habe immer gedacht, dass ich einst zurück­kehren würde“, sagte Fleming, „jahre­lang war das eine meiner Flucht-Phan­­ta­­sien, die nun wahr wird.“ +++ Das Salz­burger Sommer­loch wurde während­dessen mit einer Debatte über  gefüllt: der habe seine Ehren­dok­tor­würde nicht auf Initia­tive der Salz­burger Univer­sität, sondern auf poli­ti­schen Druck des ehema­ligen Salz­burger Landes­haupt­manns Wilfried Haslauer (dem Vater des derzei­tigen Landes­haupt­manns) bekommen. Kara­jans Nazi-Vergan­­gen­heit wurde dabei igno­riert, und über­haupt war die ganze Ange­le­gen­heit eher Bäh! Aber so richtig über­ra­schend oder neu ist das, was Alex­ander Pinwinkler in dem mit Johannes Koll heraus­ge­ge­benen Buch „Zuviel der Ehre?“ heraus­ge­funden hat, am Ende eben auch nicht. +++ Um so erfreu­li­cher, dass Wolf­gang Rihm sich endlich Mal wieder zu Wort meldet. Im Schweizer Tagblatt spricht er mit Urs Matten­berger über die Academy beim , darüber, dass er sich zuweilen wie ein Kriegs­ve­teran vorkomme und darüber, dass sein Requiem nichts mit seiner Krebs­er­kran­kung zu tun hätte: „Nein, über­haupt nicht, die »Requiem-Stro­­phen« hatten damit über­haupt nichts zu tun. Ganz einfach, weil ich mit dieser Form des Krebses bereits seit 22 Jahren lebe. Damals hatte man ein Lipom fest­ge­stellt, ein Fleisch­ge­schwulst in meinem Ober­schenkel, das wuchs und entfernt werden musste. Zehn Jahre später war´s wieder dick und musste wieder entfernt werden, und da waren schon verdäch­tige Anteile dran. 2016 war es zum Lipo­sarkom geworden und man musste mit stär­keren Mitteln rangehen, das war schon eingrei­fend. Aber es war kein Schock, weil ich schon lange mit dem Bewusst­sein lebe, dass da irgend­welche Dinge in mir wachsen. Ich habe keine Schmerzen und erfreue mich trotz Einschrän­kungen einer guten Lebens­qua­lität. Und das, obwohl man mir ein Objekt von sieben Kilo­gramm entfernen musste und das Bein gelähmt blieb. Der Mensch ist ein Wunder!“ 

AUF UNSEREN BÜHNEN

Für mich als Bremer waren die Eutiner Fest­spiele immer ein High­light im Sommer – nun konnte Geschäfts­führer Falk Herzog das zweit­beste Ergebnis seit 20 Jahren bekannt geben. Auf dem Spiel­plan standen Verdis Masken­ball und das Musical Kiss me, Kate – nächstes Jahr erwartet die Besu­cher Puccinis Madame Butterfly und Ein Käfig voller Narren. +++ Volker Blech hat das Sommer­loch in der Morgen­post für ein viel­sa­gendes Gespräch mit Ole Bækhøj, dem Inten­danten des Saals in Berlin, genutzt, der beson­ders über seine Zusam­men­ar­beit mit Daniel Baren­boim schwärmt, aber auch frei­mütig einge­steht, wie der Diri­gent der eigent­liche Herr­scher über den Saal ist. „Wie viel Daniel Baren­boim steckt denn im neuen Programm? Wie oft tritt er selber auf?“, will Blech wissen, und Bækhøj antwor­tetet: „Er gibt zwei Konzerte als Diri­gent des Pierre Boulez Ensem­bles und 19 als Pianist.

WAS LOHNT

Endlich ganz auf YouTube – Pava­rotti wie er lebte, aß und am Pool saß.

Ich hatte bereits berichtet, dass Ron Howards Doku über Luciano Pava­rotti im Dezember in die Kinos kommen wird. Nun kündigte Holly­­wood-Regis­­seur Michael Gracey ein weiteres Pava­rotti-Projekt an: ein Musical! Der Clou: Niemand wird die Stimme des Tenors imitieren – sie wird nur vom Band zu hören sein. Nico­letta Manto­vani, die letzte Ehefrau des Tenors, die vielen Pava­rotti-Verwer­­tungen eher kritisch gegen­über­steht, hat diesem Unter­nehmen bereits zuge­stimmt. Mehr noch: Sie hat dem Regis­seur, der unter anderem The Grea­test Showman mit Hugh Jackman gedreht hat, sogar Zugang zu privater Korre­spon­denz und privaten Aufnahmen ermög­licht. Der wiederum verriet, dass er Pava­rotti mit den neuesten Mitteln der Technik abbilden werde – wie genau, ließ Gracey aller­dings offen. Für alle, die all das nicht abwarten können und auf leichte Unter­hal­tung im Sommer stehen … auf YouTube wurde inzwi­schen das ganze Video online gestellt, aus dem bereits Ausschnitte bei der Preview zu Howards Pava­rotti-Film für Aufmerk­sam­keit sorgten: Genießen Sie den Sommer am Swim­ming­pool des Tenors in Modena, wo er lebte wie Elvis mit seinen Good-Old-Boys auf Grace­land. Mehr gute Laune geht nicht! Während der Dreh­ar­beiten war Pava­rotti übri­gens gerade auf Diät – und wir können uns gar nicht satt sehen!

In diesem Sinne, halten Sie die Ohren steif

Ihr 

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Wiki Commons