Moritz Eggert
Satire kann dich töten!
von Axel Brüggemann
13. Februar 2019
Der Komponist Moritz Eggert und der Journalist Axel Brüggemann im Gespräch über Zensur, ein neues politisches Umfeld und die Bedeutung für die Kunst.
Axel Brüggemann: Moritz, warum wird das Thema Zensur derzeit zu einem Hauptthema der Neuen Rechten?
Moritz Eggert: Das hat wohl viel mit der Randständigkeit der Bewegung zu tun. Wenn Leute nicht mehrheitsfähige Meinungen propagieren, etwa dass die Erde eine Scheibe ist, waren sie früher einsam. Heute finden sie zahlreiche Gleichgesinnte im Internet. Genau in diesem Moment beginnt der absurde Kreislauf der klassischen Verschwörungstheorie. und irgendwann heißt es: „In was für einem Land leben wir, wenn wir nicht Mal sagen können, dass die Erde eine Scheibe ist. Unsere Meinung wird unterdrückt! Es herrscht Zensur!“
Wirkt sich dieses Phänomen auch auf die Kultur aus? Tatsächlich gibt es ja viel weniger rechte Stücke und Regisseure auf deutschen Bühnen als linke, oder?
Ich finde, dass unser Opern- und Theatersystem derartige Haltungen durchaus duldet. Wir zeigen ja nicht nur Frank Castorf. Im Gegenteil, ein Großteil dessen, was in unseren Theatern gezeigt wird, ist eher konservativ. Es gibt Autoren wie Houellebecq oder Regisseure wie Jonathan Meese, die am rechten Rand wildern. Man könnte auch weitere Namen nennen, die sich mit rechtskonservativen Positionen auseinandersetzen (übrigens fast nur Männer eines bestimmten Alters). Gleichzeitig muss ich sagen, dass ich noch nie von einem Opernhaus gebeten wurde, in meinen Werken eine inhaltliche Richtung einzuhalten oder mich politisch zu positionieren.
Das ist Teil einer Verschwörungstheorie, die auch uns Journalisten betrifft. Weder in der Welt am Sonntag oder der FAZ, noch in der ARD oder im ZDF hat mir jemals ein Redakteur gesagt, in welche Richtung ein Text oder ein Film gehen soll. Trotzdem hält sich das Gerücht, dass gerade der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk heimlich von Angela Merkel gelenkt wird. Es ist eine absurde Situation, es besser zu wissen und zu spüren, dass es Menschen gibt, die uns nicht glauben…
Die Antwort ist dann immer: „Natürlich, ihr dürft das ja auch nicht zugeben, weil Ihr Teil des Systems seid!“ Und schon ist die Verschwörungs-Falle zugeschnappt!
Früher hörte man Sätze wie „Man wird doch wohl noch sagen dürfen, dass…“ hauptsächlich am Stammtisch. Heute reklamieren ganz unterschiedliche Gruppen, dass ihre Meinung in Deutschland verboten sei.
Das beobachte ich auch. Als ich frisch nach München kam, sah ich im Wirtshaus jemanden von der Toilette kommen, der seine Stammtisch-Brüder offen mit einem Hitlergruß begrüßte – einfach nur um eine Grenze zu überschreiten. In Zeiten des Internets haben sich diese vereinzelten Verrückten plötzlich vernetzt und bestätigen sich in ihrer eigenen Wahrheit. Es gibt wirklich gut gemachte Internetseiten, die behaupten, die Erde sei eine Scheibe. Und plötzlich finden sich Tausende in der ganzen Welt, die sich nur auf solchen Seiten bewegen und sich andauernd selbst bestätigen. Und mehr noch: Jeder, der behauptet, dass die Erde rund sei, wird mit Posts und Kommentaren in den sozialen Medien torpediert.
Wie reagierst Du auf derartige Kommentare?
Ich beobachte dass Menschen, die tolerant sind und die bestehenden Verhältnisse gar nicht so fürchterlich finden, allmählich von einer Panik befallen werden. Das sollten wir vermeiden! Wir dürfen nicht aufgrund der Lautstärke der Anderen in Hysterie verfallen. Ich versuche, nicht über jedes Stöckchen zu springen und mich nicht in die Erregungsspirale, auf die sowohl die AfD als auch Leute wie Donald Trump setzen, ziehen zu lassen Manchmal ist Ignorieren die bessere Lösung.
Aber als der Cellist Matthias Moosdorf vom Leipziger Streichquartett, der ein Anhänger der AfD ist, ein Konzert in München gab, haben Du und einige Deiner Freunde medienwirksam protestiert. Widerspricht sich das nicht?
Wir haben lange überlegt, was wir machen. Unsere Aktion sollte das Konzert nicht stören, aber Moosdorf mit seiner Meinung durchaus lächerlich machen. Also haben wir auf das Mittel der Satire zurückgegriffen und nicht auf Buh-Rufe oder Parolen wie „Rechte raus!“. Wir wollten unter keinen Umständen ein Antifa-Programm fahren.
Du meinst man sollte die Rechte am besten weglachen?
Eine der besten Aktionen für mich war, als bei einer AfD-Demo das Schlumpflied gesungen wurde.
Letztlich habt Ihr aber nur erreicht, dass Ihr Moosdorf einen neuen Anlass gegeben habt, sich als Opfer darzustellen und Euch als Unruhestifter und Kunst-Verhinderer. Am Ende bleiben alle Fronten dort, wo sie vorher schon waren. Nur verhärteter.
Ich hatte schon den Eindruck, dass durch die Aktion viele Gespräche angeregt wurden, die durchaus um die Sache gingen. Und natürlich hat unsere Aktion eine Reaktion heraufbeschworen, die selber entlarvend war: Moosdorf hat Sachen gepostet, mit denen er die Lächerlichkeit, in die wir ihn gezogen haben, nur bestätigt hat. Uns wurde linke Zensur vorgeworfen. Aber Zensur war nie unser Ziel! Unser Mittel war die Affirmation als Karikatur. Das ist ein großer Unterschied.
Der Karikaturist Til Mette hat mir einmal erzählt, dass er lange nur vor sich hingemalt hat. Erst mit „Charlie Hebdo“ wurde ihm klar, dass der Beruf des Künstlers wieder gefährlich ist…
Ich habe die ermordeten Zeichner von Charly Hebdo als Comicfan sehr geschätzt. Plötzlich war klar: Satire kann dich töten! Ich wuchs sehr antiautoritär im Umfeld der Neuen Frankfurter Schule auf und hatte immer das Gefühl, man kann alle Witze machen. So wie damals den Satz „Ich war eine Dose“ in Verbindung mit einem Blechjesus. Das würde sich das Satiremagazin Titanic heute über den Islam nicht mehr trauen. Was sich verändert hat, ist, dass wir heute gezwungen sind, Position zu beziehen. Man kann nicht mehr unpolitisch sein. Dabei stellen wir uns die Frage nach dem Risiko. Selbst bei so einer Aktion wie bei Moosdorf: „Riskiere ich, am Ende kritisiert zu werden, oder lasse ich es gleich bleiben?“
Beim Schreiben herrscht bei mir weniger die Angst, sondern der neue Wunsch, möglichst gerecht und fair zu bleiben – gegenüber allen Parteien. Das führt dazu, dass ich mich mehr mit den Gegenpositionen auseinandersetze und oft weniger Schärfe wähle. Die Welt, in der wir leben verändert meinen Stil. Geht Dir das auch so?
Es gibt die Szene, die mir vorwirft, „linksversifft“ zu sein, weil ich in einer Kulturszene lebe und von ihr auch leben kann. Mir wird unterstellt, dass ich ein Agent der linken Agenda sei. Ich weiß, dass das nicht stimmt. Dass ich immer Sachen mache, für die ich brenne. Wie gehe ich mit so einem Vorwurf um? Ignoriere ich ihn? Reagiere ich? Auf der einen Seite wird mir Ignoranz vorgeworfen, auf der anderen Seite laufe ich Gefahr, dass es zu einer Selbsterfüllenden Prophezeiung kommt. Das ist eine Zwickmühle, in der ich mich nicht immer wohl fühle. Die Kunst hat einen großen Teil ihrer Naivität verloren. Aber vielleicht ist das auch eine Chance, auf die wir positiv reagieren können. So wie Du das machst, wenn Du sagst, dass Du Dich intensiver mit der Gegenseite auseinandersetzt.
Für mich ist der ganze Kampf, den wir heute führen, der Kampf um eine gesellschaftliche Freistelle, um die Rolle des Bürgertums. Früher war das Bürgertum zwar wertkonservativ, aber auch liberal. Derzeit scheint es dieses Bildungsbürgertum gar nicht mehr zu geben, und es wird von beiden Seiten neu definiert. Das wird besonders offensichtlich, wenn sich die AfD den Frust des Abo-Publikums auf das Regietheater zu eigen macht…
Das Bürgertum wollte immer Ausgleich und hat eine Mittelposition eingenommen. Ich glaube, dass es diese alte Mitte durchaus noch gibt, aber sie kann sich auf kein gesellschaftliches Bild mehr verständigen. Damals hatten wir das Wort vom „Christlich-sozialen“. Aber derartige Koordinaten scheinen für viele ausgedient zu haben. Dabei finde ich, dass Nächstenliebe ein Wert ist, auf den sich eine bürgerliche Mehrheit verständigen könnte.
Müssen wir die Naivität zurückgewinnen?
Ich glaube, dass derzeit eine gute Stunde für Leute wie Erich Kästner, Karl Kraus oder Kurt Tucholsky wäre. Wir bräuchten wieder starke Stimmen, die wichtige Werte kontrovers debattieren. Wir müssen letztlich aus der Harmlosigkeit heraustreten.
Aber sind diese Künstler nicht schon in der Weimarer Republik gescheitert?
Im konkreten historischen Moment vielleicht, aber ihre Werte haben uns geholfen, Europa nach der Katastrophe wieder aufzubauen.
Wir befinden uns also nicht in einem Weimar 2.0?
Dafür ist meine Hoffnung auf die junge Generation zu groß. Ich glaube, dass Freiheiten, die einmal erkämpft wurden, Toleranz gegenüber Minderheiten, Reisefreiheit in Europa – wenn all das erst einmal existiert, kann man es nur noch mit Waffengewalt unterdrücken. Und das sehe ich derzeit zum Glück nicht. Vielleicht ist die neue Mitte der Punk der Zukunft – als Reaktion auf reaktionäre und rückständige Politik alter weißer Männer. Diesen Glauben will ich nicht verlieren.
Jene Jugendlichen, die in England das Brexit-Referendum verpennt haben? Und was ist mit Ländern wie Österreich, wo eine neue Regierung mit Beteiligung der Rechten längst in das System, in die Posten beim Fernsehen und im Staat eingegriffen hat und Nägel mit Köpfen macht…
… und wenn wir erst nach Polen oder Ungarn schauen. Da werden Intendanten aus politischen Gründen ausgetauscht, und es wird Einfluss auf Spielpläne genommen. Veränderungen, die dazu führen, dass viele Menschen gar nicht mehr wissen, wie es anders sein könnte. Aber genau das macht für mich den Unterschied zu Deutschland aus. Ich hoffe, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung bewusst über die kulturellen Werte ist und sie verteidigen würde.