Zubin Mehta

Fami­li­en­treffen, ausge­kostet

von Walter Weidringer

26. Februar 2023

Zubin Mehta und die Münchner Philharmoniker haben im Interimskonzertsaal, der Isarphilharmonie in München, Richard Strauss’ Tondichtung »Sinfonia domestica« aufgenommen.

Tusch! Unzäh­lige, vehe­mente morgend­liche Ehren­runden mit der Gattin und rund um sie sind endlich absol­viert, ein Erre­gungs­bal­lett aus Diskus­sionen, Liebes­be­zeu­gungen und allge­meinen Verab­schie­dungen, begleitet vom herz­haften Gekrächz des Nach­wuchses und wohl auch von markierter Geschäf­tig­keit des Perso­nals – und nun kann der Herr Kapell­meister final­mente die Haustür hinter sich ins Schloss werfen und in Rich­tung Theater verschwinden. Oder, anders imagi­niert, zu guter Letzt sich allein in sein Lieb­lings­fau­teuil fallen lassen – mit den drei Anfangs­tönen seines Themas, forte­for­tis­simo im Bass, der Schluss­ak­kord gekrönt von einer Fermate: So endet Richard Strauss’ Sinfonia dome­stica. In dieser Tondich­tung schil­derte er 1902/1903, als er bereits an Salome mit ihren verbo­tenen Lüsten und sinn­li­chen Ausschwei­fungen arbei­tete, sein biederes junges Fami­li­en­glück zu dritt mit allen musi­ka­li­schen Schi­kanen – komplexe Fugen­durch­füh­rungen der Themen von Vater, Mutter und Kind mit einge­schlossen, Volten durch alle Tonarten, Instru­men­ta­ti­ons­fi­nessen sowie nicht zuletzt eine nächt­liche Liebes­szene, die alle Klischees vom bürger­lich-lang­wei­ligen Ehebett Lügen straft.

Passen­der­weise kommt es einem Fami­li­en­treffen gleich, wenn die Münchner Phil­har­mo­niker Zubin Mehta am Pult empfangen, ihren in der Orches­ter­ge­schichte ersten und einzigen Ehren­di­ri­genten. Im Grund­tempo mag Mehta, zum Zeit­punkt dieser Aufnahme aus der Isar­phil­har­monie vom November 2021 im 86. Lebens­jahr, schon merk­lich auf der gemäch­li­cheren Seite ange­sie­delt sein. Aber er kennt und schätzt den Strauss’schen Zauber einer gar nicht stillen Häus­lich­keit zumin­dest seit seinen Studi­en­zeiten in Wien und hat sich wieder­holt für die Dome­stica einge­setzt: in Konzerten, aber auch im Plat­ten­studio, sowohl 1970 mit Los Angeles Phil­har­monic als auch 1985 mit den Berliner Phil­har­mo­ni­kern.

Die selbst­iro­ni­schen Facetten der Partitur kehrt Mehta weniger hervor und stellt Pointen über­haupt nicht extra ins Licht. Viel­mehr kostet er mit dem ganz auf Opulenz einge­stimmten Orchester das Blühende, ja Liebes­hym­ni­sche voll aus. Übri­gens: Die genannten letzten drei Töne haben hier beson­deren Kern, spielt sie doch über­ra­schend die Pauke mit, die also nicht nur den Schluss­ak­kord markiert. Diese Retu­sche hat sich der alte Herr am Diri­gen­ten­pult seiner­zeit im Studio zwar nirgends erlaubt, wohl aber 2009 live bei den Berli­nern. Auf CD ist es jeden­falls ein Allein­stel­lungs­merkmal dieser Produk­tion in Dolby-Atmos-Technik, das einen zufrieden schmun­zeln lässt. So wie den Herrn Kapell­meister.

Fotos: Co Merz