Offener Brief der Musik­fes­ti­vals an die Politik

von Ruth Renée Reif

24. April 2020

40 Musikfestivals haben sich unter der Bezeichnung FORUM MUSIK FESTIVALS zusammengetan und einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung geschickt.

Sehr geehrte Frau Bundes­kanz­lerin, sehr geehrte Minister*innen des Bundes­ka­bi­netts, sehr geehrte Ministerpräsident*innen, sehr geehrte Vorsit­zende des Kultur­aus­schusses des Bundes­tages, sehr geehrte Frau Kultur­staats­mi­nis­terin!

Die Corona-Pandemie hat die Kultur­szene welt­weit in eine tiefe Krise gestürzt. Die von Bund und Ländern verspro­chene schnelle Hilfe kommt nicht immer bei den Adres­saten an. Nachdem Künstler*innen in exis­ten­zi­elle Not geraten sind, droht nun auch der Veran­stal­ter­branche ein
Kahl­schlag. Zusätz­lich erschweren unter­schied­liche Maßgaben in den einzelnen Bundes­län­dern die Arbeit.

40 Festi­vals aus ganz Deutsch­land stellen, stell­ver­tre­tend für Hunderte weitere, fest:

1. Musik­fes­ti­vals sind ein unver­zicht­barer Teil des mensch­li­chen Zusammen- und Kultur­le­bens. Gemeinsam und gleich­rangig mit Konzert- und Opern­häu­sern, Orches­tern und Chören gestalten sie das welt­weit bewun­derte „Musik­land Deutsch­land“.
2. Musik­fes­ti­vals bringen Kultur auch und vor allem in den länd­li­chen Raum. Sie ermög­li­chen damit auch brei­teren Publi­kums­kreisen als in den großen Städten die Begeg­nung mit hoch­wer­tigen musi­ka­li­schen Live-Erleb­nissen. Wer jetzt Festi­vals und Künstler sterben lässt,
wird morgen mit kultu­rell verwaisten Land­stri­chen bestraft.
3. Rund 600 Musik­fes­ti­vals mit inter­na­tio­naler Ausstrah­lung in ganz Deutsch­land sind ein bedeu­tender Wirt­schafts­faktor mit insge­samt etwa 400 Millionen € Gesamt­um­satz und einer viel­fa­chen Wert­schöp­fung.

Wir fordern konkret:

1. Klare Sprache in den Verfü­gungen!
In der Krise muss die Politik diffe­ren­zieren und darf die Viel­zahl der Kultur­in­sti­tu­tionen und Veran­stalter nicht in einen Topf werfen! Klare und einheit­liche Rege­lungen müssen sein. Was ist „Höhere Gewalt“? Was ist eine „Groß­ver­an­stal­tung“? Wer defi­niert rechts­si­cher das Andauern einer Pandemie? Mit früh­zei­tigen und lang­fris­tigen Verfü­gungen können wir besser arbeiten als mit einer anhal­tenden Unsi­cher­heit und nebu­lösen Allge­mein­plätzen. Es kann nicht sein, dass Festivalmacher*innen mit der Entschei­dung zur Absage allein gelassen werden und sich in nicht zu bezif­fernde Haftungs­ri­siken begeben.

2. Gleich­be­hand­lung von Kultur mit Sport, Reli­gi­ons­ge­mein­schaften und Wirt­schaft!
Strenge Hygiene- und Abstands­re­geln können auch bei Kultur­ver­an­stal­tungen umge­setzt werden. Kultur besteht nicht nur aus Groß­ver­an­stal­tungen. Es gibt ausrei­chend Reper­toire für variable Beset­zungen und viel Krea­ti­vität für alter­na­tive Formate. Kultur­in­sti­tu­tionen und Künstler*innen können auf diese Weise Verluste mindern.

3. Planungs­si­cher­heit für die nahe Zukunft!
Festivalmacher*innen mit Veran­stal­tungen in den kommenden Monaten müssen täglich zwischen profes­sio­neller Vorbe­rei­tung für eine erfolg­reiche Durch­füh­rung und den Risiken einer drohenden Absage abwägen. Hier braucht es schnell verläss­liche Krite­rien und klare Rahmen­be­din­gungen in Bezug auf die zukünf­tige Zuwen­dungs­fä­hig­keit der Kosten. Bei vielen Festi­vals stehen darüber hinaus Verhand­lungen über öffent­liche Mittel des nächsten Jahres an. Wir fordern eine möglichst pauschale Anset­zung und Bewil­li­gung der durch­schnitt­li­chen Zuwen­dungen der vergan­genen drei Festi­val­aus­gaben. Die Finan­zie­rung von Festi­vals darf nicht unter „Frei­wil­lige Leis­tungen“ subsu­miert werden.

4. Faire Behand­lung für alle Festi­vals!
Die Krise trifft die Festi­vals zu unter­schied­li­chen Zeit­punkten. Es darf kein Wett­rennen um Rettungs­fonds geben. Auch Festi­vals im weiteren Verlauf des Jahres leiden unter Planungs­un­si­cher­heit. Eintritts­gelder, Spenden und Spon­so­ring gehen massiv zurück. „First come, First served“ darf kein Grund­satz öffent­li­cher Kultur­för­de­rung sein.

5. Hilfe für die Essenz aller Festi­vals: die Künstler*innen!
Es sind vor allem frei­be­ruf­liche Künstler*innen und freie Ensem­bles, die unsere Festi­vals zum Strahlen bringen. Die Schäden gehen aktuell einseitig zu Lasten dieser Künstler*innen. Wir fordern, dass auf allen Ebenen Ausfall­ho­no­rare sowie bereits entstan­dener Aufwand für Vorbe­rei­tung und Reise­kosten als zuwen­dungs­fähig aner­kannt und damit auch ausge­zahlt
werden können. Im Ideal­fall gibt es ein einheit­li­ches Verfahren auf den Ebenen Europa, Bund, Land, Kommunen und Land­kreisen. Externe Berater*innen warnen derzeit vor der Gefahr, bei Zahlung ohne verein­barte Leis­tung die Gemein­nüt­zig­keit zu verlieren. Dazu darf es nicht
kommen.

6. Bewil­li­gungs­zeit­räume bis Ende 2021 verlän­gern!
Den Umfang der Schäden zu ermit­teln ist eine komplexe Rechen­auf­gabe. Dazu benö­tigen wir Zeit. Oft arbeiten wir nur in kleinen Teams und sind derzeit ohnehin mit der Bewäl­ti­gung der Krise (Ticket­rück­erstat­tung etc.) stark gefor­dert. Die Abwä­gung zwischen Verschie­bung und Absage bedarf einer behut­samen und über­legten Planung. Wir fordern die pauschale
Verlän­ge­rung der Projekt- und Abrech­nungs­zeit­räume für alle öffent­li­chen Mittel bis zum 31.12.2021.

Darüber hinaus fordern wir:
Einheit­liche Regeln schaffen
Rege­lungen für einzelne Bundes­länder greifen zu kurz und sind nicht vermit­telbar. Unsere Künstler*innen kommen aus vielen Ländern und Regionen Europas. Groß denken! Euro­pä­isch denken! In jedem Fall muss der Bund mit klaren Aussagen voran­gehen. Momentan wartet ein Förderer auf den anderen.

Finan­zie­rung verein­fa­chen
Musik­fes­ti­vals sind zu großen Teilen privat und mit viel ehren­amt­li­chem Enga­ge­ment orga­ni­siert und finan­ziert. Staat­liche und kommu­nale Stellen betei­ligen sich auf Antrag mit Zuwen­dungen. Die Antrags­ver­fahren müssen verein­facht und als Fest­be­trags­fi­nan­zie­rung ausge­führt werden. Spenden und Spon­so­ring von privater Seite müssen gerade jetzt noch attrak­tiver gemacht werden, damit unsere Unter­stützer für ihr persön­li­ches Enga­ge­ment in der Krise belohnt werden.

Rück­lagen und Zukunfts­si­che­rung
Einge­nom­mene Mittel müssen auf das Folge­jahr über­tragbar sein. Auch gemein­nüt­zige Träger müssen Rück­lagen bilden dürfen.

Faire Behand­lung unseres Publi­kums und der Künstler*innen
Künstler*innen sind keine Dienst­leister, sondern Partner. Wenn Zuschauer*innen den Gegen­wert ihrer Tickets spenden, haben sie dabei nicht die Entlas­tung öffent­li­cher Haus­halte im Sinn. Wer Spenden von Ticket­kunden annimmt, muss das Geld auch den Künstler*innen zukommen lassen dürfen.

Zukünf­tige Lasten­ver­tei­lung
Wir müssen uns bereits jetzt auf eine zukünf­tige, soli­da­ri­sche Lasten­ver­tei­lung verstän­digen.

Die aktu­elle Krise darf die deut­sche Kultur­land­schaft nicht weiter beschä­digen.

Wir sind gerne bereit, gemeinsam mit Ihnen Lösungen für die Zukunft zu finden.

Spre­chen Sie uns an!

Erstunterzeichner*innen:

1. Köthener Bach­fest­tage – Folkert Uhde – Inten­dant
2. Stif­tung Händel-Haus / Händel-Fest­spiele (Saale) – Clemens Birn­baum – Direktor / Inten­dant (Saale)
3. Musik­fest­spiele Potsdam Sans­souci – Inten­dantin
4. Inter­na­tio­nale Händel-Fest­spiele Göttingen – Tobias Wolff – Geschäfts­füh­render Inten­dant
5. Musik­fest ION – Moritz Puschke – Künst­le­ri­scher Leiter
6. Impuls-Festival für Neue Musik Sachsen-Anhalt – Hans Rotman – Inten­dant
7. Hofmusik Festival – Martin Kall­nisch­kies – Geschäfts­führer
8. zamus – Zentrum für Alte Musik / KGAM e.V. – Mélanie Froehly – Geschäfts­füh­rung
9. Steinway-Festival Wolfs­hagen im Harz – Noah Vinzens – Künst­le­ri­scher Leiter
10. Hein­rich Schütz Musik­fest – Dr. Chris­tina Sieg­fried – Inten­dantin
11. Kissinger Sommer – Dr. Tilman Schlömp – Inten­dant
12. Langen­berg Festival – Nina Reddig – Gesamt­lei­tung
13. Bach­woche Ansbach – Dr. Andreas Bomba – Geschäfts­führer und Inten­dant
14. Braun­lager Maikon­zerte – Kaja Engel – Festi­val­lei­terin
15. Schleswig-Holstein Musik Festival – Dr. Chris­tian Kuhnt – Inten­dant
16. Kammer­oper Köln / Musik­pick­nick – Esther Hils­berg-Schaar­mann – Inten­dantin
17. Fest­spiele Meck­len­burg-Vorpom­mern – Toni Berndt – Kauf­män­ni­scher Direktor
18. Kasseler Musik­tage – Olaf A. Schmitt – Künst­le­ri­scher Leiter
19. Sommer­liche Musik­tage Hitz­acker – Dr. Chris­tian Strehk – Vorstands­vor­sit­zender
20. Thüringer Bach­wo­chen – Chris­toph Drescher – Festi­val­lei­tung
21. Köthener Herbst – Dr. Andreas Glöckner – Künst­le­ri­scher Leiter
22. Ludwigs­burger Schloss­fest­spiele – Jochen Sandig – Inten­dant
23. Mozart­fest Würz­burg – Evelyn Meining – Inten­dantin
24. Inter­na­tio­nales Musik­fes­tival Koblenz – Bene­dict Klöckner – Künst­le­ri­scher Leiter
25. Musik­fest Eich­stätt. Alte Musik neu entde­cken – Heidi Gröger – Künst­le­ri­sche Leitung.
26. SPAM – Spandau macht Alte Musik – Johannes Weiss – Künst­le­ri­scher Leiter
27. Festival Alte Musik Knecht­s­teden – Michael Rath­mann – Festi­val­ma­nage­ment
28. Inter­na­tio­nale Musik­fest­spiele Weil­burger Schloss­kon­zerte – Stephan Schre­cken­berger ‑Inten­dant
29. Tanz-Kultur-Woche Göttingen – Judith Kara – Künst­le­ri­sche Leitung
30. Bach­fest Leipzig – Prof. Dr. Michael Maul – Inten­dant
31. Klavier-Festival Ruhr – Birgit Glasow-Carl – Künst­le­ri­sche Direk­torin
32. Int. Festival für Vokal­musik „a cappella“ Leipzig / Sommer­töne-Festival – Tobias Rosen­thal – Orga­ni­sa­tion
33. Arbeits­kreis Kultur im Kreis Göttingen – S. Karnehm-Wolf, G. Jess, H. Stock – Orga­ni­sa­ti­ons­team
34. Tobias Schar­fen­berger – Geschäfts­füh­render Inten­dant – Mosel Musik­fes­tival gGmbH
35. Luisen­burg-Fest­spiele Wunsiedel – Harald Benz – Kauf­män­ni­scher Thea­ter­leiter
36. Magde­burger Tele­mann-Fest­tage – Dr. Carsten Lange – Leiter
37. Musik­fest Bremen – Thomas Albert – Inten­dant
38. Opern­fest­spiele Heiden­heim – Künst­le­ri­scher Direktor
39. Ganders­heimer Domfest­spiele – Achim Lenz – Inten­dant
40. Bran­den­burger Fest­spiele – Manuel Dengler – Inten­dant

Weitere Unter­zeichner:

41. Kammer­mu­sik­fest Ober­lau­sitz W. Lippe-Weißen­feld – Inten­dant