musica viva
Schöpferische Arbeit mit der Vergangenheit
von Ruth Renée Reif
30. Oktober 2019
Am 22. November 2019 bringt die Reihe musica viva des Bayerischen Rundfunks in München Hans Zenders „33 Variationen über 33 Variationen“ zur Aufführung.
Am 22. November 2019 wäre der Komponist, Dirigent und Förderer Hans Zender (Foto oben: © Astrid Ackermann) 83 Jahre alt geworden. Die Neue-Musik-Reihe musica viva des Bayerischen Rundfunks widmet ihr Konzert im Münchner Herkulessaal der Residenz an jenem Tag der Erinnerung an ihn. Zur Aufführung kommt Zenders „komponierte Interpretation“ von Beethovens Diabelli-Variationen für Orchester aus dem Jahr 2011. 33 Variationen komponierte Beethoven in diesem Spätwerk über einen Walzer von Antonio Diabelli. Wie Zender in einem Gespräch mit dem Psychoanalytiker Johannes Picht, der sich in vielen Schriften mit der Beziehung von Musik und Psychoanalyse auseinandersetzte, ausführt, habe Beethoven damit bereits den wichtigsten Aspekt der Moderne vorweggenommen: „Das Subjekt des Komponisten bezieht bewusst stilistische Positionen anderer historischer Zeiten ein.“ Vielleicht sei Beethoven der erste Musiker gewesen, der sich bewusst „als geschichtliches Wesen erfahren und reflektiert hat“, mutmaßt Zender. Mit seiner eigenen Komposition 33 Veränderungen über 33 Veränderungen suche er, „die Einbeziehung der Geschichte zu leisten, die zwischen uns und Beethovens liegt“.
Solist in Klaus Ospalds Komposition „Más raíz, menos criatura“ ist der Pianist Markus Bellheim
(Foto: © Birgit Bellheim)
Ebenfalls auf dem Programm steht Más raíz, menos criatura auf einen Text des Dichters Miguel Hernández von Klaus Ospald, der den HappyNewEars-Preis für Komposition der Hans und Gertrud Zender-Stiftung erhält. Zu den Ausführenden des Abends gehören das Ensemble SingerPur, der Pianist Markus Bellheim sowie das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Peter Rundel.
Als Interpret wie als Komponist setzte sich Hans Zender mit Werken der Vergangenheit auseinander. Sein Dialog mit Haydn (1982) befasst sich mit der aus dem 18. Jahrhundert ererbten Differenz zwischen temperierter und reiner Stimmung. Seine „kompositorische Interpretation“ Schuberts ‚Winterreise‘ (1993) gibt durch seine individuelle Lesart dem Text eine neue Form. Und seine Beethoven-Rezeption brachte er bereits mit Hölderlin lesen (1979/87) zum Ausdruck. Mit Stephen Climax nach einem Text aus dem Roman Ulysses von James Joyce schuf Zender 1979⁄84 seine erste Oper, gefolgt von Don Quijote de la Manche. Darin entwickelte er nach eigenen Worten „31 verschiedene Theaterformen, deren jede die gleiche Figur, Don Quijote, in einem anderen Aspekt zeigt – wie ein in 31 Stücke zerborstener Spiegel“. Ein weiterer Teil seines Schaffens galt der Beschäftigung mit der asiatischen Kultur. So entstanden Werke wie Muji No Kyō (1975), die Reihe Lo-Shu (1977/78) oder der Zyklus Shir Hashirim (1992/96), in denen Zender auf die abendländische Musiksprache verzichtete und eine andere Zeitvorstellung zur Grundlage nahm.
Steht am Pult des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks: Peter Rundel
(Foto: © Astrid Ackermann)
Als Dirigent wirkte Zender an allen Zentren des internationalen Musiklebens. Von 1971 bis 1984 war er Chefdirigent des Sinfonieorchesters des saarländischen Rundfunks und verlieh der 1970 gegründeten Reihe „Musik im 20. Jahrhundert“ mit zahlreichen Ur- und Erstaufführungen internationales Ansehen. Von 1984 bis 1987 war er Generalmusikdirektor und Chefdirigent der Staatsoper Hamburg, der er 1985 mit der Inszenierung von Luigi Nonos Intolleranza überregionale Bedeutung verlieh. Von 1988 bis 2000 hatte er eine Professur für Komposition an der Hochschule für Musik in Frankfurt am Main inne. 2004 gründete das Ehepaar Zender die Hans und Gertrud Zender-Stiftung, die seit 2011 alle zwei Jahre Preise zur Förderung und Unterstützung der Neuen Musik vergibt. Am 22. Oktober 2019 starb Hans Zender an seinem Wohnort Meersburg am Bodensee.
Weitere Informationen zum Konzert am 22. November 2019 der Reihe musica viva im Münchner Herkulessaal: www.br-musica-viva.de