KlassikWoche 10/2020

Sex-Virus, Hysterie-Grippe und Kosten-Influ­enza

von Axel Brüggemann

2. März 2020

WILL­KOMMEN IN DER NEUEN KLASSIK-WOCHE,

heute unter anderem mit viel zu vielen sexu­ellen Über­griffen, mit Corona und dem Angst-Virus – und mit einem neuen Buch von

WAS WAR

– nur einer von vielen Künst­lern, die derzeit unter Sexismus-Verdacht stehen

VIEL ZU VIELE EINZEL­FÄLLE

Es war irgendwie keine gute Woche – erst die neuen Meldungen rund um Plácido Domingo: Nachdem die Rechts­an­wälte der „American Guild of Musical Artists“ ihren Abschluss­be­richt vorge­legt und Plácido Domingo der sexu­ellen Über­griffe und des Macht­miss­brauchs beschul­digt hatten, bat der Tenor offi­ziell um Entschul­di­gung bei seinen Opfern, um dann eine weitere Erklä­rung nach­zu­schieben: Seine Bitte um Entschul­di­gung sei kein Einge­ständnis der Vorwürfe, sondern drücke ledig­lich sein Bedauern aus. Die Opern­welt reagierte gespalten: Spaniens Kultur­mi­nis­terin riet davon ab, Domingo auch weiterhin einzu­laden, die Deut­sche Oper laviert weiter, nur Salz­burgs Fest­spiel­prä­si­dentin Helga Rabl-Stadler stellt sich wieder hinter Domingo. Und dann war da noch die Geschichte um den Solo-Cellisten der , der fristlos entlassen wurde: von der Musik­uni­ver­sität und nun auch aus dem Opern­or­chester. Wegen Miss­brauchs seiner Posi­tion. Es hieß, Opern­di­rektor Domi­nique Meyer hätte zunächst kein Inter­esse an einer Aufklä­rung des Falls gehabt, was der aller­dings bestreitet. Und dann berich­tete die TAZ noch über die Arbeit am Film „DAU. Natasha“, über das geschei­terte Berliner DAU-Projekt, in dessen Pariser Vari­ante der Penis von zu sehen war. Es geht um das Führungs­team um Regis­seur Ilja Chrscha­nowski, das sekten­hafte Struk­turen aufge­baut und beson­ders Frauen immer wieder ernied­rigt haben soll. Ach ja – und Sieg­fried Mauser hat seine Haft­strafe auch noch nicht ange­treten, spielt statt­dessen Katz und Maus mit den deut­schen Straf­be­hörden und will seine Strafe nun in Öster­reich antreten. Mit anderen Worten: Es hört einfach nicht auf! Kunst und Kultur scheinen ein Eldo­rado für sexu­elle Über­griffe und Macht­miss­brauch zu sein. All das sind keine Einzel­fälle mehr, all das liegt am System. In allen weiteren Debatten muss es darum gehen, dieses System neu zu struk­tu­rieren und besser zu regu­lieren. Es ist einfach zu viel passiert! 

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Beet­hoven bewegt BR-KLASSIK

Entde­cken Sie den Kompo­nisten in Podcasts, Konzerten, im TV, Radio und online.
Ein ganzes Jahr – immer neu – immer über­ra­schend!

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DEUT­SCHE MEIDEN KONZERTE WEGEN CORONA

Der Virus-Wahn geht weiter. Letzte Woche wurden auch in weit­ge­hend alle Groß­ver­an­stal­tungen und damit Gast­spiele auslän­di­scher Orchester abge­sagt. Die verbietet Groß­ver­an­stal­tungen mit mehr als 1.000 Besu­chern – was Insti­tu­tionen wie die Zürcher Oper veran­lasst, ihr für 1.200 Besu­cher ausge­legtes Haus nur noch für 900 Zuschauer zu öffnen, um den Spiel­be­trieb irgendwie aufrecht zu halten. Beson­nen­heit in Zeiten großer Hysterie! Die macht beson­ders den deut­schen Konzert­ver­an­stal­tern zu schaffen, wie die nmz berichtet: „‚Wir beob­achten bereits seit einigen Tagen einen erheb­li­chen Einbruch bei den Karten­ver­käufen, und Inhaber von Karten versu­chen zuneh­mend, diese gegen Erstat­tung des Eintritts­geldes zurück­zu­geben‘ sagt Prof. Jens Michow, geschäfts­füh­render Präsi­dent des Bundes­ver­bandes der Konzert- und Veran­stal­tungs­wirt­schaft (BDKV) e. V. Sofern wir zukünftig Veran­stal­tungen aufgrund behörd­li­cher Anord­nungen ausfallen lassen müssen, droht zahl­rei­chen Veran­stal­tungs­un­ter­nehmen der wirt­schaft­liche Kollaps‘.“ 

: VERBES­SE­RUNGEN FÜR FREIE MUSIKER

Ab sofort gelten im Honorar-Mindest­stan­dards für frei­schaf­fende Musi­ke­rinnen und Musiker in Projekten und Insti­tu­tionen mit musi­ka­li­schen Eigen­pro­duk­tionen. Das Land stellt für diese bundes­weit neue Rege­lung bis zu 100.000 Euro bereit, berichtet der Blog „Orchesterlan(D)“. Nach zwei Jahren soll das Modell über­prüft werden. Dazu passt die Nach­richt, dass im Bran­den­burger Nach­trags­haus­halt noch 2,2 Millionen Euro für das Staats­theater bereit­ge­stellt wurden.

WAS IST

Eine endlose Geschichte: Was der Umbau der Komi­schen Oper in Berlin kosten wird – niemand weiß Genaues.

TRAU­ER­SPIEL KOMI­SCHE OPER 

Kollege Frederik Hanssen vom Tages­spiegel hat sich herr­lich fest­ge­bissen an der Debatte um die Reno­vie­rung der Komi­schen Oper. „Nichts als eine ‚Vermu­tung‘“ sei die Summe von 227 Millionen Euro, „die derzeit genannt wird, wenn es um die Sanie­rung der Komi­schen Oper geht“, schreibt Hanssen. Das habe Berlins Senats­bau­di­rek­torin Regula Lüscher am Montag bei einer Anhö­rung im Kultur­aus­schuss des Abge­ord­ne­ten­hauses gesagt. Hans­sens Text erklärt auch, warum öffent­liche Bauten wie etwa die immer wieder ihre Kosten­rahmen über­ziehen: „Wir sollen sehr früh Aussagen zu den Kosten machen, obwohl wir es gar nicht können“, beschreibt Lüscher das Dilemma der Berliner Stadt­ent­wick­lungs­ver­wal­tung. Und dann ist da noch die Absur­dität der Archi­tekten-Ausschrei­bung: „‚Rund 80 000 Arbeits­stunden hatten die Teil­nehmer da bereits inves­tiert‘, erklärte Macken­roth. Deshalb befürchtet die Archi­tek­ten­kammer, dass es zu Scha­den­er­satz­for­de­rungen der Betrof­fenen kommen könnte. Und zwar in Höhe von bis zu zehn Millionen Euro.“ Wird die Komi­sche Oper ein Trau­er­spiel wie der Berliner Flug­hafen?

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Royal Opera House:„Fidelio“ mit Jonas Kauf­mann im Kino!

Lise Davidsen und Jonas Kauf­mann. Live am 17. März.
Alle Kinos und Termine: rohki​no​ti​ckets​.de

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2,2 PROZENT FÜR DIE KLASSIK

Nach Zahlen der Jahres­bi­lanz des Bundes­ver­bandes Musik­in­dus­trie macht die Klassik im gesamten Plat­ten­markt gerade mal 2,2 Prozent aus. Die neue Statistik fasst der Verband so zusammen: „Die Einnahmen aus Musik­ver­käufen und Erlösen aus dem Strea­ming­ge­schäft wuchsen um 8,2 Prozent. In Summe kamen sie auf 1,623 Milli­arden Euro. Nach den zwei minimal rück­läu­figen Vorjahren 2017 und 2018 folgt der viert­größte Musik­markt der Welt damit 2019 wieder der seit einigen Jahren klar posi­tiven globalen Entwick­lung. Zu dem Umsatz­zu­wachs haben mehrere Faktoren geführt: die Dynamik des Audio-Strea­mings (+27,0%), ein gegen­über dem Vorjahr nahezu halbierter Rück­gang der Umsätze mit CDs (-10,5%) sowie ein Plus von 13,3 Prozent bei Vinyl-Schall­platten. Audio-Strea­ming als führendes Markt­seg­ment kommt nunmehr auf einen Anteil von 55,1 Prozent am Gesamt­um­satz, gefolgt von der CD (29,0%), Down­loads (6,2%) und Vinyl (4,9% Umsatz­an­teil).“

STREAMEN SIE MIT

Und ja, an dieser Stelle mache ich gern Werbung in eigener Sache: Das neue Angebot, exklusiv für Leser und Abon­nenten der CRESCENDO PREMIUM-Ausgabe: Mit der -App können Sie fast 150.000 Klassik-Alben in Premium-Sound­qua­lität anhören – kosten­frei für die Lauf­zeit einer Ausgabe bzw. Ihres Abon­ne­ments.

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Zoff mit – nachdem unter anderem Klassik-Blogger Norman Lebrecht der Pianistin einen Auftritt mit Sonnen­glä­sern als „effekt­ha­sche­risch“ vorge­worfen hatte, ließ sie ihre Fans wissen: Sie sei am Flug­hafen von Vancouver auf ernied­ri­gende Weise verhört worden, die Sonnen­brille hätte sie getragen, um ihre Tränen zu verbergen. +++ Kultur­ma­nager Jan Henric Bogen zieht sich von seinem Posten als Inten­dant des Festes zurück. Von 2021 an steht Gerhard Kämpfe zur Verfü­gung, der das Festival schon einmal in Über­gangs­zeiten geleitet hat. +++ Zum ersten Mal nach 20 Jahren wird das Orchester der MET wieder auf Tour gehen – gemeinsam mit Musik­chef stehen , Frank­reich und auf dem Tour­plan für 2021. +++ Tom Mustroph besuchte für die NZZ eine Probe des russi­schen Regis­seurs Kirill Serebren­nikow, der zwar wieder arbeiten, aber sein Land noch nicht verlassen darf. +++ Diri­gent unter­brach eine Auffüh­rung von Verdis „Sizi­lia­ni­sche Vesper“ an der Welsh National Opera gleich zwei Mal, um das Publikum über den Stör­faktor Mobil­te­lefon aufzu­klären. +++ Bayreuths neuer „Ring“-Regis­seur Valentin Schwarz hat das Dresdner Publikum mit Offen­bachs „Banditen“ gegen sich aufge­bracht – in seiner letzten Insze­nie­rung vor den Fest­spielen wurde er an der Staats­ope­rette herr­lich laut ausge­buht. +++ Mit 87 Jahren starb der Arzt und Enkel von , Chris­tian Strauss, der sich ener­gisch für das Erbe seines Groß­va­ters einsetzte.

IN EIGENER SACHE

Beschäf­tigt sich in seinem neuen Buch „Der letzte Walzer“ mit Beet­hoven: Rudolf Buch­binder

Der letzte News­letter sorgte für aller­hand Rück­mel­dungen – und sie waren grund­ver­schieden. Beson­ders die Über­le­gung, Vorstel­lungen mit so genannten „Star-Sängern“ an der teurer zu machen, sorgte für Diskus­sionen. Während ein west­deut­sches Opern­haus sich meldete und mich darauf aufmerksam machte, dass hohe Gagen in der Regel eh von Spon­soren über­nommen würden, pochten Stimmen aus der Wiener Staats­oper darauf, dass Spit­zen­gagen auf einen „Betrag unter 15.000 Euro gede­ckelt“ seien – Spon­soren würden für Mehr­kosten nicht aufkommen! Genaue Angaben wollte man nicht machen. Das ist schade, da die Geheim­nis­krä­merei eine konstruk­tive Debatte über die von Steuern finan­zierten Gehälter unter­wan­dert. Gegen dyna­mi­sche Eintritts­preise würde man sich in dennoch ausspre­chen. Schon allein, weil die Frage, wie im Fall einer Absage und eines Einsprin­gers mit dem höheren Preis umge­gangen werden solle, unge­löst sei. Zum anderen, weil höhere Einnahmen der Opern dazu führen könnten, dass die „Star-Sänger“ selber von den höheren Einnahmen profi­tieren wollten.

Viel­leicht erlauben Sie mir noch, auf eine Publi­ka­tion hinzu­weisen, für die ich mich in den letzten Monaten regel­mäßig mit dem Pianisten Rudolf Buch­binder getroffen habe – gemeinsam mit ihm habe ich an seinem Buch „Der letzte Walzer“ gear­beitet, das nun im Amal­thea Verlag erscheint. 33 Geschichten über Buch­bin­ders Beet­hoven, über die „Diabelli-Varia­tionen“ und über das Klavier­spiel. Wie sich unsere Konver­sa­tionen ange­hört haben, lässt sich unter anderem hier nach­hören.

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de