Sophy Roberts
Trost in den Weiten Sibiriens
von Ruth Renée Reif
5. November 2020
Sophy Roberts reist auf der Suche nach vergessenen Klavieren durch Sibirien und bringt eine Fülle an Geschichten aus den unendlichen Weiten.
„Ich unternahm Abstecher in Territorien, von denen ich nicht annahm, dass mich Klaviere dahin führen würden, reiste von meinem Heim in England aus weiter und weiter auf der Jagd nach einem Instrument, das ich nicht einmal spiele“, beschreibt Sophy Roberts ihre Fahrten durch Sibirien in eigenem Erstaunen darüber, wie sehr ihr Vorhaben sie packt. Ein deutscher Freund im Orchon-Tal gab ihr die Idee ein. „Wir müssen eines der vergessenen Klaviere für sie finden“, flüsterte er ihr nach einem Konzert der mongolischen Pianistin Odgerel Sampilnorow auf einem modernen, aber maroden Yamaha-Stutzflügel zu.
Damit begann Roberts« dreijährige Suche und ihre wachsende Begeisterung für das Land, seine Menschen und ihre Geschichten. Auf abenteuerlichen Wegen kamen Klaviere in die Weiten Sibiriens.
Roberts sichtet Zollpapiere im staatlichen russischen Marinearchiv von St. Petersburg und stößt auf ein Clavichord, das im 18. Jahrhundert auf Schlitten, Booten und Pferden quer durch Sibirien geschafft wurde. Ihr Buch berührt viele Aspekte. Es ist eine Musikgeschichte, eine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, aber auch eine politische Geschichte, die an dunkle Vergangenheiten erinnert. Von der Strafexilierung im 17. Jahrhundert über die Verbannung bis zu den sowjetischen Gulags spannt sich der Bogen.
Eine Fülle an Wissen und Erlebnissen breitet Roberts aus. Jeder, den sie trifft, weiß etwas zu erzählen. Sie folgt den Spuren und kommt von einem zum anderen. Als sie in Tomsk einen Klavierstimmer befragt, bringt dieser sie zur Tomsker Musikschule, wo sie wiederum von einer Klavierlehrerin erfährt, die einen Bechstein-Flügel zu Hause hat. Der Flügel kam während des Zweiten Weltkriegs für einen Sack Kartoffeln in den Ort. Überall im Land verstreut findet Roberts Klaviere. In verschlafenen Dörfern erzeugen sie nach wie vor Musik.
„Wie solche Instrumente überhaupt in diese verschneite Wildnis kamen, das sind Geschichten über die innere Stärke von Gouverneuren, Verbannten und Abenteurern“, resümiert sie. „Dass sie überlebt haben, ist Zeugnis des Bedürfnisses nach Trost im menschlichen Geist.“