Stefan Zweig
»Warum zerstört er, was wir bauen?«
von Ruth Renée Reif
25. Dezember 2022
Der Band versammelt sechs Texte aus den Jahren 1901 bis 1936, in denen Stefan Zweig sich mit der jüdischen Thematik auseinandersetzt.
Wiederholt erhebt sich in der Literaturwissenschaft die Frage nach Stefan Zweigs Beziehung zum Judentum. Der Jüdische Verlag im Suhrkamp Verlag brachte eine Anthologie von sechs jüdischen Erzählungen und Legenden heraus, um diese Beziehung erneut aufs Tapet zu heben. Die ersten beiden Titel, die Legende Im Schnee über die Vertreibung jüdischer Einwohner aus einer mittelalterlichen deutschen Stadt und die Novelle Die Wunder des Lebens über ein jüdisches Mädchen, das im Antwerpen des 16. Jahrhunderts einem Maler Modell für ein Bildnis der Jungfrau Maria sitzt und dieses mit ihrem Leben verteidigt, gehören zu Zweigs frühen Arbeiten. Ungeachtet dessen sind die Erzählungen ergreifend und bewegend, wie man es aus den Novellen und anderen Werken Zweigs kennt. Mit psychologischer Kunstfertigkeit durchdringt Zweig seine Figuren, ohne ihr letztes Geheimnis preiszugeben.
Zweig entstammte einer wohlhabenden jüdischen Familie. Doch dem Judentum kam nur eine untergeordnete Rolle zu. Daran änderte auch nichts, dass einer der ersten Förderer Zweigs der Begründer des politischen Zionismus Theodor Herzl war, der als Leiter des Feuilletons der Wiener Zeitung erste Texte von Zweig veröffentlichte. Erst die Beschäftigung mit der Bewegung um den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber in Wien löste bei Zweig zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Auseinandersetzung mit dem Thema Judentum aus. Buber wurde von Herzl die Leitung des zionistischen Parteiorgans Die Welt übertragen, wo 1901 Zweigs Legende Im Schnee herauskam.
Zweigs Interesse verflüchtigte sich. Doch wurde es durch die Zeitläufe und den Druck der Ereignisse wieder geweckt, als Zweig während des Ersten Weltkriegs das tragische Schicksal der aus Galizien nach Österreich geflohenen Juden erlebte. So tauchten Mitte der 1920er-Jahre erneut jüdische Figuren in seinem literarischen Schaffen auf. Die Erzählung Untergang des Herzens, die Novelle Buchmendel und die Legende Rachel rechnet mit Gott aus den Jahren 1926 bis 1930 bilden den Mittelteil des Bandes.
1933 übernahm Adolf Hitler in Deutschland die Macht, und dies bedeutete abermals einen Einschnitt. Bei der Auflösung seines Salzburger Hausstandes übersandte zweig seine Korrespondenz der National and University Library in Jerusalem. Alberto Dines nennt diese Entscheidung in seiner Zweig-Biografie „die einzige, eindeutig zionistische Geste seines Lebens, absolut geheim gehalten, jedoch bedeutungsschwer“. In Jerusalem solle Zweigs wichtigste Spur dokumentiert werden – die Zusammensetzung seines Freundeskreises.
Zwei Jahre, bevor auch Österreich an das Deutsche Reich angeschlossen wurde, brachte Zweig die Parabel Der begrabene Leuchter heraus. Sie bildet den Schluss des Bandes und handelt von einem Leuchter, der vom Zweiten Tempel übriggeblieben ist und von einem römischen Juden gerettet wird, der ihn nach zahllosen Schicksalsschlägen ins Heilige Land bringt und dort mit ihm stirbt. Zweig formuliert darin „die alte jüdische Frage“: „Warum zerstört er, was wir bauen, zerschlägt er, was wir erhoffen, warum nimmt er uns die Bleibe, wo immer wir rasten, warum stachelt er Volk um Volk gegen uns zu ewig erneutem Hass?“