Till Brönner

„Wir sind eine Kultur­na­tion und dürfen dieses Erbe nicht auf’s Spiel setzen.“

von Rüdiger Sturm

10. November 2020

Till Brönner avancierte zum wortmächtigen Verfechter der Rechte der Künstler in Zeiten der Pandemie. Im Gespräch legt er ein glühendes Plädoyer ab für die Kultur.

Eigent­lich sollte der Trom­peter nur sein neues Album promoten. Mit dem Pianisten Bob James entwirft er auf „On Vaca­tions“ eine Gegen­vi­sion zur gegen­wär­tigen Stim­mung der Bedrü­ckung. Aber aus aktu­ellem Anlass brennen ihm noch andere Themen unter den Nägeln.

CRESCENDO: Herr Brönner, Ihr aktu­elles Album „On Vaca­tion“ wirkt wie ein Gegenpol zu der gesell­schaft­li­chen Situa­tion…

Till Brönner: Das Album wurde weit vor Corona aufge­nommen. Aber es ist auch ein Plädoyer für das, was die Künste und Musik vermögen. Das ist in der Tat die Medizin, die man im Leben immer wieder benö­tigt. Mit dem Unter­schied dass die Apotheken offen bleiben, während die Musik als aner­kanntes Thera­peu­tikum plötz­lich zurück­treten muss – und auch keine Unter­stüt­zung bekommt. Was da gerade in unserem Land passiert, muss man als skan­dalös bezeichnen.

Wobei die Einschrän­kungen für das kultu­relle Leben ja in vielen Ländern gelten.

Jeder zweite Satz von zustän­digen Minis­te­rien verweist auf als Land, das am besten durch die Pandemie kommt. Im Kultur­be­reich ist unser Anspruch aber singulär und nicht mit oder zu verglei­chen. Wir sind eine Kultur­na­tion und dürfen dieses Erbe nicht auf’s Spiel setzen. Wenn die große Pause für die Kultur aus Sicher­heits­gründen für die Gesell­schaft sein muss, dann sollte die gleiche Gesell­schaft der Kunst den Raum und die Sicher­heit zur Vorbe­rei­tung auf das ermög­li­chen, was nach der Pandemie Stück für Stück wieder aufge­nommen wird. Ein Kahl­schlag wäre fatal.

Till Brönner legt ein Plädoyer ab für die Künstler

»Wir müssen eine vereinte Bewusst­seins­kam­pagne in Gang bringen.«

Ist in der Gesell­schaft das Bewusst­sein für Kultur noch vorhanden? Wir leben in Zeiten von Spotify, da Musik ja zum digi­talen Hinter­grund­rau­schen verkommt.

Natür­lich geht dieses Bewusst­sein immer mehr verloren. Und deshalb sage ich seit mindes­tens 20 Jahren, dass wir eine vereinte Bewusst­seins­kam­pagne mit Hilfe der Verbände in Gang bringen müssen. Die Menschen müssen verstehen, dass geis­tiges Eigentum seinen unver­han­del­baren Preis hat. Da kommt nichts aus der Mode. Dieb­stahl bleibt Dieb­stahl, auch im Netz. Musik ist für fast jeden Menschen so etwas wie Medizin. Aber wir sind an dem Punkt, da wir der Gesell­schaft gar nicht mehr klar­ma­chen können, dass Menschen dafür studieren und in ihr Leben inves­tieren müssen. In Corona-Zeiten rächt sich dieses sorg­lose Gebaren aus der Vergan­gen­heit schmerz­haft.

Der Zug ist also schon abge­fahren?

Ich fürchte die Frage ist berech­tigt. Aber solange man sie noch disku­tieren kann, stirbt die Hoff­nung noch nicht. Ich finde es, vorsichtig ausge­drückt subop­timal, dass es Corona benö­tigt, um diese Frage so laut zu stellen wie nie zuvor. Aber in Zeiten, da selbst erfolg­reiche Künstler mit der Tatsache konfron­tiert sind, dass sie für mehr als ein Jahr komplett vom Netz genommen werden, ist das viel­leicht Grund genug, das jetzt zu beginnen. Denn was bleibt den Künst­lern? Es gab im Zusam­men­hang mit der Urhe­ber­rechts­de­batte und mit Wegfall des physi­schen Musik­markts nur noch das Live-Konzert. Wenn auch das nicht mehr möglich ist, dann ist das der Moment für Künstler, sich zu formieren. Da werden wir auch über etwas so Unro­man­ti­sches wie eine Gewerk­schaft spre­chen müssen. Künstler-Streiks werden anders aussehen als Lokführer-Streiks.

Till Brönner legt ein Plädoyer ab für die Rechte der Künstler

»Wir rutschen in die Drei­klassen-Gesell­schaft für die Kultur.«

Sie stehen doch sicher in Kontakt mit Poli­ti­kern. Besteht da nicht das nötige Bewusst­sein?

Mir erscheint das aktu­elle Entschei­dungs­paket bewusster, als man annehmen mag. Für mich klingt das schon arg nach Charles Darwin.

Wie sehen Sie die Zukunft des Musik­markts nach der Pandemie?

Wir haben es nicht mit einer Branche und einer Szene zu tun, die ein Nach­fra­ge­pro­blem hatte oder zukünftig haben wird. Es gibt viele Unter­nehmen, die aufgrund ihrer Schläf­rig­keit in Schief­lagen geraten sind. Dagegen bezwei­felt niemand, dass, wenn diese Corona-Pandemie vorbei ist, die Menschen wieder in Konzerte gehen werden. Im Gegen­teil. Wir spre­chen von einer krisen­si­cheren Branche, die für sich selbst verant­wort­lich war und es in Zukunft genauso wieder sein kann. Doch wir rutschen gerade in eine Drei­klassen-Gesell­schaft für die Kultur, aller­dings gibt es die Zweite Klasse schon fast nicht mehr. Der Goliath ist fest­an­ge­stellt, David ist Frei­be­rufler. Wenn das passiert, werden wir kultu­relle Provinz. Ich weiß, es kostet Geld, sehr viel Geld. Aber die Grund­mauern müssen stehen­bleiben.

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Unter dem Titel „On Vacation“ hat der Trompeter Till Brönner mit dem Pianisten Bob James ein neues Album herausgebracht. Mehr darüber unter: CRESCENDO.DE

Fotos: Andreas H. Bitesnich