Teodor Currentzis

Wahre Seelen­ab­gründe

von Attila Csampai

6. Februar 2018

Unter den jüngeren Dirigenten ist Teodor Currentzis derzeit der mit Abstand aufregendste: In kurzer Zeit machte er das im fernen Ural liegende Opernhaus von Perm zu einem neuen Zentrum visionärer Theaterarbeit.

Unter den jüngeren Diri­genten ist der Grieche derzeit der mit Abstand aufre­gendste: In kurzer Zeit machte er das im fernen Ural liegende Opern­haus von Perm zu einem neuen Zentrum visio­närer Thea­ter­ar­beit, und seine Studio­pro­duk­tionen der drei Da-Ponte-Opern Mozarts wurden welt­weit als neue Refe­renzen gefeiert. Jetzt greift der desi­gnierte neue Chef des SWR Sympho­nie­or­ches­ters auch nach sinfo­ni­schen Ehren. Mit seinem Orchester hat er sich gleich das größte Juwel russi­scher Sinfonik vorge­nommen, Tschai­kow­skys genia­li­sche, von Todes­ah­nungen durch­wirkte Sechste Sinfonie, von der es unzäh­lige gute Einspie­lungen gibt. Dennoch schafft es der 45-jährige Exzen­triker, dieses natio­nale Heiligtum komplett neu zu vermessen und ihm seine wahre erschüt­ternde Größe zurück­zu­geben, indem er mit rigo­roser Detail­ge­nau­ig­keit und extremer Dynamik dessen wahre Seelen­ab­gründe frei­legt, jenseits allen vorder­grün­digen Pathos. Allein seine wunderbar pulsie­rende Piano- und Pianis­si­mo­kultur zu Beginn der Sinfonie ist beispiellos, und die Zusam­men­brüche in der Durch­füh­rung entladen ein uner­hörtes Verzweif­lungs­po­ten­zial. Diese tiefe innere Tragik des Werks findet ihren bitteren Ausgang im düsteren Schluss-Adagio, das Curr­entzis als vergeb­li­chen Todes­kampf deutet. Nach diesem scho­nungs­losen Selbst­be­kenntnis versteht jeder, warum Tschai­kowsky nur wenige Tage nach der Urauf­füh­rung die Welt verließ.