Vinyl
Schatztruhe legendärer Aufnahmen
von Attila Csampai
25. März 2017
Die gute alte LP feiert derzeit ein grandioses Comeback. In Großbritannien hat Vinyl zuletzt sogar das Download-Geschäft überflügelt,
Da will kein ernsthaftes Label mehr abseits stehen, sodass die wenigen Presswerke derzeit auf Hochtouren arbeiten. Die explodierende Nachfrage nach analoger Schallware ermuntert mittlerweile auch wieder zahlreiche Anbieter, genuine Digitalaufnahmen aus den letzten 30 Jahren auf LPs zu überspielen, was echte Analog-Freaks mit Skepsis verfolgen, da sie um die „Reinheit“ und „Authentizität“ ihres Formats fürchten.
So hat Warner jetzt auf seinem Label Erato dem 1989 jung verstorbenen amerikanischen Star-Cembalisten Scott Ross eine LP mit 13 ausgewählten Scarlatti-Sonaten gewidmet, die dieser 1984 und 1985 im Rahmen der ersten Gesamteinspielung aller 555 Essercizi des monomanischen Sonatenschreibers Scarlatti in Paris einspielte, in sage und schreibe 98 Aufnahmesitzungen und mit über 8.000 Takes. Diese frühen Digitalaufnahmen erschienen dann auf insgesamt 34 CDs und galten lange als Referenz. Warum man jetzt dem exzentrischen Kult-Cembalisten Ross, der nur 38 Jahre alt wurde, nur diese eine LP zugestand und wer die Auswahl traf, bleibt genauso im Dunkeln wie die bis heute nicht geklärten Umstände seines frühen Todes. Für den Ross-Neuling bietet die perfekt gepresste LP dennoch einen guten Einblick in die rigorose und überaus pointierte Spielweise des Scarlatti-Pioniers, der hier mit gleichmäßigen Tempi, mit Klarheit und rhythmischem Drive die unerhörte Modernität Scarlattis an drei historischen Cembali herausarbeitet: Die strukturerhellende, kontrapunktische Schärfe seines Zugriffs lässt das revolutionäre Potenzial dieser Arbeiten deutlicher hervortreten als bei vielen, die Scarlatti auf modernen Flügeln verwässern.
Zu den Ikonen der aktuellen Retrokultur zählt auch die 1924 geborene ungarische Geigerin Johanna Martzy, die nach dem Krieg in die Schweiz übersiedelte und in den 1950er-Jahren einen kurzen weltweiten Höhenflug als eine der besten Geigerinnen ihrer Zeit erlebte. Sie spielte unter allen großen Dirigenten und hinterließ nach ihrem frühen Tod im Jahr 1979 keine allzu umfangreiche Diskografie, deren Einzeltitel aber heute zu astronomischen Preisen gehandelt werden. Zu den absoluten Highlights ihres charismatischen Spiels zählen die beiden Versionen des Brahms-Konzerts, die sie 1954 unter Paul Kletzki (für die EMI) und dann zehn Jahre später mit dem RSO Stuttgart unter Günter Wand einspielte. Die spätere Rundfunkproduktion von 1964 erschien zuletzt auf einer CD (bei Hänssler) und ist jetzt von dem koreanischen Reissue-Label „Analogphonic“ auf eine 180 Gramm schwere, neu analog gemasterte LP überspielt worden. Sie lässt die Leidenschaft, die Kultiviertheit und die herzzerreißende Intensität ihres Spiels in suggestiver Weise wiederaufleben: Martzy praktiziert da eine Art musikalischer Perfektion, die alle Virtuosität hinter sich lässt, um zum Wahren, zur glühenden menschlichen Botschaft und zur dunklen inneren Schönheit des Werks vorzudringen und uns so mit reiner Herzensenergie zu erschüttern.
William „Count“ Basie war neben Duke Ellington der bedeutendste Bandleader des 20. Jahrhunderts. Fast 50 Jahre lang, bis zu seinem Tod im Jahr 1984, leitete er sein 17 Mann starkes Count Basie Orchestra vom Klavier aus, sicherte ihm auch nach dem Ende der Bigband-Ära die Führungsposition als die orchestrale Plattform für angehende Top-Musiker. Eines der weniger bekannten Alben aus seiner Spätphase, das unter dem Titel „High Voltage“ 1970 in New York für das Schwarzwälder Jazz-Label MPS produziert wurde, ist jetzt von Edel aufwendig remastered und in der audiophilen Reissue-Edition AAA auf 180-Gramm-Vinyls wiederveröffentlicht worden. Es enthält zwölf zuvor von Basie noch nie gespielte Evergreens im singletauglichen Drei-Minuten-Format, die der kubanische Arrangeur Chico O’Farrill mit Basie-typischen, massiv-attackierenden Bläser-Riffs ausgestattet hatte und die im ständigen Wechsel mit seinen eigenen minimalistischen Fingerprints für aufregende terrassendynamische Effekte sorgten: Kein Wunder, dass diese hochpräzisen und doch immer unheimlich cool zuschlagenden Bläserattacken bis heute frisch und elektrisierend geblieben sind und nur Lebensfreude verbreiten: Diese Musik weckt Tote auf.