Vítězslava Kaprálová

Zu früh verstummt

von Walter Weidringer

28. Februar 2023

Leonie Karatas ruft mit ihrer Einspielung der kompletten Klavierwerke Vítězslava Kaprálovás eine Komponistin in Erinnerung, die nach einer tragisch kurzen Karriere allzu früh verstarb.

1915 bis 1940: Die traurig kurzen Lebens­daten der gebür­tigen Brün­nerin Vítěz­slava Kaprá­lová führen inso­fern in die Irre, als sie kein direktes Opfer der Nazi-Todes­ma­schi­nerie geworden ist. In den wenigen ihr geschenkten Jahren hat sie jeden­falls enorm viel erreicht, auch wenn ihr Ruf, bedingt durch zuerst den Zweiten Welt­krieg, dann durch den Kommu­nismus, bislang noch nicht nach­haltig über die Grenzen ihres Heimat­landes hinaus gedrungen ist.

Als Kind schon begann sie zu kompo­nieren, die hoch­be­gabte Tochter des Brünner Kompo­nisten und Konser­va­to­ri­ums­pro­fes­sors Václav Kaprál, der seiner­seits ein Schüler von Leoš Janáček und Alfred Cortot gewesen war. Dass der Herr Papa dennoch mit Stirn­run­zeln reagierte, als Vítěz­slava erklärte, Kompo­nistin und Diri­gentin werden zu wollen, lag nicht daran, dass er es ihr nicht zuge­traut hätte, sondern an einem Musik­leben, das diese Rollen für Frauen einfach nicht vorsah oder sie ihnen zumin­dest nicht ohne erheb­liche Kämpfe einräumen wollte. Doch was der lungen­kranken Vítěz­slava Kaprá­lová an robuster Konsti­tu­tion abgehen mochte, wog sie spie­lend mit Willen auf – und natür­lich Talent.

Leonie Karatas spielt Vítěz­slava Kaprá­l­ovás Dance for Piano von ihrem Album „La Vita“.

Mit 15 star­tete sie ihre formelle Ausbil­dung in ihrer Heimat­stadt, dann studierte sie in Prag Kompo­si­tion bei Vítěz­slav Novák und bei Václav Talich auch Diri­gieren: 1937 stand sie als erste Frau am Pult der Tsche­chi­schen Phil­har­monie und diri­gierte ihre glän­zende Abschluss­ar­beit, die Mili­tär­sin­fo­ni­etta. Ein Stipen­dium brachte sie daraufhin nach Paris, diesen Umschlag­platz musi­ka­li­scher Ideen und Stil­rich­tungen, wo sie alle mögli­chen Einflüsse neugierig aufsaugte, ohne die bereits gefun­dene, eigene innere Stimme aus den Ohren zu verlieren. Ihre Studien setzte sie dort bei Charles Munch (Diri­gieren) und Bohuslav Martinů (Kompo­si­tion) fort.

Kaprá­l­ovás Auftritt beim BBC Symphony Orchestra in London als Diri­gentin ihrer Mili­tär­sin­fo­ni­etta gilt als ihr inter­na­tio­naler Durch­bruch und als Höhe­punkt ihrer tragisch kurzen Karriere. Martinů, der 25 Jahre ältere, verhei­ra­tete Kollege und Mentor, schätzte sie nicht nur als Künst­lerin außer­or­dent­lich, sondern hat sich auch in sie verliebt; Kaprá­lová ehelichte jedoch im April 1940 den gleich­alt­rigen Schrift­steller Jiří Mucha, den Sohn des Jugend­stil-Malers Alfons Mucha. 1939 war die Wehr­macht in der Tsche­cho­slo­wakei einmar­schiert, worauf sie sich gegen eine Rück­kehr entschied; außerdem hatte man bei der an Tuber­ku­lose erkrankten Kompo­nistin auch eine Tumor­ope­ra­tion vornehmen müssen. Als im Krieg sich die Nazis Paris näherten, floh die Geschwächte mit ihrem Mann nach Mont­pel­lier, wo sie wenige Wochen nach der Hoch­zeit, am 16. Juni 1940, starb. An Tuber­ku­lose, Typhus oder viel­leicht einer Eilei­ter­schwan­ger­schaft? Getrost darf im Gedenken an Vítěz­slava Kaprá­lová Grill­par­zers Schu­bert-Epitaph wieder­holen:Die Tonkunst begrub hier einen reichen Besitz, aber noch viel schö­nere Hoff­nungen.“

Die Pianistin Leonie Karatas spricht über Vítěz­slava Kaprá­lová und ihre Musik.

Was für ein Leben! „La Vita“ nennt die Pianistin Leonie Karatas ihre CD mit den kompletten Klavier­werken Vítěz­slava Kaprá­l­ovás. Sie zeigt dabei, wie reich die Einflüsse der Kompo­nistin waren, die sich von Volks­musik mit Schalk im Nacken über den unver­meid­li­chen Janáček bis hin zu Debussy, Ravel und die Pariser „Les Six“ erstre­cken. Die pianis­ti­schen Ansprüche sind hoch; Karatas räumt im Booklet ein, dass manche Über­la­den­heit und Ausschwei­fung sich wohl noch abge­schliffen hätte, wäre der Kompo­nistin mehr Zeit vergönnt gewesen. Aber bei Karatas’ poetisch-markanten Inter­pre­ta­tionen zwei­felt man dennoch nie an der erzäh­le­ri­schen Kraft und der expres­siven Dring­lich­keit von Kaprá­l­ovás Musik, weder an ihrer Origi­na­lität noch an ihrem hand­werk­li­chen Können. Frei erfun­dene Stim­mungs­bilder, queck­silbrig-irrlich­ternde Minia­turen oder stili­sierte Tänz­chen schwirren hier um größere Werke wie die Sonata Appas­sio­nata op. 6 (mit formalen Ähnlich­keiten zu Beet­ho­vens op. 111), die Fünf Klavier­stücke, die in einem gewich­tigen Trau­er­marsch kulmi­nieren, und die kunst­vollen Varia­tions sur le Carillon de l’Église St-Étienne-du-Mont op. 16. Auf Wieder­hören!

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Auftrittstermine und weiterer Informationen über die Pianistin Leonie Karatas: leoniekaratas.de