KlassikWoche 08/2020

Wer nervt? Wer ist dieser Baren­boim? Und wer muss mal?

von Axel Brüggemann

17. Februar 2020

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

heute unter anderem mit der Aufmerk­sam­keits­öko­nomie eines , einem Preis für und vielen zerdep­perten Musik­in­stru­menten.

WAS IST

Igor Levit: Omni­prä­sent und … eine Offen­ba­rung oder einfach nur nervig?

LEVITS AUFMERK­SAM­KEITS­ÖKO­NOMIE

Ich muss zugeben: Zuweilen gibt es Texte, die man am liebsten selbst geschrieben hätte. Hartmut Welscher hat so einen Artikel nun für sein VAN-Magazin verfasst. Beru­hi­gend, dass nicht nur ich mir die Frage stelle, warum Igor Levit, obwohl er ein genialer Pianist ist und ich die meisten seiner poli­ti­schen Meinungen teile, irgendwie nervt. Welscher kennt Levit noch aus Studi­en­tagen in und gibt sich selber und mir in einem sehr ausge­ruhten Text Antworten, ohne dabei Schaum vor dem Mund zu haben. Auch auf die Frage, warum das deut­sche Feuil­leton bei Levits Binsen wie „Ich mag Fragen mehr als Antworten“, „Ich verän­dere mich die ganze Zeit“ oder „Beet­ho­vens Musik erzählt von uns Menschen“ ausflippt. Es geht um die „Ökonomie der Aufmerk­sam­keit“, darum, dass Levit den Markt der Pop-Intel­lek­tu­ellen bedient und darum, dass viele einfach nur von Levits Follower- und Like-Kreis­lauf profi­tieren wollen. „Levit hat erkannt“, schreibt Welscher, „dass der beste Weg, sich Beach­tung zu verschaffen, der ist, das Bedürfnis anderer nach Beach­tung zu bedienen.“ Unbe­dingt lesens­wert. 

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DAS WUNDER NETREBKO

Anna Netrebko ist ein Phänomen! Weiß Gott, warum sie sich so ziem­lich alles erlauben kann und dabei keinen Skandal entfacht. Egal, ob sie sich mit einer Hand­ta­schen-Hand­gra­nate in Weiß­russ­land foto­gra­fiert, ob sie ihren Mann andau­ernd mit auf die Bühnen der Welt schleppt oder ihr Kind zum Insta-Star macht. Netrebko über­schreitet jedes Tabu – und niemand schreit auf. Aufschluss könnte die Begrün­dung des schwe­di­schen Polar-Preises geben, mit dem Netrebko nun ausge­zeichnet wird. „Es reicht nicht aus, eine virtuose Sängerin zu sein“, heißt es da. „Bei der Oper als Kunst­form geht es auch darum, die Aufmerk­sam­keit des Publi­kums auf sich zu ziehen. Niemand in der Moderne kann das besser als die Opern-Diva Anna Netrebko.“ 2019 entbrannte ein Streit um Netrebko wegen eines Black­fa­cing-Skan­dals in „Aida“. Kein Problem: Die MET enga­giert sie erneut in dieser Rolle (außerdem auf dem Programm: ein neuer „Don Giovanni“, „Dead Man Walking“ und Stars wie , und

IT‘S KAPUTT

Ein Alptraum: das zerstörte Instru­ment

Nach einer Aufnahme in Berlin wollte die Pianistin ihr Instru­ment weiter verschiffen. Es handelte sich um den welt­weit einzigen F278 Fazioli-Konzert­flügel mit vier Pedalen. Schätz­wert rund 200.000 Dollar. Dummer­weise ist den Klavier­trä­gern das Instru­ment hinge­fallen, und der Eisen­rahmen wurde beschä­digt. „It‘s kaputt“ schrieb Hewitt voller Schreck auf Face­book – auf weitere Kommen­tare verzich­tete sie, bis die Sache mit der Versi­che­rung gere­gelt ist. Und dann war da noch der Kontra­bas­sist Tihomir Hojsak, dessen Instru­ment von Turkish Airlines quasi „hinge­richtet“ wurde, als es aus vier Metern Höhe auf den Gepäck­wagen geworfen wurde und zerbrach. Please: Handle with care! 

PLANUNGS-FRAGEN AN KOMI­SCHER OPER UND IN

Die Komi­sche Oper soll saniert werden – unter anderem mit einem Neubau. Zuvor muss aber geklärt werden, wem das 14,6 Mio-Areal, auf dem gebaut werden soll, eigent­lich gehört. Darüber wird derzeit vor Gericht gestritten. Frederik Hanssen berichtet im Tages­spiegel: „Vor 20 Jahren hat der Senat die Filet-Fläche zwischen Unter den Linden und Behren­straße an die „Lindengalerie“-Projektgesellschaft verkauft. Nachdem aller­dings bis zum Früh­jahr 2014 kein Bauan­trag vorlag, trat das Land von dem Vertrag zurück. Was der inzwi­schen unter das Dach des Immo­bi­li­en­un­ter­neh­mens IVG geschlüpfte Käufer natür­lich nicht hinnehmen wollte.“ In zwei Wochen soll ein Urteil gefällt werden – Sicher­heit besteht aber auch dann nicht. Der Streit kann in die nächste Instanz gehen. Zoff auch in Frank­furt: Für 900 Mio. Euro sollen die maroden Städ­ti­schen Bühnen neu gebaut werden. Es müsse unbe­dingt gehan­delt werden, das Haus im Zentrum der Stadt gebaut werden – und zwar so schnell wie möglich, sagt Michael Gunters­dorf, Chef der städ­ti­schen Stabs­stelle nun in der Frank­furter Rund­schau

WAS WAR

Mehr als notdürftig ersetzt: das Örtchen für die Bayreu­ther Notdurft

DOCH WIEDER PINKELN IN

Ein Leser lieferte einen Nach­trag zu unserer Meldung vor einigen Wochen, dass das Mehr­zweck-Gebäude inklu­sive Buch­hand­lung und Toilette neben dem Bayreu­ther Fest­spiel­haus aufgrund einer Kosten­ex­plo­sion nicht weiter­ge­baut würde. Nun geht es doch los: Der Rohbau steht bereits. Der Bauaus­schuss habe „mit Magen­grum­meln“ die Mehr­kosten von 130.000 Euro mitge­tragen. Erleich­te­rung in doppeltem Sinn auf dem Grünen Hügel. 

STREIT IN ESKA­LIERT

Letzte Woche haben wir über Zwist am Theater Essen berichtet – und der spitzt sich nun zu, wie Stefan Laurin in der Welt berichtet: „Mehr als 400 Mitar­beiter der Theater und Phil­har­monie Essen haben sich mit einem Brief an Ober­bür­ger­meister Thomas Kufen gewandt. Die zum größten Teil im Aalto-Musik­theater Beschäf­tigten erheben schwere Vorwürfe gegen den TuP-Geschäfts­führer Berger Berg­mann und fordern seine Entlas­sung. In dem Schreiben von Ende Januar ist von einer ‚Atmo­sphäre der Angst und Bedro­hung‘ die Rede, lang­jäh­rige Mitar­beiter mit hoher Fach­kom­pe­tenz würden ‚will­kür­lich und unbe­gründet aus dem Unter­nehmen gedrängt und versetzt‘. Auch führe Berg­manns Spar­po­litik zu erheb­li­chen ‚Einschrän­kungen in der künst­le­ri­schen Arbeit und Qualität aller Sparten‘.“

GRÜNDET STIF­TUNG 

Die Brat­schistin Tabea Zimmer­mann hat meiner Kollegin Ruth Renée Reif verraten, dass sie mit der Prämie für den eine Stif­tung gründen will: „Die formale Grün­dung ist noch nicht erfolgt“, sagt Zimmer­mann in der CRESCENDO-Ausgabe, die am Freitag erscheint: „Mit dem Rechts­an­walt arbeite ich an der Satzung. Ich komme aus einem einfa­chen fami­liären Umfeld. Meine Eltern verfügten nicht über die Möglich­keiten, ihren Kindern eine so teure Beschäf­ti­gung wie das Musi­zieren zu finan­zieren. Durch Förde­rungen der öffent­li­chen Hand, private Stif­tungen und Preis­gelder bekam ich Unter­stüt­zung. So ist es mein Wunsch, etwas von dem, wovon ich selbst profi­tiert habe, an die Gesell­schaft zurück­zu­geben.“ Das ganze Inter­view lesen Sie vorab hier

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Endlich ist die Entschei­dung gefallen: der 34-jährige wird neuer Gene­ral­mu­sik­di­rektor an der . +++ Für wilde Speku­la­tionen besu­chen wir gern die Seite des Kollegen Norman Lebrecht, der sich diese Woche sicher ist: wird nach Chicago oder gehen, und für Pitts­burgh bringt er unter anderem und Mark Elder ins Spiel – und alle anderen, die mit dem Orchester auftreten. +++ Wir haben immer wieder über den Zoff in berichtet und wurden ebenso regel­mäßig von Luzern aufge­klärt, dass nichts dran sei am Streit zwischen Inten­dant Michael Haef­liger, Stif­tungs­rats­prä­si­dent Hubert Acher­mann und Academy-Leiter Dominik Deuber. Nun, nachdem die Sache in die Luft geflogen ist, gibt der neue Präsi­dent Markus Hongler ein Inter­view in der Luzerner Zeitung und übt sich in Scha­dens­be­gren­zung: Dass in den neuen Vertrag mit Haef­liger eine Kündi­gungs­klausel einge­fügt wurde, erklärt er mit „zeit­ge­mäßer Corpo­rate Gover­nance“. Für Außen­ste­hende wirken diese verkrampft abge­grif­fenen Erklä­rungen aus Luzern mitt­ler­weile irgendwie merk­würdig. Gutes Krisen­ma­nage­ment sieht anders aus. +++ Kampf­an­sage von in Rich­tung von : Dem Jewish Chro­nicle sagte der jüngere der beiden Diri­genten: „Es gibt einen kleinen Unter­schied zwischen Baren­boim und mir, der eigent­lich riesig ist: Meine Mutter lebt noch in Israel, und wenn die Armee ruft, werde ich folgen.

In diesem Sinne – halten Sie die Ohren steif.

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de