Lisa Batiashvili
Zauber und Märchen
von Ruth Renée Reif
8. Februar 2018
Als die Violinistin zwölf Jahre alt war, gaben ihre Eltern in Georgien alles auf, um ihr in Deutschland eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Als die Violinistin zwölf Jahre alt war, gaben ihre Eltern in Georgien alles auf, um ihr in Deutschland eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Frau Batiashvili, Ihre Karriere als Violinistin gehört zu den beeindruckendsten der Gegenwart. 1979 in Tiflis geboren, 1995 als jüngste Teilnehmerin in der Geschichte Preisträgerin beim Internationalen Jean-Sibelius-Geigenwettbewerb, danach Konzerte in aller Welt mit den renommiertesten Orchestern. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Lisa Batiashvili: Da spielten mehrere Aspekte eine Rolle. Musik nahm bei meinen Eltern einen wichtigen Platz ein. Mein Vater ist Geiger und war mein erster Lehrer. Meine Mutter ist Pianistin. Die Leidenschaft für die Musik war mir angeboren. Als meine Eltern dann entschieden, Georgien zu verlassen, alles zurückzulassen – ihre Arbeit, ihre Freunde, ihre Namen – und ohne Sprachkenntnisse, ohne Arbeitsgarantie nach Deutschland zu gehen, gab mir das einen Schub. Ich war nicht einmal zwölf Jahre alt. Aber in diesem Augenblick rückten mir mein Leben, meine Aufgabe und meine Ziele deutlich ins Bewusstsein. Mir wurde klar, dass alles geschah, um mir eine gute Ausbildung und eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Fühlten Sie sich unter Druck?
Nein, ich spürte einfach nur Verantwortungsgefühl. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geriet Georgien in einen Bürgerkrieg und eine große Krise. Deutschland nahm mich damals auf wie ein eigenes Kind. Daraus wollte ich das Beste machen. Durch den Sibelius-Wettbewerb lernte ich die fantastischen finnischen Musiker kennen. Mit ihnen spielte ich meine ersten Konzerte. Sie ermöglichten es mir, in gemäßigtem Tempo weiterzukommen und Erfahrungen zu sammeln.
Die Geige spielten Sie bereits mit zwei Jahren und standen mit vier Jahren auf der Bühne. Wie fanden Sie zu Ihrem Instrument?
Mein Vater unterrichtete zu Hause Kinder. Die wollte ich nachahmen. Ich verbrachte aber auch viel Zeit damit, Klavier zu spielen, zu komponieren oder meinem Vater zuzuhören, wenn er mit seinem Quartett spielte.
Zur georgischen Musik haben Sie nach wie vor enge Beziehungen. Was verbindet Sie mit ihr?
Die georgische Musik bringt mir Kindheitsgefühle und Erfahrungen in Erinnerung. Sie besitzt eine eigene Persönlichkeit. Sie ist stark von der Volksmusik beeinflusst. Spielt man georgische Musik, erhält man direkten Zugang zur georgischen Natur. In den 90er-Jahren war mein Land in Deutschland unbekannt. Wenn ich sagte, ich komme aus Georgien, hatte kaum jemand eine Ahnung, wo das liegt. Ich spiele georgische Musik, damit die Menschen mein Land kennenlernen.
Auf Ihrem neuen Album „Visions of Prokofiev“ wenden Sie sich nun einem russischen Komponisten zu…
Prokofjew ist für mich deshalb so faszinierend, weil ich in seiner Musik das Verlangen nach einem Zuhause spüre. Es gibt keinen schöneren Ort als zu Hause. Wir Musiker haben selten die Möglichkeit, es zu genießen. Unser Leben bedeutet, auf Reisen zu sein und in Hotels zu nächtigen, ohne uns an etwas binden zu können. Prokofjew war bei seinen Reisen immer auf der Suche nach einem Ort, an dem er sich zu Hause fühlte. Dadurch wurde seine Musik so persönlich und verträumt. Ich verbinde mit ihr Zauber und Märchen. Sie vermittelt eine unglaubliche und zauberhafte Realität, seine Realität. Ich empfinde so viel Empathie und Sympathie für ihn.
„Es gibt keinen schöneren Ort als zu Hause. Unser Leben bedeutet, auf Reisen zu sein und in Hotels zu nächtigen, ohne uns an etwas binden zu können“
Sein Erstes Violinkonzert, das auf Ihrem Album mit dem Chamber Orchestra of Europe unter Yannick Nézet-Séguin zu hören ist, haben Sie bereits mit 13 Jahren zum ersten Mal gespielt. Wie kam das?
Mein Lehrer Mark Lubotsky war Schüler von David Oistrach gewesen. Schostakowitsch, Prokofjew, Schnittke waren das erste Repertoire, das er unterrichten wollte. Zu dieser Musik hatte er wahnsinnig viel zu sagen, und er erkannte, dass meine Natur mit ihr eine Harmonie findet. Prokofjews Musik ist so ausdrucksstark und theatralisch und besitzt so viele verschiedene Farben. Um das alles zu verstehen und wiederzugeben, muss man erst einmal erwachsen werden.
Das Konzert wurde zu Ihrem „Markenzeichen“. Sie haben es oft gespielt, aber erst jetzt aufgenommen…
Das war ein Herzensprojekt. Ich spielte beide Violinkonzerte Prokofjews mit dem Chamber Orchestra of Europe und Nézet-Séguin bereits im Konzert. Da fanden sich zwischen den Auftritten des Orchesters einige Aufnahmetage. Nézet-Séguin ist einer meiner allerliebsten Musiker. Diese Aufnahme ist das Zusammenspiel einer Musik, die ich liebe, und eines Dirigenten, zu dem ich eine besondere Verbindung habe.
Prokofjew schrieb das Erste Violinkonzert 1917 in Paris, also während der Revolution. Das Zweite Violinkonzert, das ebenfalls auf dem Album ist, entstand 1935 in Madrid kurz vor seiner endgültigen Rückkehr in die Sowjetunion. Was unterscheidet die beiden Werke?
Sie erzählen zwei verschiedene Geschichten von Prokofjew. Das Erste Violinkonzert ist leichter, feiner, impressionistisch. Es ist überirdische Musik. Am Ende des Stücks führt sie uns in den Himmel. Im ersten Satz des Zweiten Violinkonzerts spürt man dagegen die Erinnerung an den Krieg. Die Musik ist irdisch. Wir bewegen uns in einer neuen Ära von Prokofjews Leben und Schreiben.
Tanz und Walzer aus den Balletten Romeo und Julia und Cinderella sowie der Große Marsch aus der Oper Die Liebe zu den drei Orangen wurden von Ihrem Vater arrangiert und ausgewählt. Begleitet er Ihre Karriere als Ratgeber?
Als lieber Papa und guter Freund, bei dem ich mir Ratschläge hole. Er hat ja schon so viel gespielt. Schostakowitsch und viele große Komponisten kannte er persönlich und führte ihre Musik zum ersten Mal auf. Er ist ein Mensch, dem ich vertraue und der mich niemals damit belasten würde, seine Meinung zu äußern, wenn ich ihn nicht darum bitte.
Welcher Komponist liegt Ihnen außerdem so am Herzen, dass Sie seine Musik aufnehmen wollen?
Sehr beschäftigen mich Schubert, Schumann und Mozart. Ich möchte aber nicht nur klassische Musik aufnehmen. Für meine nächste Aufnahme suche ich etwas Ausgefallenes. Anders Hillborg schrieb mir ein Violinkonzert, das ich 2016 spielte. Es ist fantastisch und vermittelt eine Atmosphäre, die an den Kosmos denken lässt.
„Visions of Prokofiev“, Lisa Batiashvili, Yannick Nézet-Séguin, Chamber Orchestra of Europe (DG)