Aribert Reimann
„Ein armseliges, gespaltenes Tier“
von Ruth Renée Reif
30. Mai 2021
Aribert Reimann wird 85. Aus diesem Anlass kommt seine Oper „Lear“ in der Inszenierung von Christoph Marthaler wieder auf die Bühne der Bayerischen Staatsoper. Lear verkörpert Christian Gerhaher.
Als Quintessenz seines kompositorischen und musikalischen Denkens bezeichnete Aribert Reimann seine Oper Lear. Eine Anregung Dietrich Fischer-Dieskaus hatte ihn 1968 zur Beschäftigung mit dem Stoff bewogen. Die Idee setzte sich fest, und wie Reimann im Rückblick feststellte, wurden alle Stücke, die er in den darauffolgenden Jahren schrieb, Wege zu Lear. „Die dunkle Farbe, massive Ballungen im Blech, Flächen in den tiefen Streichern“ in seinem Celan-Zyklus führten ihn zur Person Lear. 1975 erteilte ihm die Bayerische Staatsoper durch August Everding den Kompositionsauftrag.
„Die wahre Geschichte von Leben und Tod König Lears und seiner drei Töchter. Sowie das unglückselige Leben von Edgar, Graf Glosters Sohn und Erben, der vorgab, der wahnsinnige Tom zu sein“, wie Shakespeares Drama im Untertitel hieß, verbindet Märchenmotiv, Sagengestalt und wahre Geschichte. Sie zeigt Lear als alten, mächtigen König, der durch die Aufgabe seiner Macht und das Verstoßen seiner einzigen Tochter, die ihn wirklich liebt, selbst zum Verstoßenen wird. Gedemütigt und unbehaust auf der sturmgepeitschten Heide umherirrend, erkennt er schließlich: „Der nackte Mensch ist nichts weiter, als ein armseliges, gespaltenes Tier.“ Claus Henneberg übernahm die textliche Einrichtung, und Aribert Reimann schuf aus dem düsteren Drama eine furiose Klanginszenierung. Die Uraufführung am 9. Juli 1978 mit Fischer-Dieskau in der Titelpartie geriet zu einer Sternstunde zeitgenössischen Musiktheaters. Von Frankfurt bis San Francisco wurde die Oper nachgespielt.
Anlässlich des 85. Geburtstages von Aribert Reimann kehrt das Werk, in Szene gesetzt von Christoph Marthaler und seiner Bühnenbildnerin Anna Viebrock, wieder an die Bayerische Staatsoper zurück. Der Bariton Christian Gerhaher übernimmt die Titelrolle und begibt sich in die Welt voll Neid, Intrigen, Grausamkeit und verzweifelter Einsamkeit. Ihm zur Seite stehen die Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller als Tochter Cordelia, der Tenor Brenden Gunnell als Graf von Kent sowie der Bariton Georg Nigl als Graf von Gloster und der Countertenor Andrew Watts als dessen Sohn Edgar. Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Jukka-Pekka Saraste.
München, Nationaltheater, 23. (Premiere), 26. und 30. Mai sowie 3. und 7. Juni 2021, www.staatsoper.de
Die Aufführung am 30. Mai 2021 wird live unter STAATSOPER.TV übertragen.