Axel Brüggemann

Spiel aus Schmerz und Lust

von Ruth Renée Reif

26. Oktober 2021

Axel Brüggemann ist Regisseur und Autor des Films »Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt«, der am 28. Oktober 2021 in die Kinos kommt. Der Film sucht, das Phänomen Richard Wagner zu ergründen.

CRESCENDO: Wagner, und der Rest der Welt – der Titel gibt bereits die Perspek­tive vor. Was hat dich zu diesem Projekt bewogen?

: Mit 15 Jahren nahm mein Vater mich zum ersten Mal mit zu den Fest­spielen in Bayreuth. Das war für mich ein beson­deres Ereignis. Seitdem kam ich fast jedes Jahr nach Bayreuth. Der Ort hat seine Faszi­na­tion für mich nicht verloren. Die Frage, warum das so ist, reizte mich seit langem. Da war auf der einen Seite dieser kulti­sche Ort der Fest­spiele, von Wagner selbst gebaut und hin- und herge­stoßen in der Geschichte. Auf der anderen Seite waren da diese Wagner­be­geis­terten. Ich fragte mich, wie selbst Menschen die einander bekriegten, sich bei Wagner einig sein konnten. Diesem Phänomen der Leiden­schaft von Menschen, die einem befremd­lich und unver­ständ­lich erscheinen oder über die man schmun­zeln kann, wollten wir in dem Film nach­gehen.

im Orches­ter­graben von Bayreuth, Ausschnitt aus dem Film Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt

Der Film beginnt mit der Erin­ne­rung an Wagners Tod in 1883. War das die Geburts­stunde des Mythos von Bayreuth?

Wagner verstand es, den Mythos schon zu Lebzeiten zu pflegen. Zu diesem Mythos der frühen Jahre gehörte zwei­fellos Fried­rich Nietz­sche, der nach Bayreuth kam und sich mit Wagner zerstritt. Auch war da. Und Piotr Tschai­kowski reiste eben­falls noch zu Lebzeiten Wagners an. So war dieser Grüne Hügel von Anfang an ein Ort, an dem Neues und Provo­kantes geschah und der eine Anzie­hungs­kraft besaß. Wagners Tod markiert die Über­gabe seines Werks an Cosima Wagner. Sie war es, die den post­humen Ruf Wagners formte und damit auch eine Dynastie begrün­dete, die bis zur derzei­tigen Inten­dantin der Fest­spiele geht.

Bis ins Innere des mythi­schen Orts, in den Orches­ter­graben von Bayreuth führt dein Film. Welchen Anteil hat die Musik, die zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts als „Nerven­er­schüt­te­rung“ galt, am Bayreuth-Kult?

Die Musik steht natür­lich im Zentrum. Was Wagner da geschrieben hat mit seiner Leit­mo­tivik und Chro­matik, das war revo­lu­tionär. Und wenn man einen Diri­genten wie Chris­tian Thie­le­mann, den wir auch getroffen haben, darüber reden hört, versteht man, warum das bis heute immer noch beson­ders ist. Er erläu­terte mir einmal die Musik des Parsifal, die nicht nur schön sei, was man als Diri­gent auch zum Ausdruck bringen müsse. Das Publikum solle das Leid spüren, um danach wieder die Schön­heit der Musik zu erleben und erhoben zu werden. Dieses Spiel aus Schmerz und Lust in Harmo­nien hat Wagner perfek­tio­niert und damit eine „Welt­re­li­gion“ geschaffen. Man muss sich auf seine Musik einlassen. Und die wird in diesem mysti­schen Abgrund des Bayreu­ther Fest­spiel­hauses produ­ziert.

Axel Brüggemann im Gespräch

»Wagners Musik erzählt vom Sehnen nach dem, was auf der Welt nicht möglich scheint«

Der Kompo­nist Claus-Steffen Mahn­kopf nennt Wagner den einzigen Kompo­nisten, der einen Orgasmus „zeit­lich, ener­ge­tisch und emotional“ nach­ge­bildet habe – mit 50 Sekunden dauerndem Höhe­punkt – und zwar in seiner Venus­berg­musik im Tann­häuser. Liegt in dieser eroti­schen Kompo­nente das Geheimnis der Wirkung seiner Musik?

Man könnte auch sagen, Wagner habe den längsten Nicht-Orgasmus kompo­niert. Der dauert fünf Stunden und heißt Tristan und Isolde. In dieser Oper wird die erlö­sende Harmonie immer verspro­chen, kommt aber erst am Ende mit dem Tod. Viel­leicht liegt darin das Beson­dere an Wagners Musik, dass Eros und Thanatos, also die Lust, die Liebe und der Tod mitein­ander verschmelzen. Seine Musik erzählt vom Sehnen nach dem, was auf der Welt nicht möglich scheint. Und das könnte noch verfüh­render sein als ein in Musik gegos­sener Tann­häuser-Orgasmus: die Sehn­sucht nach dem Uner­reich­baren, auf das wir bis zum Tod hoffen und das sich als Leit­motiv durch Wagners Musik zieht.

Wilde Begeis­te­rung und nicht weniger stür­mi­sche Ableh­nung kenn­zeichnen Wagners Rezep­ti­ons­ge­schichte. Wo veror­test du dich?

Wagner spielt in meiner Biografie eine große Rolle. Ich habe zwei Wagner-Bücher geschrieben, mode­riere die Kino­über­tra­gung der und habe für SKY bereits einen Doku­men­tar­film über Wagner gedreht. Aber ich betrachte mich nicht als Wagne­rianer im klas­si­schen Sinne. Ich nenne ihn nicht „Meister“ und huldige ihm nicht kritiklos. Vor allem hätte ich ihm nicht begegnen wollen. Wagner war Anti­semit, poli­tisch mehr als zwei­fel­haft und als Mensch abscheu­lich. Worum ich , ist eine Erklä­rung, warum mich seine Musik trotzdem über­wäl­tigt, ich mich ihr gerne auslie­fere und dieser Grüne Hügel eine solche Anzie­hungs­kraft auf mich ausübt.

Axel Brüggemann, der Autor und Regisseur des Films

»Es gibt keinen Ort, an dem Wagners Opern authen­ti­scher klingen als in Bayreuth«

Wolf­gang Wagner, der Enkel und lang­jäh­rige Inten­dant der Fest­spiele, nannte Bayreuth „eines der wenigen kultu­rellen Zentren, das im Ruf des Ideals eines inter­na­tio­nalen Treff­punkts steht“. Teilst du aus heutiger Sicht seine Einschät­zung?

Ja, weil alles, was zu einem Mythos gehört, in Bayreuth vorhanden ist. Bayreuth ist ein in der Musik­ge­schichte einma­liger Ort. Welcher Kompo­nist hat ein Opern­haus, in dem nur seine von ihm dazu bestimmten Opern gespielt werden? Dieses Haus wurde von Wagner konzi­piert und geplant. Mit einem Orches­ter­graben, der sich unter der Bühne befindet, ist es auch archi­tek­to­nisch einzig­artig. Es gibt keinen Ort, an dem diese Opern in der Mischung von Bühne, Stimme und Orchester authen­ti­scher klingen als in Bayreuth.

Seit 1951 dreht sich dieses Wagner-Karus­sell in Bayreuth unun­ter­bro­chen. Kann das so weiter­gehen?

Es wurde schon so oft totge­sagt und ging immer weiter. Viel­leicht ist auch das eine Beson­der­heit dieser Bayreu­ther Fest­spielen. Wer eine Monar­chie über­dauert hat, eine wacke­lige Demo­kratie, mitge­macht hat in einer der fürch­ter­lichsten Dikta­turen und es danach wieder geschafft hat, zu einem musi­ka­li­schen und kultu­rellen Zentrum der Demo­kratie zu werden, der ist nicht so leicht unter­zu­kriegen. Was wir in den letzten Jahren in Bayreuth sahen, hat Maßstäbe gesetzt – man denke an Barrie Koskys gefei­erte Insze­nie­rung der Meis­ter­singer oder Tobias Krat­zers Tann­häuser-Insze­nie­rung, die mit Sicher­heit der State of the Art des Regie­thea­ters war. 2022 folgen Augmented-Reality-Insze­nie­rungen. Bayreuth ist das Opern­haus mit Zukunfts­vi­sionen. Es versucht immer wieder, sich neu zu erfinden und die Werke Wagners in die jewei­lige Gegen­wart stellen.

Axel Brüggemann

»Was die Oper auszeichnet, ist, dass sie immer im Jetzt ist und ein Spiegel der Zeit«

, die legen­däre „Queen of Wagne­rians”, beklagte bereits vor Jahren in einem Inter­view den spürbar werdenden Mangel an großen Stimmen. Gibt es sie noch die großen Wagner-Stimmen, die Helden­te­nöre?

Wir haben andere Wagner-Stimmen. Was die Oper auszeichnet, ist, dass sie immer im Jetzt ist und ein Spiegel der Zeit. Das bedingt einen Wandel der Stimmen. Mein Lieb­lings­wag­ner­tenor ist . Einen solchen Tenor gibt es 2021 nicht, und ich zweifle, ob er gefeiert würde, wenn es ihn gäbe. Heute erwartet man eher Sänger wie oder , die andere Stimmen haben und eine Rolle psycho­lo­gisch und nicht schmet­ternd angehen. Was als Elsa im Lohen­grin an Gestal­tung schafft, ziehe ich einer Birgit Nilsson vor.

Ursprüng­lich von der Familie geführt, gingen die Fest­spiele über in eine Stif­tung. Ist das eine gute Basis für die Zukunft, und wie steht es um die Nach­folge?

Die Fest­spiele sind keine „Monar­chie“ mehr, wie sie es unter Wolf­gang Wagner waren. Die Mehr­heit halten heute der Bund, die Stadt und das Land. So könnte man theo­re­tisch auch eine Nach­folge ohne einen Wagner bestimmen. Aller­dings spüre ich im poli­ti­schen Raum, sowohl in der Stadt als auch im Bund, die Einstel­lung, dass zu den Bayreu­ther Fest­spielen ein Inten­dant aus der Wagner-Familie gehört. Wird ein anderer berufen, würde dies eine Ära beenden und eine Zäsur bedeuten. Die Fest­spiele müssten sich dann neu orien­tieren.

Weitere Infor­ma­tionen zur Kino­tour von Axel Brüg­ge­mann und seinem Film Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt unter: wagner​-derfilm​.de 

Fotos: FILMWELT Verleihagentur