Camille Saint-Saëns
Moritz Eggert über Camille Saint-Saëns
von Ruth Renée Reif
15. Dezember 2021
Camille Saint-Saëns hinterließ ein gewaltiges Werk. Aber es gab auch eine dunkle Seite in seinem Leben. Anlässlich seines 100. Geburtstages haben wir bei dem Komponisten Moritz Eggert nachgefragt.
Camille Saint-Saëns erfreut heute vor allem mit seiner postum veröffentlichten „Großen zoologischen Fantasie“ Der Karneval der Tiere. Doch sein Werk ist weitaus umfassender und enthält fünf Sinfonien, sinfonische Dichtungen, Chor- und Vokalwerke sowie 16 Opern. Zudem war er Literat, Philosoph, Archäologe und Naturwissenschaftler. Sein Leben hatte jedoch auch eine tragische dunkle Seite, seine Pädophilie.
CRESCENDO: Herr Professor Eggert, dank Ihres verdienstvollen Engagements sind Sie im besten Sinne zum Moralisten der Klassik-Szene geworden. Am 16. Dezember jährt sich Camille Saint-Saëns« Todestag zum 100. Mal. Er starb in Algier, wohin ihn seine sexuelle Neigung jährlich trieb. Saint-Saëns war pädophil und sah sich selbst wohl auch als Päderast.
Hierzulande wird insbesondere seine Komposition Karneval der Tiere gerne im Kinderkonzert gespielt. Wie stehen Sie dazu: Darf man sein Werk spielen oder nicht? Muss man dazu sagen, was er war, oder soll man es weiter verschweigen?
Moritz Eggert: Ich finde eine „geschichtliche Revision“ grundsätzlich problematisch – denn auch wenn unsere Argumente gegen Saint- Saëns „moralisch“ sind, was machen wir dann grundsätzlich anderes als die Nazis, die bestimmte Komponisten (übrigens mit ähnlicher, von damaliger Perspektive aus ebenfalls „moralisch“ begründeter Argumentation) als „entartet“ und damit als nicht aufführbar erklärten? Die Nazis wollten Geschichte revidieren und bestimmte Namen auslöschen, und dagegen bin ich grundsätzlich, da wir aus einer revidierten Geschichte nichts lernen können.
Moritz Eggert: »Ich plädiere nicht für eine ›Korrektur‹ sondern größtmögliche Offenheit.«
Die Kulturgeschichte ist voll von schillernden Gestalten mit Licht- und Schattenseiten. Es gibt viele große und allseits bewunderte Künstlerinnen und Künstler, die auch unsympathische Seiten hatten und deren Werke dennoch geliebt werden. Ich plädiere daher nicht für eine „Korrektur“ sondern größtmögliche Offenheit.
In Axel Brüggemanns Film Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt gibt es eine wunderschöne Szene, in der ein jüdischer Großvater seiner Enkelin die Musik von Wagner zeigt, mit den Worten „das war ein schrecklicher Mann, der wunderschöne Musik geschrieben hat“. So kann die Vermittlung funktionieren – schon ein kleines Kind kann diesen Widerspruch verstehen.
Moritz Eggert: »Wir sollten zukünftigen Generationen ein eigenes Urteil über das Werk von Künstlerinnen und Künstlern der Vergangenheit zutrauen.«
Ich denke, wir sollten zukünftigen Generationen ein eigenes Urteil über das Werk von Künstlerinnen und Künstlern der Vergangenheit zutrauen – sie können trennen zwischen dem Werk und dem, was deren Urheber getan oder gesagt haben, aber nur dann, wenn sie auch um deren Verfehlungen wissen. So finde ich es absolut richtig, wenn man Wagners Antisemitismus wie auch Saint-Saëns« Pädophilie thematisiert und darüber offen spricht. Das ist Teil der Werkdiskussion, denn teilweise hat das ja auch deren Werk beeinflusst. So parodiert Wagner in den Meistersingern jüdisch-orthodoxe Gesänge, und Lewis Carroll machte die von ihm verehrte damals zehnjährige Alice Liddell zur Hauptfigur von Alice im Wunderland. Ich kann aber diese Werke nicht „ausradieren“ und so tun, als hätten sie keinerlei kulturgeschichtlichen Einfluss gehabt, denn das hatten sie eindeutig.
Moritz Eggert: »Künstlerinnen und Künstler sind nicht grundsätzlich ›bessere‹ Menschen als andere.«
Ganz anders ist der Fall gelagert bei lebenden Personen, die noch zur Verantwortung gezogen werden können und deren Opfer lebendig sind. Würden Saint-Saëns und seine Opfer noch leben und wären seine Verfehlungen bekannt, könnte ich jeden Konzertveranstalter verstehen, der keine Lust auf eine Aufführung des Karnevals der Tiere hat. Das ist dann keine Zensur, sondern einfach verständlicher Unwillen, eine Person, die aktuell Verbrechen begangen hat, zu unterstützen. Da diese Person noch darauf reagieren kann (zum Beispiel mit Reue und Einsicht noch zu Lebzeiten) und sie sich auch zum Beispiel Anzeigen und Strafverfahren stellen muss, sehe ich eine Reaktion dieser Art als berechtigte gesellschaftliche Kritik am Handeln der Täter.
Oder anders gesagt: Wenn man heute, in diesem Moment, Verbrechen begeht, dürfen große künstlerische Leistungen nicht als Entschuldigung dafür herhalten. Leider ist dies immer wieder der Fall, weil Menschen sich von Ruhm und Macht blenden oder einschüchtern lassen. Künstlerinnen und Künstler sind nicht grundsätzlich „bessere“ Menschen als andere, und sollten daher auch genauso wie andere Menschen behandelt werden.
(Foto-Quelle: Bibliothèque nationale de France, Département Musique)
Mehr zu Moritz Eggert und zu Aufführungsterminen seiner Werke unter: www.moritzeggert.de
Ein Porträt von Camille Saint-Saëns zum Anhören unter: CRESCENDO.DE