Wir gehen nicht unter!
von Axel Brüggemann
29. April 2024
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
Heute geht es um alles: Um einen Abschied und eine Freundschaft – aber erst einmal um den üblichen Klassik-Kleinkram.
»Schafft die Europa-Hymne ab!«
Eine heiße Debatte zum 200. Jubiläum von Beethovens Neunter Symphonie und das pünktlich vor der Europa-Wahl: Der Musikwissenschaftler Esteban Buch fordert das Ende unserer Europahymne. Der Grund: Beethovens Neunte wird bei offiziellen Anlässen in einer Bearbeitung (ohne Chor) von Herbert von Karajan gespielt. »Karajans Verbindungen zum NS-Régime werden bei jedem erneuten Spielen der Hymne unter den Tisch gekehrt«, sagt Buch, »damit wird jede Aufführung der Karajan-Europahymne zur Fortsetzung des mangelhaften Umgangs mit dem Nazi-Erbe nach dem Krieg.« Buch wird seine These und Forderung beim Symposium Nie gehörte, nie geahndete Wunder – Geheimnisse der heiligen Kunst (4.–6. Mai) im Beethoven-Haus Bonn vertreten. Für Buch eine überfällige Debatte, die »gerade in einer Zeit wichtig ist, in der wir beobachten, dass der Nationalismus in Ländern wie Italien, Ungarn, aber auch bei uns in Frankreich wieder auf dem Vormarsch ist.«
Bayreuther Rückzugsgefechte
Puh, so langsam sind die Herrschaften rund um Georg von Waldenfels von den Freunden der Bayreuther Festspiele nicht mehr zu verstehen. Gerade habe sie angekündigt, dass sie ihre Anteile an der Festspiel-GmbH halbieren wollen. Bislang halten die Freunde so viele Anteile wie der Freistaat Bayern und der Bund (29 Prozent). In Zukunft sollen es nur noch 15 Prozent sein. Offensichtlich sind die Freunde überaltert und haben es nicht geschafft, neue Geldgeber zu akquirieren. Absurd wird es, wenn sie dennoch auf das gleiche Kartenkontingent wie vorher bestehen, ebenfalls auf die gleichen Einflussmöglichkeiten auf dem Grünen Hügel. Das wird so wohl nicht stattfinden – besonders dann nicht, wenn das Land Bayern, wie von Kunstminister Markus Blume angekündigt, die Anteile der Gesellschaft der Freunde übernehmen wird.
Die Jungs laden sich eine Frau ein
Das Bild oben zeigt die Leitungs-Männer der Festspiele Erl rund um Tenor Jonas Kaufmann, die das kommende Programm vorstellen. Unter anderem wird Kaufmann selbst in Parsifal auftreten (Regie: Philipp M. Krenn), Claus Guth wird Herzog Blaubarts Burg inszenieren. Und dann gab es da noch die Aussage, dass die Herren sich jedes Jahr mindestens eine Frau bestellen wollen, weil: »Der Blickwinkel von weiblicher Seite stellt sich oft interessanter und ganz anders dar«, sagte Kaufmann, »es gibt kaum ein Stück ohne #MeToo in der Oper. Daher ist es interessant zu sehen, wie man das von weiblicher Seite betrachtet.« Ich mein, ich bin ein Mann, aber Frauen einzuladen, weil sie den Männern mal #Metoo in der Oper erklären sollen? Also nicht, weil es einfach auch geile Regisseurinnen gibt, die – mit oder ohne weiblichem Blick – spannende Arbeit abliefern? Ist das nicht vollkommen falsch verstandeter Quoten-Machismo? Liebe Regisseurinnen, liebe Lydia Steier, Tatjana Gürbaca, liebe Lotte de Beer, liebe Jasmin Solfaghari, Vera Nemirova, Andrea Breth liebe Mariame Clément – was sagt Ihr denn dazu? Schreibt mir gern mal Eure Meinung.
Und was ist jetzt in München los?
Auf Markus Blume kommt es auch bei der zukünftigen Besetzung der Staatsopern-Spitze in München an. Joana Mallwitz oder Vladimir Jurowski? Serge Dorny oder jemand anderes (das Bild oben zeigt die Protagonisten bei der Programmvorstellung 2022)? Wer macht das Rennen in der neuen Vertragsrunde? Auf BackstageClassical hat sich jetzt Regisseur Barrie Kosky in die Debatte eingemischt und eindeutig Position für Dorny und Jurowski bezogen: »Serge Dorny mit seiner Erfahrung aus Lyon ist für mich ein Intendant, der natürlich aneckt, der Haltung hat, der eine starke Meinung vertritt. Gerade in München ist doch klar, dass das Haus sich ändern muss. Es verändert sich derzeit ja die ganze Definition von Opernstars: Die Zeit nach Jonas Kaufmann und Anna Netrebko wird das Ende dieser alten Definition von ‚großen Opernstars‘ sein. Und jeder Intendant muss deshalb immer auch große Fragen stellen und Antworten für eine Weiterentwicklung finden. Das ist die Definition eines Intendanten. Dass ein Teil des Hauses da manchmal nicht mitzieht, ist doch klar. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es oft eine Minderheit ist, die eine sehr laute Stimme hat.« Aber aus Berlin hört man gleichzeitig immer deutlicher, dass Mallwitz doch schon auf dem Absprung nach München sei. Eindeutigkeit lässt sie im Gespräch mit Bernhard Neuhoff vom BR vermissen. Nachdem Mallwitz vor einigen Tagen noch erklärte, dass es keine Verhandlungen mit München gäbe, tanzt sie nun plötzlich um eine klare Antwort herum.
Das Abendmahl des Justus Frantz
Was verbindet Alice Weidel, Sahra Wagenknecht oder Alexander von Bismarck? Sie alle stehen dem Pianisten Justus Frantz nahe. Vor einigen Monaten postete er ein Bild mit Rechts- und Linkspopulisten und einem putintreuen Kulturmanager. Auf meiner neuen Seite BackstageClassical haben wir nun recherchiert, wer die Gäste dieses Abends waren und was sie verbindet, außer die Einladungsliste von Justus Frantz.
Personalien der Woche
Während die FAZ nun bereits zum zweiten Mal die gleiche Geschichte über das Staatstheater Kassel, seinen Intendanten Florian Lutz und seinen GMD Francesco Angelico erzählt (schon beim ersten Mal kam die Kollegin Lotte Thaler einige Tage nach Vertragsverlängerung mit ihrem Thema zu spät), erklärt Barrie Kosky, dass er nicht sehen könne, dass regieführende Intendanten die musikalische Qualität gefährden: Das sei absoluter »Bullshit«, sagte der Regisseur: »Klar gibt es manchmal persönliche Probleme, und ich will mich in Kassel auch nicht einmischen, aber: Ich erwarte auch von Musikdirektoren mehr Interesse an der Bühne. Es gibt da leider einige, die ihre Position nur so verstehen, dass sie verantwortlich für das Orchester sind – aber das ist eben nicht alles.« +++ Kosky bezieht sich natürlich auch auf die Berufung von Valentin Schwarz als einem von drei designierten Intendanten in Weimar. Warum ausgerechnet Schwarz als Ring-Regisseur, Stefan Herheim als Parsifal-Regisseur, Kosky als Meistersinger-Regisseur und Tobias Kratzer als Tannhäuser-Regisseur als Intendanten reüssieren, erklärte er ironisch damit, dass »man eben den Stempel von Katharina Wagner braucht.« +++ Wiens Staatsopern-Intendant Bogdan Roščić hat seine neue Saison angekündigt und in einem Interview in Die Presse noch einmal nachgelegt. Er verteidigte Teodor Currentzis gegen seine Kritiker (»Tasten-Helden«) und bedauerte, dass die Wiener Philharmoniker den russischen Dirigenten nicht wollen. Außerdem kritisierte er seine Intendanten-Kollegen in Sachen Anna Netrebko: »Inzwischen schleimen ihr wieder jene Intendanten hinterher, die sich ursprünglich als moralische Chef-Empörer aufgespielt haben, das ist ganz unterhaltsam«, sagt Roščić. Von wem er spricht, bleibt unklar. In der Vergangenheit hatte Markus Hinterhäuser öffentlich klargestellt, dass er Anna Netrebko nicht mehr nach Salzburg einladen würde.
Wo bleiben Sie denn nun, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel soll ich schon bleiben? Der Newsletter und ich ziehen ab nächste Woche endgültig auf die neue Seite BackstageClassical um (folgen Sie uns gern auf Facebook, X, Instagram und Spotify). Aber nicht, ohne kurz zurückzublicken:
Als Winfried Hanuschik mich vor 18 Jahren fragte, ob ich die Chefredaktion des CRESCENDO übernehmen will, haben wir uns in die Augen geschaut und geahnt: Der Musikjournalismus braucht Bewegung – und wir haben beide Lust dazu! Dann begann unsere Abenteuerreise. Wir haben gearbeitet, gerungen, wir haben auch ernsthaft gestritten, wir haben uns wieder vertragen – und auf so unendlich vielen Ebenen weiter gemacht. Was für eine Stimmung war das damals in München: Petra Lettenmeier, Liselotte Richter-Lux (Rilu), Michaela Wurstbauer, Stefan »Rübennase« Steitz – was haben wir diskutiert, gelacht, gefeiert (und die Standleitung zur Augustiner-Brauerei nicht trocken werden lassen!)! Mannohmann, wie unendlich viel Spaß macht Zeitungmachen!
Winni und ich haben so ziemlich alle Tiefen, aber vor allen Dingen so viele Höhen erlebt und sind jenseits der Musik echte, dicke Freunde geworden. Es gibt im Journalismus nicht so viele Menschen wie ihn, die mit so viel Leidenschaft, Begeisterung und in absoluter Solidarität Neues auf den Weg gebracht haben, die an neue Wege glauben und sie bereiten. Winni glaubt fest an die Unendlichkeit journalistischer Möglichkeiten: Ich erinnere mich an unsere ersten ECHO-Klassik-Videos (Anarchische Drehs im Gasteig oder ein legendäres Oh Tannenbaum mit Montserrat Caballé), an erste (heute fast niedliche) Video-Kolumnen, als YouTube kaum auf dem Markt war, ich erinnere mich an das einst opulente ECHO-Magazin, das wir jahrelang gemacht haben. Ich erinnere mich an Winnis Idee einer Video-Plattform, an das FOYER, an das Ringen, dem CRESCENDO journalistisches Profil zu geben und den Anzeigenkunden gleichzeitig nicht vor den Kopf zu stoßen. Für eine unserer ersten CRESCENDO-Ausgaben zeichnete sogar Otto eine Klassik-Karikatur (Bild oben).
Und, ja, ich erinnere mich an die Geburt dieses Newsletters vor fünf Jahren und an die Themen, die wir seither gesetzt haben: Es war Winni, der in der Corona-Pandemie, als alle noch in großer Ungewissheit zu Hause saßen, bereit war, einen Not-Fonds ins Leben zu rufen: Spontan konnten wir gemeinsam mit unseren Leserinnen und Lesern 20.000 Euro organisieren und 40 Mal 500 Euro an Künstlerinnen und Künstler in Not weitergeben – bürokratiefrei, und in einer Zeit, als von staatlichen Hilfsprogrammen noch gar keine Rede war.
Wir haben in der Klassik-Woche immer wieder Themen gesetzt, über Personalien berichtet und heiße Eisen angefasst, die viel bewegt haben: CRESCENDO hat in Wiesbaden und Erfurt hinter die Kulissen geschaut, regelmäßig Machtmissbrauch und Ungerechtigkeiten im Klassik-Betrieb angeklagt, große Debatten angeregt. Und Winni hat sich als Verleger stets vor mich in den Wind gestellt: Egal, ob bei Rechtsstreitereien, die Teodor Currentzis gegen uns angestrengt hat, oder wenn Menschen einfach mal ihre Emotionen über unsere Berichterstattung ablassen mussten.
Winni ist ein Verleger der großen alten Schule: Ein Ermöglicher, einer der anderen Freiheiten lässt, einer, der seine Mitarbeiter auch in die Verantwortung nimmt – ein Unternehmer, der keine Idee zum Scheitern verurteilt, bevor sie nicht ausprobiert wurde.
Lieber Winni, die letzten 18 Jahre waren ein atemberaubender Tanz, und ich danke Dir für jeden Schritt. Ich bin sicher, dass Du als Verleger einen Wandel des Musikjournalismus in Gang gesetzt hast, der vielen noch gar nicht richtig bewusst ist. Und ich verspreche Dir, dass wir bei BackstageClassical und in all den vielen Newslettern, die noch geschrieben werden, diesen Geist weiter tragen. Aber viel wichtiger: Ich freue mich darauf, wenn wir das nächste Mal in die Donau springen, uns treiben lassen, die Sonne genießen – und einfach: Kumpel sind!
In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif. Wir lesen uns weiter – schon nächsten Montag …
Ihr
redaktion@backstageclassical.com