Teodor Currentzis und musicAeterna
Ein Lied für Russlands Soldaten
von Axel Brüggemann
24. November 2022
Wie Mitwirkende von Teodor Currentzis’ musicAeterna in sozialen Medien Krieg gegen die Ukraine führen
Von Alexander Strauch und Axel Brüggemann
Auch auf ihrer aktuellen Deutschland-Tournee mit dem Verdi-Requiem verzichten der russisch-griechische Star-Dirigent Teodor Currentzis und sein durch Putin-nahe Geldgeber finanziertes Ensemble musicAeterna aus St. Petersburg auf eine Stellungnahme zum russischen Angriffskrieg. Das Requiem wird von den Konzerthäusern in Baden-Baden und Dortmund als „Statement“ in der aktuellen Situation verstanden.
Doch derweil positionieren sich Mitglieder von musicAeterna durchaus öffentlich zum Krieg in der Ukraine. Zwei Tenöre haben Anfang November auf ihrem „VKontakte-Kanal“ ein prorussisches Kriegslied veröffentlicht. Der melodramatische Song ist mit Militärtrommeln unterlegt und wird mit den Worten angekündigt: „Für die Jungs, die jetzt an der Front für uns kämpfen.“ Im Lied heißt es: „Wieder brennt die Heimat, ich stehe auf, ich gehe. Bete für mich. Der Faschismus stürzt wieder auf uns zu. Zeit, das Mutterland zu retten. Bete für mich. Ich werde meinen Vater und meine Mutter umarmen…“
Ein genauerer Blick in die öffentlichen Social-Media-Kanäle der musicAeterna-Mitglieder lässt das Bild des „unpolitischen Orchesters“ erheblich wackeln. Mindestens zehn Mitwirkende der Kernbesetzung positionieren sich für Putin, Russland oder gar den Krieg. Einige haben zum Kriegsausbruch eine russische Flagge auf ihr Profil gestellt, andere unterstützen Pro-Kriegs-Kommentare, manche sind mit dem Social-Media-Auftritt der brutalen Söldnergruppe Wagner verbunden (die Gräueltaten und Kriegsverbrechen in der Ukraine begeht). Einige nehmen auf Plattformen wie „Telegram“ oder „VK“ persönlich Stellung zum Angriffskrieg Russlands.
Bereits kurz nach Beginn des Krieges schrieb der Tenor, der auch das Kriegslied produzierte: „Ich UNTERSTÜTZE voll und ganz die Politik des russischen Präsidenten V.V. Putin. Dies gilt auch für den Sondereinsatz in der Ukraine.“ Leisere Mitglieder von musicAeterna stimmten dem durch ihr „Like“ zu.
Beim Gastspiel in Baden-Baden hatte ein Geiger des Orchesters letzte Woche einen Instagram-Post abgesetzt, in dem zu sehen war, wie er die Hotel-Heizung aufdrehte und auf Russisch dazu schrieb: „Ich zerstöre die deutsche Wirtschaft.“ Später entschuldigte er sich (dieses Mal auf Englisch) und wurde offensichtlich von den Konzerten in Baden-Baden suspendiert.
Darüber wiederum wunderte sich eine Chorsängerin, die ihren Telegram-Kanal erst nach den Salzburger Festspiel-Aufenthalten des Chores gegründet hat. In verschiedenen Posts stellt sie hier den ukrainischen Präsidenten als Kokain-Abhängigen dar und positioniert sich für Russlands Kriegspolitik.
Dortmunds Intendant Raphael von Hoensbroech will die Einzelfälle prüfen. „Wir haben immer gesagt: Wer sich eindeutig pro Krieg oder pro Kreml äußert, kann bei uns keine Bühne bekommen“, sagt er. „Wir haben im Austausch mit Teodor Currentzis und musicAeterna jederzeit deutlich gemacht, dass (die in Teilen leider offenbar erfolgreiche) russische Propaganda oder den Krieg befürwortende Äußerungen bei uns keinen Platz haben und nicht akzeptiert werden – egal von wem sie kommen.“
Inzwischen wurde in Dortmund wohl auch gehandelt. Auf Anfrage erklärte das Konzerthaus: „In den konkreten Fällen hat musicAeterna mehrere Ensemble-Mitglieder suspendiert. Die betreffenden Musikerinnen und Musiker werden bei uns nicht auftreten.“ Um wie viele Musikerinnen und Musiker es sich handelt, ließ das Konzerthaus offen.
Der Tenor Alexander Gajnutdinow schrieb, nachdem sein Kriegslied auf der Seite der Neuen Musikzeitung kritisiert wurde: „Nun, es scheint, dass meine Kameraden und ich unwissentlich zu Berühmtheiten in Europa geworden sind! Pro-ukrainische europäische Faschisten kreischen jetzt persönliche Worte gegen uns persönlich.“ MusicAeterna und Teodor Currentzis haben auf Anfrage bisher nicht geantwortet.
Dirigent und Orchester stehen seit längerem in der Kritik. Das Orchester hat einen Vorstand, in dem drei der besten Putin-Freunde für die internationale Ausrichtung verantwortlich sind: Russlands Zentralbank-Chefin Elvira Nabiullina, der Chef der sanktionierten VTB Bank, Andrei Kostin, und Putin-Freund und St. Petersburg-Gouverneur Alexander Beglov vorstehen. Es stößt im Westen auf Kritik, dass das Orchester seine Programme (auch jene aus Baden-Baden und Dortmund) weiterhin mit VTB-Bank-Geldern in St. Petersburg probt, und dass Teodor Currentzis mit seinem Ensemble gerade auf Gazprom-Tournee durch Russland gegangen ist. Das Konzerthaus in Wien hatte bereits im Frühjahr bekanntgegeben, dass man musicAeterna vorläufig nicht mehr engagieren wolle, und die Kölner Philharmonie hat gerade ein Konzert von Teodor Currentzis mit dem SWR Symphonieorchester abgesagt, weil man von einer zu großen Abhängigkeit des Dirigenten von Russland ausgehe.