Elsa Dreisig
Elsa Dreisig
von Corina Kolbe
22. März 2020
„Morgen“ betitelt die Sopranistin Elsa Dreisig ihr neues Album. In diesem Morgen sieht sie auch einen Neuanfang. Als Interpretin reizen sie vielschichtige Charaktere.
„Morgen“ betitelt die französische Sopranistin Elsa Dreisig ihr neues Album. In diesem Morgen sieht sie auch einen Neuanfang. Als Interpretin möchte sie starke Emotionen ausdrücken. Vielschichtige Charaktere reizen sie dabei am meisten.
In ihrer Wahlheimat Berlin passiert es Elsa Dreisig immer wieder, dass sie für eine Russin gehalten wird. „Offensichtlich wirken meine Gesichtszüge slawisch“, scherzt die Sängerin, die als Tochter einer Dänin und eines Franzosen in Paris zur Welt kam. Das Leben in unterschiedlichen Kulturen hat sie als Mensch und als Künstlerin stark geprägt. „Ich war immer stolz darauf, zwei Staatsangehörigkeiten zu besitzen“, erzählt sie beim Tee in ihrer Altbauwohnung im Szeneviertel Prenzlauer Berg.
»Die Oper war schon immer meine Welt.«
„Ich bin häufig zu Besuch bei meinen Verwandten in Dänemark. Die Sprache spreche ich von klein auf fließend.“ Durch ihre Mutter, eine Opernsängerin, kam sie früh mit Musik in Berührung. „Die Oper war schon immer meine Welt. Ich erlebte auch von Anfang an, was hinter der Bühne, etwa in der Maske, vor sich ging.“ Ebenso natürlich erschien es Dreisig, selbst vor Publikum aufzutreten. Mit sechs Jahren kam sie in den Kinderchor der Oper in Lüttich, wo ihre Mutter engagiert war. Kurz darauf zogen sie nach Lyon, wo sie weitere Erfahrungen sammelte.
»Als Sängerin muss man auch Theater spielen und Emotionen zeigen.«
„Ich hatte nie Angst, vor anderen zu singen“, erinnert sie sich. „Allerdings musste ich erst lernen, mich auf der Bühne zu bewegen. Ich war ein ziemlich schüchternes Kind, plötzlich fühlte ich mich völlig nackt. Als Sängerin muss man auch Theater spielen und Emotionen zeigen.“ Am schwersten sei es ihr als Teenager gefallen, sich von der kindlichen Stimme zu lösen, bekennt sie. „Da ich zu Hause oft mit meiner Mutter sang, hatte ich die Kinderrolle verinnerlicht. Es war nicht einfach, eine lyrische Frauenstimme zu entwickeln. Man braucht viel Mut, um eine solche Stimme laut aus sich he raus zulassen.“ Auch der Schritt von der Chorsängerin zur Solistin war eine Herausforderung. „Im Kinderchor muss alles glatt poliert klingen. Der Einzelne soll sich nicht von der Gruppe abheben. Erst später habe ich gelernt, wie es ist, auch weniger schön zu singen. Wenn man zum Spaß die Carmen mit Glissando und viel Vibrato singt, kann das ein komisches Gefühl sein.“
Gesangsentdeckung bei den Victoires de la Musique Classique
Hatte nie Angst, vor anderen zu singen: die Sopranistin Eva Dreisig
(Foto und alle Fotos von Eva Dreisig in diesem Beitrag: © Simon Fowler)
Dreisigs Talent blieb nicht lange unbemerkt. Mit 25 gewann sie 2016 den von Plácido Domingo gegründeten Gesangswettbewerb Operalia und wurde als „Gesangsentdeckung“ bei den Victoires de la Musique Classique, der französischen Version der Grammys, gefeiert. Ein Jahr zuvor erhielt sie unter anderem den ersten Preis beim Wettbewerb „Neue Stimmen“ der Bertelsmann Stiftung. Inzwischen ist sie festes Ensemblemitglied an der Berliner Staatsoper Unter den Linden.
»Ich bin keine Künstlerin, die unbedingt allen gefallen muss.«
Zu den Rollen, die ihr schon viel Anerkennung einbrachten, zählt neben Violetta in Verdis La Traviata und Musetta in Puccinis La Bohème auch Pamina in Mozarts Zauberflöte. „Diese Oper liebte ich schon als Kind. Damals achtete ich allerdings weniger auf die erwachsenen Darsteller, sondern auf die drei Knaben, die ungefähr in meinem Alter waren“, sagt sie lachend. Als Interpretin versucht die Sopranistin starke Emotionen auszudrücken. „Wenn ich selbst spüre, dass in meinem Herzen und in meinem Bauch etwas passiert, bin ich sicher, dass die Zuschauer das ebenfalls spüren. Mir ist bewusst, dass dies auf jeden Einzelnen unterschiedlich wirken kann. Ich bin aber auch keine Künstlerin, die unbedingt allen gefallen muss. Wichtig ist, die eigene Persönlichkeit zu bewahren.“
»Auf dem Album ‚Morgen‘ unternehmen wir eine innere Reise.«
Für ihr erstes Album „Miroirs“ nahm Dreisig bekannte Sopranpartien aus Opern wie Rossinis Il barbiere di Siviglia, Mozarts Le nozze di Figaro oder Gounods Roméo et Juliette auf. Jetzt erscheint ihre neue CD „Morgen“. Gemeinsam mit dem Pianisten Jonathan Ware präsentiert sie Lieder von Richard Strauss, Henri Duparc und Sergei Rachmaninow. „Auf diesem Album unternehmen wir eine innere Reise.
Nahm mit Elsa Dreisig das Album „Morgen“ auf: der Pianist Jonathan Ware
Der Titel hat eine Doppelbedeutung, die ich sehr poetisch finde. Man denkt an den Morgen und an den morgigen Tag, der auch für einen Neuanfang steht.“ Dreisig und Ware wollen die drei Komponisten miteinander in einen Dialog bringen. „Strauss« Vier letzte Lieder passen gut zu Duparcs L’invitation au voyage und La vie antérieure. Hinzu kommen noch die wunderschönen Lieder von Rachmaninow, die weniger bekannt sind.“
Neue Kräfte schöpfen zwischen den Rollen
Komplex und tiefgründig muss eine Opernrolle für Eva Dreisig sein
Wie viele andere Sängerkollegen hat auch Elsa Dreisig die Erfahrung gemacht, dass ein Liederabend weitaus kräftezehrender ist als so manche längere Opernpartie. „Ein Lied dauert zwar nur drei oder vier Minuten. Als Sängerin stehe ich aber ganz allein vor dem Publikum, das ist sehr intensiv. Es gibt viel Text zu singen, und man wechselt rasch zwischen verschiedenen Sprachen“, sagt sie. „Ich brauche danach immer ein paar Tage, um mich wieder zu regenerieren. Die Mezzosopranistin Elīna Garanča sagte einmal, man fühle sich in Tausende Puzzleteile aufgespalten. Mir geht es genauso.“ Lange sei sie eher zu hart zu sich selbst gewesen und habe sich oft zu viel zugemutet, gibt sie zu. Mittlerweile verstehe sie, dass es kein Zeichen für Schwäche sei, zwischen zwei verschiedenen Rollen neue Kräfte schöpfen zu müssen.
»Dass Frauen angeblich keinen eigenen Willen haben und manipulierbar sind, geistert noch heute in den Köpfen mancher Männer herum.«
Nicht nur musikalisch, sondern auch vom Inhalt her könnten viele Lieder und Opern aus früheren Jahrhunderten das Publikum nach wie vor fesseln, meint sie. „Die Themen sind weiterhin aktuell. Gerade studiere ich die Rolle der Fiordiligi in Mozarts Così fan tutte ein. Dass Frauen angeblich keinen eigenen Willen haben und manipulierbar sind, geistert noch heute in den Köpfen mancher Männer herum. Wir haben also weiterhin ein bisschen damit zu kämpfen.“ An den Charakteren, die sie auf der Bühne verkörpert, interessiert Dreisig vor allem die Vielschichtigkeit. „Wenn ich eine Frauenrolle interpretiere, muss sie komplex und tiefgründig sein. Wenn jemand nur entweder ganz glücklich oder ganz traurig ist, wirkt das auf mich nicht echt. Das Leben ist komplex, und in der Oper sollte man nichts verflacht darstellen.“
»Als Künstlerin will ich wissen, wo ich als Mensch in der Gesellschaft stehe.«
Während Dreisig Tee nachschenkt, erklärt sie, dass sie sich als Sängerin aus vielen verschiedenen Richtungen inspirieren lässt. Sie lese viel und gehe auch gern ins Kino. „Als Künstlerin will ich wissen, wo ich als Mensch in der Gesellschaft stehe“, meint sie. Dazu gehöre für sie auch, über Klimawandel und Umweltschutz nachzudenken. Lange Zeit habe sie kaputte Gegenstände achtlos weggeworfen. Inzwischen sei es ihr aber wichtig, unnötigen Müll zu vermeiden und so weit wie möglich auf Plastikverpackungen zu verzichten. „Zu 100 Prozent wird man das allerdings kaum schaffen. Ich möchte deshalb von vornherein keine extreme Haltung annehmen, sondern einen realistischen Mittelweg finden.“
»Man kann einiges im Alltag verändern, ohne die Freude am Leben zu verlieren.«
Auch Flugreisen stehen bei ihr auf dem Prüfstand. Um ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern, mag die Sängerin nicht mehr für einige wenige Konzerte den Kontinent wechseln. Bei Tourneen, etwa nach Asien, will sie künftig möglichst einen ganzen Monat einplanen und mit Zug oder Schiff von Ort zu Ort fahren. Auch bei privaten Reisen plant sie, auf die Bahn auszuweichen. „Ganz so einfach wird das nicht werden. Mein Freund lebt in Paris, das ist weit entfernt von Berlin. Ich bin aber sicher, dass ich eine gute Lösung finden werde. Man kann einiges im Alltag verändern, ohne die Freude am Leben zu verlieren.“
Richard Strauss, Sergei Rachmaninow, Henri Duparc: „Morgen“, Elsa Dreisig, Jonathan Ware (Erato)
Zu beziehen u.a. bei: www.jpc.de
CRESCENDO-Abonnenten können das Album kostenfrei in der NML anhören: www.nml.com