Emmanuel Pahud

Die Verlo­ckung der Träume

von Corina Kolbe

23. November 2019

Der Flötist Emmanuel Pahud über musikalische Visionen, den Dialog mit einer Schreibmaschine und den Vorteil kosmopolitischer Städte.

Der Flötist über musi­ka­li­sche Visionen, den Dialog mit einer Schreib­ma­schine, den Vorteil kosmo­po­li­ti­scher Städte und sein Album „Dreamtime“.

Klick, klack, klack – pling! Nicht alle Tage trifft Emma­nuel Pahud (Foto oben: © Josef Fischnaller) auf eine so unge­wöhn­liche Kammer­mu­sik­part­nerin. In Olga Neuwirths surreal anmu­tendem Werk Aello. Ballet méca­no­morphe kommu­ni­ziert die Quer­flöte tempe­ra­ment­voll mit einer mecha­ni­schen Schreib­ma­schine. Die Kompo­nistin ließ sich von Bachs Bran­den­bur­gi­schen Konzerten und von Colette inspi­rieren. Denn die Pariser Schrift­stel­lerin hat bei solchen Klängen an eine „gött­liche Nähma­schine“ gedacht.

Verrückter Barock, modern erlebt

„Es ist verrückter Barock, modern erlebt“, lacht Pahud. Er führte das Stück kürz­lich mit Stipen­diaten der Karajan-Akademie der auf. Am Pult stand die finni­sche Diri­gentin und Neue Musik-Expertin . Zu dem ­Ensemble aus Strei­chern und Bläsern gesellten sich ein Synthe­sizer-Cembalo in baro­cker Stim­mung, eine Portiers­glocke und ein Triangel mit elek­tri­schem Milch­auf­schäumer. „Zeit­ge­nös­si­sche Musik ist für mich sehr bele­bend“, meint der lang­jäh­rige Solo­flö­tist der Phil­har­mo­niker. Neben seinem Orches­terjob ist er regel­mäßig mit eigenen Projekten rund um den Globus unter­wegs.

Der Flötist Emma­nuel Pahud: „Zeit­ge­nös­si­sche Musik ist für mich sehr bele­bend.“

Und so finden sich auch auf seinem neuen Album ­„Dreamtime“, das er mit dem unter Leitung seines Chefs Ivan Repušić aufge­nommen hat, Kompo­nisten der Gegen­wart. Der Titel erin­nert an das gleich­na­mige Flöten­kon­zert, das der fran­zö­si­sche Kompo­nist ­Phil­ippe Hersant vor einigen Jahren für Pahud geschrieben hat. Dieses Stück, das teils albtraum­hafte Züge trägt, ist zwar nicht auf der CD zu hören – dafür aber das Konzert für Flöte und Kammer­or­chester von , der wie Hersant die Grau­zonen des mensch­li­chen Bewusst­seins zwischen Schlafen und Wachen auslotet.

Der Weg zum Jenseits

„In Pender­e­ckis Konzert hat man anfangs das Gefühl, aus einem schlechten Traum aufzu­wa­chen. Alles um einen herum wirkt undeut­lich, schat­ten­haft. Die Musik lebt von diesem Kontrast, von dem Kampf zwischen Schlafen-Wollen und ­Nicht-Schlafen-Können“, erklärt er. „Den Schluss hat Pender­ecki bei einer Mond­fins­ternis geschrieben. Sein Werk endet in einer Atmo­sphäre von Ruhe und Verträumt­heit. Er hat selbst ange­merkt, dass er so den Weg zum Jenseits gefunden hat.“ Zehn Jahre nach der Urauf­füh­rung 1993 durch den legen­dären Flötisten Jean-Pierre Louis Rampal hat Pahud das Werk eben­falls unter Leitung Pender­e­ckis mit dem Orchestre de Chambre de gespielt.

Der Flötist Emmanuel Pahud über musikalische Visionen, den Dialog mit einer Schreibmaschine und den Vorteil kosmopolitischer Städte.

Der Flötist Emma­nuel Pahud: „Die Faszi­na­tion der Träu­merei in der Musik zieht sich wie ein roter Faden durch das Album.“
(Foto: © Josef Fischnaller)

Bei Tōru Takemitsus I Hear the Water Drea­ming verrät bereits der Titel den Bezug zur Sphäre des Oniri­schen. Der japa­ni­sche Kompo­nist wurde hier von einem Gemälde inspi­riert, das auf den Traum­zeit-Mythos der austra­li­schen Abori­gines Bezug nimmt. Pahud ist aber längst nicht nur auf Zeit­ge­nös­si­sches spezia­li­siert. Er hat auch viel Barock­musik und Reper­toire aus anderen Epochen aufge­führt.

Ohrwürmer, die jeder summen oder pfeifen kann

In der Romantik spielte die Flöte aller­dings eine unter­ge­ord­nete Rolle. „Damals wurden kaum Werke für dieses Instru­ment geschrieben. Man lebte in einer Umbruch­zeit. Das änderte sich erst, als sich mit der Böhm-Flöte die moderne Quer­flöte durch­setzte.“ Einer der wenigen roman­ti­schen Kompo­nisten, die sich für die Flöte stark machten, war Carl Reinecke. „Er hat wunder­schöne Musik geschrieben, Ohrwürmer, die jeder summen oder pfeifen kann. Sein spätes Flöten­kon­zert D‑Dur entstand 1908, zwei Jahre vor seinem Tod. Die Faszi­na­tion der Träu­merei in der Musik zieht sich wie ein roter Faden durch das Album.“

Der Flötist Emma­nuel Pahud: „Das Mozart-Konzert hat mein Leben geprägt und verän­dert.“

Ferruccio Busonis Diver­ti­mento von 1920 ist für Pahud wiederum ein Binde­glied zwischen heutigen Kompo­nisten und der Flöten­musik aus der Zeit Mozarts. Dessen Andante C‑Dur KV 315 hat er in all seinen subtilen Farb­schat­tie­rungen bereits oft auf die Bühne gebracht. Ohnehin ist der berühmte Salz­burger von Kind­heit an einer seiner musi­ka­li­schen Fixsterne. Als Pahud, der 1970 in Genf geboren wurde, mit seinen Eltern vorüber­ge­hend in lebte, hörte er im Alter von vier Jahren einen älteren Nach­bars­jungen auf der Flöte musi­zieren. Sofort war er faszi­niert von ihrem Klang.

Der Flötist Emma­nuel Pahud: „Das Mozart-Konzert hat mein Leben geprägt und verän­dert.“

Vor allem Mozarts Konzert G‑Dur ließ ihn nicht mehr los, sodass er zwei Jahre später selbst begann, die Quer­flöte zu lernen. Mit 15 spielte er genau dieses Werk, das ihn elf Jahre vorher inspi­riert hatte, bei seinem ersten öffent­li­chen Auftritt als Solist mit dem belgi­schen Natio­nal­or­chester. war es auch, wo er bereits einen natio­nalen Wett­be­werb gewonnen hatte. „Das Mozart-Konzert hat mein Leben geprägt und verän­dert“, erin­nert er sich. Zehn Jahre später nahm er es mit den Berliner Phil­har­mo­ni­kern unter ihrem dama­ligen Chef auf.

Der Flötist Emmanuel Pahud über musikalische Visionen, den Dialog mit einer Schreibmaschine und den Vorteil kosmopolitischer Städte.

Der Flötist Emma­nuel Pahud über , den neuen Chef­di­ri­genten der Berliner Phil­har­mo­niker: „Mit großer Über­zeu­gungs­kraft ergründet Petrenko die Vorstel­lungen eines Kompo­nisten.“
(Foto: © Josef Fischnaller)

Bereits mit Anfang 20 Solo­flö­tist und jüngstes Mitglied eines der welt­weit renom­mier­testen Orchester zu werden, verdankt Pahud nicht zuletzt seinem Lehrer Aurèle Nicolet. Dieser war ein Studi­en­freund jenes Nach­barn in Rom, dessen Sohn seine Liebe zur Musik geweckt hatte. Als er den Schweizer Virtuosen bei Auftritten in Rom erlebte, hatte er den Eindruck, dieser bringe sein Instru­ment auf der Bühne zum Glühen: „Er verkör­perte für mich das Ideal eines Flöten­so­listen.“ Als Pahud bereits mehrere Wett­be­werbe gewonnen und erste Erfah­rungen in Orches­tern gesam­melt hatte, wurde er einer der letzten Privat­schüler Nico­lets. Dieser berei­tete ihn 1992 mit Erfolg auf den Concours Inter­na­tional de und das Probe­spiel bei den Berliner Phil­har­mo­ni­kern vor.

Die Vorstel­lungen eines Kompo­nisten als musi­ka­li­sches Holo­gramm

Als Orches­ter­mu­siker hat er nach der Ära Abbado auch die Zeit mit Simon Rattle erlebt. Der künf­tigen Zusam­men­ar­beit mit Kirill Petrenko, seit August dieses Jahres neuer Chef­di­ri­gent des Orches­ters, blickt er freudig entgegen: „Seine Wahl liegt inzwi­schen mehr als vier Jahre zurück. Die Lust, mitein­ander zu musi­zieren, hat seitdem immer weiter zuge­nommen. Mit großer Über­zeu­gungs­kraft ergründet Petrenko die Vorstel­lungen eines Kompo­nisten. Als eine Art musi­ka­li­sches Holo­gramm lässt er sie im Konzert wieder­erstehen. Daraus resul­tiert eine Magie, die deut­lich zu spüren ist.“

Der Flötist Emma­nuel Pahud: „Berlin ist ein Ort, der einen dazu verlockt, eigene Träume zu verwirk­li­chen.“

Auch wenn Pahud als Solist und Kammer­mu­siker mehrere Monate im Jahr auf Reisen ist, fühlt er sich vor allem im kosmo­po­li­ti­schen zu Hause. „Von meiner Herkunft her bin ich Fran­zose und Schweizer. Ich besitze beide Pässe. Als Kind habe ich mit meinen Eltern in Bagdad, Paris, Madrid, Rom und gelebt. Und seit 30 Jahren bin ich nun Berliner. Die Stadt, in der so viele Menschen aus unter­schied­li­chen Nationen zusam­men­kommen, ist für mich nach wie vor ein Ort, der einen dazu verlockt, eigene Träume zu verwirk­li­chen. Im Ideal­fall entspricht dies auch dem Leben des Künst­lers auf der Bühne.“

Krzy­sztof Pender­ecki, Carl Reinecke, Wolf­gang
Amadeus Mozart u.a.: „Dreamtime“, Emma­nuel Pahud,
Münchner Rund­funk­or­chester, Ivan Repušić ()
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Weitere Infor­ma­tionen und Auftritts­ter­mine:
www​.emma​nu​el​pahud​.net

Mehr über Flöten­werke: crescendo​.de

Fotos: Josef Fischnaller