Freddie De Tommaso
„Tenorgesang muss so aufregend sein wie ein Hochseilakt“
29. August 2021
Freddie De Tommaso steht in der Tradition der großen italienischen Tenöre. Mit italienischen Canzonen und Romanzen hat er sein Debütalbum „Passione“ herausgebracht.
Freddie de Tomaso erzählt im Gespräch von seinem Anfang als Bariton, seiner Bewunderung für Franco Corelli und seiner Liebe zu italienischen Romanzen und Canzonen.
CRESCENDO: Die unvermeidliche Frage: Wie haben Sie die Pandemie soweit überstanden?
Freddie De Tommaso: Dass ungefähr 90 Prozent der Veranstaltungen abgesagt werden mussten, hat mich hart getroffen, besonders weil nach meinem Abgang vom Opernstudio der Bayerischen Staatsoper im Sommer 2019 mein Sängerleben erst so richtig begonnen hat. Nach Cassio in Otello in London und Ismaele in Nabucco in Amsterdam kam es noch zu einem einzigen Probentag in Dresden für Madama Butterfly – und plötzlich war vorerst alles vorbei. Zum Glück konnten wir die Butterfly zur Saisoneröffnung 2020/2021 in Wien vor Publikum verwirklichen, aber abgesehen davon war nichts mehr möglich. Es war frustrierend, genau in dem Moment, da man so richtig durchstarten möchte, ausgebremst zu werden. Einer meiner beiden Brüder und ich waren erkrankt, aber wir haben es problemlos hinter uns gebracht. Dem Rest meiner Familie ist es glücklicherweise erspart geblieben.
Als Kind einer britisch-italienischen Familie könnte man sich den kleinen Freddie klischeegemäß als Sängerknaben vorstellen, der zuhause italienische Volkslieder und sogar Opernarien singt. Wie war es wirklich?
Ganz anders – obwohl ich tatsächlich schon als Kind zu singen begonnen habe: Ich bin nämlich in der englischen Chortradition groß geworden. Es war aber immer bloß Hobby und Wahlfach, nie mit einer beruflichen Absicht verbunden. Erst mit 20 kam ich auf die Idee, richtige Gesangsstunden zu nehmen – und zwar als Bariton. An der Royal Academy of Music in London wechselte ich dann nach anderthalb Jahren zum Tenor.
Da haben Sie berühmte Vorgänger, aber deren Geschichten differieren. Mussten Sie sich die Höhe Schritt für Schritt erarbeiten, oder ging plötzlich eine Tür nach oben auf?
Schon als Bariton fühlte ich mich bis zum hohen B recht wohl, der Rest darüber ging an manchen Tagen, an anderen nicht. Mit dem richtigen Lehrer und der richtigen Technik, eingesetzt schon in Mittellage und Passaggio (Übergang zum hohen Register, Anm.), kamen die hohen Töne dann ohne Probleme.
Sie haben 2018 beim Viñas-Wettbewerb in Barcelona richtig abgeräumt, indem Sie den Ersten Preis, den Plácido-Domingo-Tenor-Preis und den Verdi-Preis gewonnen haben. Heißt das, diese Art von Leistungsdruck stecken Sie weg? Berühmte Tenöre der Vergangenheit wie Giacomo Aragall und auch Franco Corelli waren dafür bekannt, nicht mit den besten Nervenkostüm gesegnet zu sein.
Bislang bin ich mit so etwas gut zurechtgekommen. Durch die Absage in Dresden war die Wiener Butterfly-Première plötzlich alles zusammen: mein Haus- und zugleich auch persönliches Rollendebüt als Pinkerton, live in Fernsehen und Radio, und noch dazu die Wiedereröffnung des Hauses nach dem ersten Lockdown. Das war in dieser Form wirklich nicht geplant – und trotzdem konnte ich damit ganz gut umgehen. Ich bin lustigerweise viel nervöser, wenn ich vor drei Leuten singe als vor 3000. Am schlimmsten war für mich meine Führerscheinprüfung: nur ich und der Fahrlehrer!
»Das richtige Tenor-Gefühl stellt sich für mich dann ein, wenn es so aufregend ist wie ein Hochseilakt im Zirkus.«
Hatten Sie Lieblingssänger oder sogar einen Lieblingstenor während des Studiums?
Als ich ein ganz junger Bariton in England war, mochte ich Bryn Terfel besonders, wen sonst? Während des Studiums und besonders mit meinem Fachwechsel zum Tenor wurde dann Franco Corelli zu meinem Idol. Es gab viele fantastische Tenöre in der Vergangenheit, aber er war für mich immer etwas Besonders und ist es auch geblieben.
Was fasziniert Sie an Corelli?
Die Leidenschaft, die stets mitschwingt, dass er squillante (hell, Anm.d.Red.) klingt, also mit einer besonderen Strahlkraft, die Tatsache, wie sich seine Höhe öffnet, wie er die Mittellage kontrolliert… Alles das und noch mehr. Das richtige Tenor-Gefühl stellt sich für mich dann ein, wenn es so aufregend ist wie ein Hochseilakt im Zirkus.
Mit Ihrer ohnehin ins Dramatische tendierenden Stimme liegen Ihnen Verdi und Puccini am nächsten. Ist es für einen jungen Sänger wie Sie dadurch besonders schwierig, nicht zu früh zu schwere Rollen anzugehen?
Niemand kann die eigene Stimme besser kennen als man selbst. Man muss gewisse Dinge ausprobieren und herausfinden, wie sich das anfühlt – aber natürlich zuhause im Arbeitszimmer. Mit Duca und Alfredo in La traviata, die mit jüngeren Sängern in Verbindung gebracht werden, fühle ich mich einfach nicht oder nicht mehr wohl, mir liegen die Tenorrollen in Ernani, Il corsaro, Un ballo in maschera oder Simon Boccanegra längst mehr.
Ich nehme an, Sie mussten trotzdem schon einige verrückte Angebote zurückweisen?
Das kann man wohl sagen! Der Trick ist, sich Aufgaben zu stellen, ohne sich nachhaltig zu überanstrengen. Zum Glück habe ich eine großartige Managerin und Agentin, die mir zur Seite steht, und ich ziehe immer noch meinen Gesangslehrer zu Rate. Sie helfen mir auch dabei, in der Planung einer Saison nach einer gewissen Herausforderung auf abgesichertes Terrain zurückzukehren. Es bleibt aber ein Balanceakt, besonders deshalb, weil ich als Sportler sehr ehrgeizig bin – und zugleich weiß, dass die Geschichte voll ist von Tenören, deren Karriere ein trauriges, zu frühes Ende genommen hat.
»Eines der besten Komplimente, die man in unserem Beruf bekommen kann, ist, individuell und sofort erkennbar zu klingen.«
Sprechen wir über Stil. Corelli haben Sie schon erwähnt, wenn man noch den etwas älteren Mario del Monaco nennt, den prägenden Otello der 1950er-Jahre, dann hören wir heute eine stark vom Verismo beeinflusste Singweise. Andere Tenöre wie zum Beispiel Carlo Bergonzi haben vielleicht nicht diesen erotischen Tenor-Thrill auf die Bühne gebracht, sind aber als technisch höchst versierte Sänger und feinsinnige Musiker bis heute ein Maßstab. Ein Alfredo Kraus hat sein angestammtes Repertoire nie verlassen und mit 70 Jahren noch gesungen…
Die Stimmen von heute klingen nicht mehr so und werden nicht mehr so eingesetzt wie in den 1950er- und 60er-Jahren. Ich weiß nicht genau warum, aber es ist eine Tatsache – und ich beklage es. Es liegt sicher nicht daran, dass heute weniger junge Leute Gesang studieren, das werden nämlich immer mehr, und so betrachtet, müssten wir eigentlich heute mehr unverwechselbare Stimmen haben. Ich möchte mich bemühen, den Stil von einst bis zu einem gewissen Grad wieder zu etablieren. Denn eines der besten Komplimente, die man in unserem Beruf bekommen kann, ist doch, individuell und sofort erkennbar zu klingen.
In Wien singen Sie im Januar 2022 Macduff in der Inszenierung von Macbeth durch Barrie Kosky, mit Luca Salsi als Macbeth, Anna Netrebko als Lady Macbeth und mit Philippe Jordan am Pult.
Macduff ist eine Art von Sprungbrett für einen jungen Tenor, man braucht eine gute Stimme, um die Arie angemessen interpretieren zu können, aber es ist keine alles entscheidende Rolle. Ich werde sie vermutlich nach der Wiederaufnahme in der nächsten Saison ablegen. Aber die ganze Szene ist großartig, der Chor Patria oppressa ist extrem eindrucksvoll und klingt ein bisschen wie ein sakrales Stück, ein Madrigal, das die Stimmung genau trifft.
Was sind Ihre nächsten Pläne?
In der Saison 2022 kommt in Wien, abgesehen von Macbeth-Reprisen, der Don José in Carmen, in Covent Garden mein Debüt als Cavaradossi in Tosca. Da freue ich mich schon auf meine gute Freundin Anna Pirozzi. An der Scala gebe ich mein Haus- und Rollendebüt als Maurizio in Adriana Lecouvreur, dann wird die Dresdner Butterfly nachgeholt, und eine weitere Produktion folgt in London. Und auch in München kommt ein Macbeth. Das reicht, zumal ich immer noch jung bin und von den langen Probenphasen sehr profitiere, speziell beim Maurizio.
Auf ihrer Debüt-CD „Passione“ schwelgen Sie aber lieber in italienischen Canzonen und Romanzen, einige sogar im Dialekt, obwohl auch Bellini und Puccini vertreten sind.
Mein Vertrag mit Decca kam im Zuge des Viñas-Wettbewerbs zustande, mit 24. Ich hatte noch kein richtiges Repertoire und wollte keine Arien aufnehmen aus Partien, die ich noch nicht auf der Bühne gesungen hatte. Außerdem singe ich nicht das, was viele von einem jungen Tenor erwarten würden, Dalla sua pace oder Una furtiva lagrima zum Beispiel. Und eine Debüt-CD mit großen Verdi- und Puccini-Nummern wäre anmaßend. Also kamen wir auf diese Lieder, die ich schon so lange kenne und liebe, teilweise durch mein Faible für Tenöre der Vergangenheit. Corelli, Carlo Bergonzi, del Monaco, und noch früher Beniamino Gigli, Aureliano Pertile, Enrico Caruso, sie alle haben das gesungen. Ich liebe dieses Repertoire, das in den letzten 30, 40 Jahren etwas in Vergessenheit geraten ist und möchte es wieder in Mode bringen. Und das mit dem London Philharmonic Otchestra und Renato Balsadonna am Pult aufzunehmen, war einfach großartig und hat mir einen Riesenspaß bereitet. Einige Lieder erklingen hier erstmals in großen, wunderbaren Arrangements: Puccinis Mentia l’avviso und Sole e amore sowie Respighis Nebbie, das sind Weltersteinspielungen in dieser Form. Diese auch mal live zu singen, wäre ein Traum von mir.
Welche Dirigenten waren für Sie bisher besonders bedeutsam?
Anthony Pappano mag ich sehr, er war in London beim Otello wunderbar hilfreich, und in Wien hat sich der angesprochene Druck der Butterfly-Première insbesondere durch Philippe Jordan beinahe in Luft aufgelöst, und beim TV-Nabucco hier mit Domingo war Marco Armiliato großartig. Unter seiner Leitung gebe ich im September als einer von drei Tenören im Teatro di San Carlo in Neapel ein Konzert zum 100. Todestag von Enrico Caruso, mit meinen Kollegen Francesco Meli und Franceso Demuro. „Die drei Fs“ – Francesco, Francesco und Freddie!
Weitere Informationen zum Gala-Konzert Tribute to Enrico Caruso am 19. September 2021 im Teatro di San Carlo von Francesco Meli, Freddie De Tommaso und Francesco Demuro mit dem Orchestra of Teatro di San Carlo und Marco Armiliato am Pult unter: www.teatrosancarlo.it