Gottfried von Einem
Musik-Weltbürger
6. Februar 2018
Opernruhm, politischer Widerstand und musikalische Vielfalt – zum 100. Geburtstag von Gottfried von Einem.
Am 24. Februar wäre er 100 Jahre alt geworden: Gottfried von Einem ist zwar ein geläufiger Name in der klassischen Moderne, doch wer kennt seine Musik? Allenfalls einige seiner Opern, allesamt rauschende Premieren-erfolge, tauchen weiterhin auf den Spielplänen auf: Dantons Tod nach Büchner, Der Prozess nach Kafka oder Der Besuch der alten Dame nach Dürrenmatt. Dantons Tod, 1947 das erste Bühnenwerk überhaupt, das bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt wurde, war lange Zeit die erfolgreichste Oper der Nachkriegszeit.
Von Einem, 1918 in Bern geboren, wuchs in Schleswig-Holstein auf und machte während des Dritten Reichs die ersten Schritte an die Öffentlichkeit. Als Korrepetitor unter Heinz Tietjen lernte er in Berlin zunächst das Opernhandwerk von der Pike auf, bevor er ab 1941 bei Boris Blacher, jenem großen Meister der inneren Emigration, privat Komposition studierte. Blacher vermittelte ihm nicht nur strukturelle Ausrichtung innerhalb des Metiers, sondern endlich auch eine klare ethisch-politische Orientierung. Man hörte gemeinsam die „Feindsender“ und bewegte sich in Widerstandskreisen. Von Einems Mutter spielte virtuos auf der Klaviatur der Hochfinanz und Politik und bezahlte dafür zunächst – als „Mata Hari“ des Dritten Reichs verdächtigt – mit Gestapo-Haft und einem Todesurteil in Paris in Abwesenheit, nach dem Krieg dann mit langjähriger Haft in Frankreich, bevor der Freispruch erfolgte. Bis zum Ende ihres Lebens leugnete sie, dass Gottfried von Einems leiblicher Vater der ungarische Graf László Hunyady war, der auf einer gemeinsamen Großwildjagd in Ägypten von einem Löwen zerrissen wurde.
Nach dem Krieg war Gottfried von Einem Direktoriumsmitglied der Salzburger Festspiele und läutete dort eine neue Ära zeitgenössischer Musik ein. Wir verdanken ihm aber auch, dass Furtwängler Don Giovanni und Othello dirigierte. Er wehrte sich letztlich erfolglos gegen die totale Machtübernahme Karajans und des hedonistischen Kommerzialismus, da man ihn aus dem Direktorium warf, nachdem er sich für den „Kommunisten“ Bertolt Brecht eingesetzt und diesem einen österreichischen Pass verschafft hatte. Auch sein Plan, Brecht einen „Salzburger Totentanz“ als Ersatz für Hofmannsthals Jedermann schreiben zu lassen, wurde ausgehebelt.Doch umso steiler war in den 1950er-Jahren sein Aufstieg als Komponist, dessen Werke Dirigenten wie Karajan, Kubelík, Keilberth, Solti, Böhm, Sawallisch oder Mehta aus der Taufe hoben.
Im Laufe der 1960er-Jahre wurde die Kritik von Seiten der Avantgardisten immer lauter. Man warf ihm – wie Schostakowitsch oder Britten – Rückständigkeit vor. Von Einem kümmerte sich nicht um Neider und Gegner und polemisierte gegen den Dilettantismus der dogmatischen Serialisten und Postserialisten. Jenseits seiner höchst wirkungsvollen Opern und der beiden kraftvollen Kantaten Stundenlied und An die Nachgeborenen schuf er großartige Orchesterwerke in einem extrem breit gefächerten, in seiner Gegenwärtigkeit, innig empfundenen Sanglichkeit und subtilen architektonischen Meisterschaft unverkennbar persönlichen Ausdrucksspektrum. Darunter sind neben vier Sinfonien Werke wie der Bruckner-Dialog oder die Orchestermusik op. 9 mit ihren wilden Kaskaden hervorzuheben. Seine knapp geformten Lieder sind wunderbar, und als Höhepunkte möchte ich seine fünf Streichquartette nennen. Gottfried von Einem war einer der feinsten Komponisten seines Jahrhunderts. Er starb 1996 in seiner niederösterreichischen Wahlheimat Oberdürnbach und wurde postum für die unerschrockene Rettung eines jüdischen Kollegen vor den Nazi-Schergen in Yad Vashem als „Gerechter der Völker“ verewigt. Die ernsthafte Beschäftigung mit dem zeitlosen Schaffen dieses musikalischen Weltbürgers, dessen mystische Oper Jesu Hochzeit von den Inquisitoren der katholischen Kirche diffamiert wurde, ist überfällig.