Günter Hänssler

»Ich bin kein Mann des Konjunk­tivs«

von Teresa Pieschacón Raphael

3. Dezember 2019

Günter Hänssler, Gründer des Labels Profil, im CRESCENDO-Gespräch über Erfolg, Rückschläge und Aufbruch

Günter Häns­sler, Gründer des Labels Profil, über Erfolg, Rück­schläge und Aufbruch

CRESCENDO: Alles fing 1919 mit einem kleinen Lied an…

Günter Häns­sler: Auf Adlers Flügeln getragen von Anni von Viebahn, ein geist­li­ches Gedicht, das mein Groß­vater, Fried­rich Häns­sler, vertonte, das aber keiner drucken wollte. So grün­dete er in einen Verlag.

Verlagsgründer Friedrich Hänssler, der Großvater von Günter Hänssler

Grün­dete 1919 in Stutt­gart einen Verlag: Fried­rich Häns­sler, der Groß­vater von Günter Häns­sler 

Neben eigenen Kompo­si­tionen veröf­fent­lichte er Kirchen­lieder und Werke jüdi­scher Kompo­nisten wie . Nach öffent­li­chen Diffa­mie­rungen wurde der Verlag 1941 verboten.

Friedrich Hänssler, der Vater von Günter hHänssler

Lebte für das Evan­ge­lium: Fried­rich Häns­sler, der Vater von Günter Häns­sler 

CRESCENDO: Nur kurz nach dem Ende des Zweiten Welt­kriegs erhielt Ihr Groß­vater 1945 von den Alli­ierten die Lizenz zur Wieder­auf­nahme seiner Arbeit.

Günter Häns­sler: Ja, ab 1950 ist mein Vater langsam einge­stiegen. Als junger Mann wäre er fast an Tuber­ku­lose gestorben. Bei meinem Groß­vater war das eine ganz kleine Veran­stal­tung mit zwei, drei Mitar­bei­tern. Bei meinem Vater hat sich der Verlag sprung­haft entwi­ckelt…

CRESCENDO: …mit Chor- und Gesang­bü­chern. Es heißt, der erste Band der Lieder­buch-Reihe „Jesu Name“ wurde mehr als eine Million Mal gedruckt.

Günter Häns­sler: Die Lieder­bü­cher und Helmuth Rilling haben sehr zu dem Erfolg und, wenn Sie so wollen, zu der Marke beigetragen. Rilling war eines Tages in den 1950er-Jahren in den Laden gekommen auf der Suche nach Noten für seinen damals kleinen Gächinger Chor. Groß­zügig hat ihm mein Vater einen Satz Noten geschenkt. Daraus wurde eine Freund­schaft. Mein Vater grün­dete 1975 mit Laudate ein Plat­ten­label für vorrangig sakrale klas­si­sche Musik, aus dem später hervor­ging. 1976 machte Rilling für ihn die erste Platten-Box mit geist­li­cher Musik der Bach-Familie, die sich erstaun­lich gut verkaufte. Später kamen die Kantaten dazu.

Günter Hänssler und MDR-Hörfunk-Produzent Steffen Lieberwirth mi dem Dirigenten Sir Colin Davis

Günter Häns­sler und MDR-Hörfunk-Produ­zent Steffen Lieber­wirth über­gaben 2007 Sir Colin Davis, dem Ehren­di­ri­genten der Säch­si­schen Staats­ka­pelle Dresden, das Album „Edition Staats­ka­pelle Dresden. Vol. 10“.

CRESCENDO: Sie waren damals 15 Jahre alt. Lust aufs Verlags­ge­schäft?

Günter Häns­sler: Damals auf keinen Fall, obwohl zu Hause inter­es­sante Menschen ein- und ausgingen. Vom Minis­ter­prä­si­denten -Würt­tem­bergs Hans Filbinger, dessen Sicher­heits­leute vor dem Haus Wache schoben, bis hin zu Charles Colson, dem ehema­ligen Berater von Nixon.

CRESCENDO: Der eine stürzte Ende der 1970er-Jahre über seine NS-Vergan­gen­heit, der andere über die Water­gate-Affäre.

Günter Häns­sler: Meine Eltern und Groß­el­tern haben den Natio­nal­so­zia­lismus radikal abge­lehnt. Das hatten sie auch mir vermit­telt. Dass die Alli­ierten zum Aufbau eines funk­tio­nie­renden Staats­we­sens im Nach­kriegs­deutsch­land auf Leute zurück­ge­griffen haben, die intel­li­gent waren und Verwal­tungs­er­fah­rung hatten, war mir damals noch nicht bewusst. Colson kam für einige Jahre in den Knast und fand dort zum Glauben. Er lud 1979 meinen Vater zu einem „National Prayer Break­fast“ in Washington ein, einem Gebets­früh­stück für Poli­tiker, das dann im baden-würt­tem­ber­gi­schen Landtag, 1981 auch im Bundestag etabliert wurde mit Philipp Jenninger und Hans-Jochen Vogel.

CRESCENDO: Soviel ich weiß, sind auch Gregor Gysi, Günther Beck­stein und Otto Schily zum Früh­stü­cken und Beten nach gereist. Schily war zu Gast beim Justiz­mi­nister John Ashcroft aus der Admi­nis­tra­tion Bushs.

Günter Häns­sler: Ja, erstaun­lich. Poli­tiker mit unter­schied­li­chen poli­ti­schen Sicht­weisen fühlen sich in gemein­samen christ­li­chen Werten verbunden.

CRESCENDO: Zur Einwei­hung des neuen Häns­sler-Verlags­hauses in Holz­ger­lingen 2000 kam Avi Primor, der lang­jäh­rige Botschafter Israels in .

Günter Häns­sler: Ein sehr guter Freund meines Vaters. Mein Vater hatte viele Bücher zum Thema Israel heraus­ge­bracht, zum Teil im Auftrag des israe­li­schen Außen­mi­nis­te­riums.

CRESCENDO: Zu diesem Zeit­punkt waren auch Sie längst Teil des Fami­li­en­un­ter­neh­mens. Was hatte Sie zum Umdenken gebracht?

Günter Häns­sler: Aufge­wachsen bin ich mit Bach, aber in der Pubertät wollte ich Led Zeppelin hören. Immer wenn ein Fest gefeiert wurde, bin ich aufge­treten. Heute singe ich im Gospel-Chor meiner Kirche. Außerdem studierte ich Betriebs­wirt­schafts­lehre, dazu einige Semester Philo­so­phie. Ich sah, dass mein Vater – ein exzel­lenter Pianist und Musik­wis­sen­schaftler – viel von Musik verstand, aber sich mit dem Vertrieb schwertat. Also bin ich noch als Student mit dem Täschle herum­ge­zogen und habe erste Vertriebs­struk­turen aufge­baut. Das wurde beson­ders wichtig, als mein Vater in die Bach-Projekte einstieg, den „teuersten Wald­spa­zier­gang seines Lebens“, wie er sagt.

Helmuth Rilling, der für Hänssler die erste Plattenbox mit geistlicher Musik der Bach-Familie aufnahm

Nahm 1976 für Fried­rich Häns­sler die erste Plat­tenbox mit geist­li­cher Musik der Bach-Familie auf: Helmuth Rilling

Beim Spazier­gang hatten mein Vater und Helmuth Rilling ausge­macht, bis 1985 die Aufnahmen von Bachs Kanta­ten­werk fertig­zu­stellen – über 200 Kantaten auf 100 Lang­spiel­platten. Was auch geschah und wofür sie mit dem „Grand Prix du Disque“ geehrt wurden. 1989 schafften wir es, mit Rilling einen Exklu­siv­ver­trag abzu­schließen. Unser erstes Projekt auf dieser Basis war die Messa per Rossini, an der Verdi und zwölf weitere Kompo­nisten mitge­wirkt haben. Die hat sich verkauft wie verrückt. 35.000 Stück! Traum­zahlen.

CRESCENDO: Einen weiteren Rekord feierten Sie mit der „Edition Bach­aka­demie“, das erhal­tene Werk Johann Sebas­tian Bachs auf 172 CDs mit Helmuth Rilling. Dann aber kam der Zusam­men­bruch.

Günter Häns­sler: Der neue Firmen­sitz in Holz­ger­lingen wurde teurer als geplant. Die moderne, compu­ter­ge­steu­erte Kommis­sio­nie­rungs­an­lage funk­tio­nierte nicht wie gewünscht. Zudem ging in den ein großer Musik­kunde in die Insol­venz. 2002 wurde der Verlag von der Stif­tung Christ­liche Medien (SCM) über­nommen. Für mich und meinen Vater war das sehr schwierig.

CRESCENDO: Auch Sie waren betroffen.

Günter Häns­sler: Das war ein Schnitt in meinem Leben. Vorher hatte ich zwei Sekre­tä­rinnen und eine Assis­tentin. Von heute auf morgen musste ich die Pakete wieder selber auf die Post tragen. Da waren nicht wenige Verlet­zungen dabei. Wenn man sich nicht dauer­haft frei davon macht, raubt man sich Lebens­qua­lität. Wie heißt es so schön: Wer keine Täler sah, schätzt der die Höhe?

CRESCENDO: 2003 grün­deten Sie in Neuhausen die Profil Medien GmbH.

Günter Häns­sler: Das war leicht und schwer zugleich. Ein ehema­liger Geschäfts­partner, lange Chef im eins­tigen Bertels­mann Club und nun in einem kleinen Verlag, sprach mich an. Der Verlag schrieb Verluste, hatte aber einen inter­es­santen Katalog. Das Label war also zu groß, um es sterben zu lassen, und zu klein, um profi­tabel zu sein. Da bin ich einge­stiegen mit meinen Kontakten zu Künst­lern, Vertrieben und der Presse. Es war ein sehr großes, persön­li­ches Risiko, die ersten zehn Jahre waren sehr anstren­gend.

Günter Hänssler

Günter Häns­sler: „Ich suche die magi­schen Momente der klas­si­schen Musik.“

CRESCENDO: Ange­trieben hatte Ihren Vater immer der Wunsch, „dass das Evan­ge­lium von Jesus Christus gelesen, gesehen, gehört, gesungen, gemailt und gechattet wird“. Was war es bei Ihnen?

Günter Häns­sler: In seinem christ­li­chen Verlag konnte er seinen Glauben zum Beruf machen. Mit Profil wollte ich ein Klassik-Label etablieren. Ich wusste: Nur ein Label mit eindeu­tigem Wieder­erken­nungs­ef­fekt hat eine Chance auf dem CD-Markt. Ein freund­li­cher Mensch von der Presse sagte über mich, ich sei der Stern­stun­den­sammler. Ich suche die „magi­schen Momente“ der klas­si­schen Musik, unver­ges­sene Konzert­er­leb­nisse. Es sind oft Live-Mitschnitte. Da ist noch mehr Adre­nalin drin. Viel Zeit verbringe ich in den Archiven der Rund­funk­an­stalten, beiße mich durch die Bestände oder setze meine „Trüf­fel­su­cher“ an, ehema­lige Mitar­beiter von ARD-Anstalten oder von Plat­ten­firmen.
So brachte ich eine Günter-Wand-Edition heraus, entdeckte ein Quar­tett von Swja­to­slaw Rich­ters Vater, der kompo­nierte und vom russi­schen Geheim­dienst erschossen wurde, gebe Editionen der Staats­ka­pelle und der Semper­oper heraus, u. a. mit , , Sir Colin Davis. Trotz berühmter Namen frage ich mich bei jeder Aufnahme: Ist Substanz da?

CRESCENDO: 22 CDs allein umfasst Ihre aktu­elle Tschai­kowsky-Edition, mit russi­schen Aufnahmen der 1930er- bis 1950er-Jahre aus dem Bolschoi-Theater. Half da auch die poli­ti­sche Situa­tion, der Fall des Eisernen Vorhangs?

Günter Häns­sler: Weniger. Es ist haupt­säch­lich das gute Netz­werk, das man sich in all den Jahren aufge­baut hat.
Auch für die Dino Lipatti Coll­ec­tion. Die wurde ein Hit, das hätte ich ihr so nicht zuge­traut. EMI hatte schließ­lich vor Jahren einiges veröf­fent­licht.

CRESCENDO: Über Zahlen wird in der Branche so ungern gespro­chen. Was ist ein Hit?

Günter Häns­sler: Für die Kollegen kann ich das nicht sagen, aber wenn Sie nicht mindes­tens 1000 CDs absetzen, dann sollten Sie erst gar nicht anfangen. Bis etwa 4000 CDs verkauft man oft. Fünf­stel­lige Zahlen sind Sonder­phä­no­mene. Heute ganz wichtig: das Strea­ming- und Down­load-Geschäft. Musik wird immer konsu­miert werden. Der eine braucht den Raum, Bruckner in exzel­lenter Klang­qua­lität. Dem anderen reicht die Opern­arie mal schnell vom Smart­phone aus über Spotify.

Günter Hänssler mit dem MDR-Hörfunk-Produzenten Steffen Lieberwirth und Ulrike Hessler, der Intendantin der Semperoper

Günter Häns­sler und MDR-Hörfunk-Produ­zent Steffen Lieber­wirth stellten 2011 mit der Inten­dantin der Semper­oper Ulrike Hessler Vol 2 der „Semper­oper-Edition“ vor, auf der auch der Rund­funk-Mitschnitt der Fidelio-Fest­auf­füh­rung zur Einwei­hung des Hauses 1948 zu hören ist.

CRESCENDO: Wissen Sie nun, was sich verkauft?

Günter Häns­sler: Man lernt es abzu­schätzen, kann aber auch dane­ben­liegen. Es macht keinen Sinn, dass man ein „special inte­rest product“ im knie­hohen Stapel bei Duss­mann oder Beck plat­ziert. Wenn wir mit der Staats­ka­pelle Die chine­si­sche Flöte von Ernst Toch machen, dann weiß ich, dass das kein Renner wird. Mit Thie­le­mann und Bruck­ners Achter Sinfonie gleicht sich das wieder aus.

Christian Thielemann

Chris­tian Thie­le­mann mit seiner Aufnahme am Pult der Säch­si­schen Staats­ka­pelle Dresden 

CRESCENDO: Ist es dann Thie­le­mann, der zieht?

Günter Häns­sler: Chris­tian Thie­le­mann ist ein toller Musiker. Ich fühle mich im höchsten Maße geehrt, mit ihm veröf­fent­li­chen zu dürfen. Aber auch er verkauft Strauss, Wagner, Bruckner besser als ein Pfitzner Klavier­kon­zert. Was hilft: Thie­le­mann ist in Dresden, in Salz­burg bei den Oster­fest­spielen und in Bayreuth. Das ergibt Syner­gien für die Öffent­lich­keits­ar­beit.

CRESCENDO: Ihre Bruckner 18-CD-Box kam in in die Charts. Warum ausge­rechnet dort?

Günter Häns­sler: Es bleibt eine Kunst, die Menta­lität eines Musik­hö­rers richtig einzu­schätzen. In Japan beson­ders. Beim Vertrieb muss man den Benimm-Codex sehr genau kennen. Japaner lieben Mahler und Bruckner. Mit dem Vokal­werk Bachs waren wir in Japan nicht so erfolg­reich wie in Korea, wo es 20 Millionen Christen und eine große Chor­tra­di­tion gibt.

Friedrich Hänssler

Verstarb am 7. Mai 2019 im Alter von 92 Jahren: Fried­rich Häns­sler

CRESCENDO: Im September 2015 trafen Sie eine große Entschei­dung.

Günter Häns­sler: Um es genau zu sagen: am 30. August 2015 um 24 Uhr. Ich habe das Label häns­sler CLASSIC zurück­er­worben bzw. die Rechte, Marke, Bestände und Pflichten. Beide Labels behalten ihre Programm­phi­lo­so­phie. Mein 91-jähriger Vater war sehr glück­lich.

Günter Hänssler mit seinen Auszeichnungen

Günter Häns­sler und seine Auszeich­nungen. 2018 kam noch ein OPUS KLASSIK dazu: Legends-Edition mit dem Klavier­werk Vsevolod Zade­ratskys wurde als Edito­ri­sche Leis­tung des Jahres ausge­zeichnet.

CRESCENDO: Bilanz von 30 Jahren im Musik­ge­schäft: 17 ECHOS, 13 Grammy-Nomi­nie­rungen und mehr als 800 CDs.

Günter Häns­sler: Noch ist das Jahr 2018 nicht zu Ende, und wir hatten bereits 98 Veröf­fent­li­chungen! Ich freue mich auf die Bach-Aufnahmen mit den vom Spiritus Rector Kuss­maul geprägten histo­risch infor­mierten Berliner Phil­har­mo­ni­kern, den Berliner Barock­so­listen sowie . Auf die nächsten Veröf­fent­li­chungen mit der und Werken von Strauss und Bruckner unter Chris­tian Thie­le­mann, auf die Chor­al­mo­tetten der Bach-Familie mit Frieder Bernius und hoffe, dass das Projekt mit Händels Concerti grossi op. 3 mit den Berliner Barock Solisten unter klappt.

Weitere Infor­ma­tionen: www​.haens​s​ler​profil​.de