KlassikWoche 13/2023

Beet­hoven, Verschwö­rung und Bank­rott

von Axel Brüggemann

27. März 2023

Die Rettung der BBC Singers und des RSO Wien, die Untersuchung der Gene Beethovens, der Einsatz von Videos in Opern-Inszenierungen.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit aller­hand Verschwö­rungen, einem Beben der Spon­soren, etwas mauen Neuig­keiten über Beet­hoven und einem Lese-Befehl! 

Und was kommt nach der Rettung?

Marin Alsop am Pult des RSO Wien

Das waren doch mal zwei posi­tive Nach­richten diese Woche: Sowohl die als auch das ORF Radio-Sympho­nie­or­chester Wien, das RSO , scheinen gerettet! Beide Ensem­bles standen auf der Spar­liste ihrer Sender. Klar ist aber auch, dass Klassik-Ensem­bles aus diesen Debatten lernen müssen: Sowohl die BBC Singers als auch das RSO Wien haben in der Vergan­gen­heit nicht mehr klar machen können, warum es sie über­haupt gibt. Umso wich­tiger, auch für deut­sche Rund­funk­or­chester, sich eindeutig zu posi­tio­nieren, als Spitzen-Ensemble mit Brei­ten­wir­kung wie das BRSO oder als Orchester, das wirk­lich nahe bei den Menschen ist. Können die Orchester von WDR, NDR oder SWR diese Antworten über­zeu­gend geben?

Vor allen Dingen aber ist es die Verant­wor­tung der Rund­funk- und Fern­seh­sender, ihre Ensem­bles im Programm wieder sichtbar zu machen: Schafft neue Radio-Opern, bindet die Orchester mehr in Kinder­pro­grammen ein – zeigt die Orchester, wo immer sich eine Chance im Fern­sehen bietet. Statt­dessen ist es nun auch offi­ziell, dass der Baye­ri­sche Rund­funk die letzte ARD-Klassik-Sendung, KlickK­lack, auslaufen lässt. Und, liebe Klassik-Leute, lasst bitte die Argu­men­ta­tion von Diri­gent (keine Ahnung, warum der Spiegel ausge­rechnet ihn gefragt hat!): Er erklärt, man solle lieber beim Sport kürzen als in der Kultur. Damit macht er sich unnötig Feinde. Es wäre klüger, wenn die Kultur etwas von den Mecha­nismen des Sports lernte, statt ihn als Gegner zu begreifen (John Eliot Gardi­ners Argu­men­ta­tion ist da schon schlüs­siger). 

Wie seriös sind diese Wett­be­werbe?

Mir wurde von einer Leserin eine merk­wür­dige Klassik-Seite weiter­ge­leitet: Es handelt sich offen­sicht­lich um einen Verbund von Musik­wett­be­werben, an denen so ziem­lich jeder teil­nehmen kann. Voraus­set­zung: ein kurzes Bewer­bungs-Video und eine Gebühr von 45 bis 65 Pfund Ster­ling. Die Wett­be­werbe tragen Namen wie London Young Musi­cian Awards, Universal Stars Music Compe­ti­tion, Bach Music Compe­ti­tion, Beet­hoven Music Compe­ti­tion oder World Clas­sical Music Awards – größer geht es also nicht.

Dabei verbirgt sich hinter all diesen Wett­be­werben offen­sicht­lich eine einzige Seite, eine einzige Idee und eine einzige Jury, deren Namen jeden­falls mir voll­kommen unbe­kannt sind. Überall auf dieser Seite wird mehr oder weniger klar: Es geht um das Bezahlen – und erst dann passiert (viel­leicht) alles andere. Die jewei­ligen Wett­be­werbe sind in so viele Kate­go­rien unter­teilt, dass es – etwas über­spitzt formu­liert – schwer scheint, irgendwo nicht zu gewinnen. Meine Anfrage nach den Hinter­gründen, nach Krite­rien und mehr zu den Geld­flüssen, blieb bislang unbe­ant­wortet. Und so bleibt fest­zu­stellen: Erstaun­lich, was es alles gibt! 

Was Beet­ho­vens Gene uns erzählen

Beethovens Haarlocke

Ta-ta-ta-taaaaaaa – das war schon viel Lärm um sehr wenig. Was genau die gene­ti­sche Unter­su­chung der Beet­hoven-Haare gebracht hat, ist ausführ­lich in der FAZ nach­zu­lesen. Hier nur in Kürze: Das Max-Planck-Institut für evolu­tio­näre Anthro­po­logie, die Univer­sität Cambridge und das Univer­si­täts­kli­nikum Bonn haben heraus­ge­funden, dass Beet­hoven eine Veran­la­gung zu Leber­er­kran­kungen hatte. Er war mit Hepa­titis B infi­ziert, was einen Hinweis auf seine Todes­ur­sache geben könnte. Zusammen mit seinem Alko­hol­konsum hätten diese Faktoren seinen frühen Tod sicher­lich begüns­tigt, heißt es in der Studie. Sie räumte auch mit den Vermu­tungen auf, Beet­ho­vens Vorfahren wären PoC aus Afrika, eine Theorie, die sich nicht erhär­tete.

Ein wenig DNA-Voyeu­rismus gab es dann auch noch: Vergleiche des Erbguts noch lebender Verwandter Beet­ho­vens mit der DNA des Kompo­nisten legen nahe, dass es in Beet­ho­vens väter­li­cher Linie ein „außer­ehe­li­ches Ereignis“ gegeben haben muss. Einer von Beet­ho­vens biolo­gi­schen Vorfahren war also gar kein Beet­hoven. In welcher Gene­ra­tion dieses Ereignis statt­ge­funden hat, konnten die Forscher aller­dings nicht bestimmen. Nun denn.

Ist Banken-Bank­rott auch Kultur-Bank­rott?

Die Abwick­lung der Schweizer Bank Credit Suisse hat auch Auswir­kungen auf die Kultur. In einem ausführ­li­chen Artikel für die Schweizer Medi­en­gruppe (u.a. Aargauer Zeitung) beschäf­tigt sich unter anderem Chris­tian Berzins mit der Frage nach der Zukunft des Kultur­spon­so­rings. Im Opern­haus Zürich sei die Credit Suisse geschätzt mit zirka einer Million Franken Haupt­sponsor, „bei der Tonhalle und dem dürfte es nicht viel weniger sein. Beim Lucerne Festival war die Credit Suisse nicht nur einer von fünf Haupt­spon­soren, der Name der Bank ist auch mit einem inter­na­tional renom­mierten Preis verbunden: Die Credit Suisse Foun­da­tion fördert mit zwei jähr­lich alter­nie­renden Preisen – dem Credit Suisse Young Artist Award und dem Prix Credit Suisse Jeunes Solistes – junge Musi­ke­rinnen und Musiker. Der ‚kleine‘ Preis beträgt 25.000 Franken, der große 75.000.“ Ob die UBS die Spon­so­ring-Tätig­keiten über­nimmt, ist offen – aber eher unwahr­schein­lich. Fakt ist, dass in den letzten Jahren bereits ein Rückzug von Spon­soren aus der Klassik statt­ge­funden hat. Ein Phänomen, das übri­gens auch in Deutsch­land zu beob­achten ist: Hier sind es beson­ders große Auto­her­steller, die sich peu à peu aus dem Klassik-Spon­so­ring zurück­ziehen. In Opern­häu­sern und bei Fest­spielen sollten die Alarm­glo­cken läuten! 

Muss man immer alles mitma­chen?

David Martons Freischütz-Inszenierung

Ich glaube fest an das Musik­theater an der Wien von . Aber nach der desas­trösen Frei­schütz-Première stellen sich mir zwei Grund­satz­fragen für Opern­pro­duk­tionen gene­rell. Die erste betrifft den Einsatz von Videos in der Oper: Warum, verdammt, zeigen Regis­seure wie Marton (Video: Chris Kondek) auf Giga-Lein­wänden, was auf der Thea­ter­bühne eh zu sehen ist? Wollen sie ihr ästhe­tisch lang­wei­liges Bieder­meier-Theater pseudo-moder­ni­sieren? Das ist eine Un-Mode geworden, zu sehen gerade auch bei Cyril Testes Salome an der Wiener Staats­oper. Hier ist im Bühnen­hin­ter­grund aufge­blasen, was jeder im Bühnen­vor­der­grund sieht. Tobias Krat­zers Tann­häuser oder Frank Castorfs Bayreu­ther Video-Instal­la­tionen in Tann­häuser oder Rhein­gold waren deshalb span­nend, weil das Medium Film bei ihnen eine eigene Erzähl­ebene entwi­ckelte. Aber drei Stunden lang ein 20-Meter-Lein­wand-Kino im Theater (dazu mit dilet­tan­ti­schen tech­ni­schen Mitteln, fragt doch bei Kino-Leuten, wie das geht!!!) ist eine Belei­di­gung für Augen, Ohren (Sänger werden absurd posi­tio­niert) und vor allen Dingen: den denkenden Kopf! Die andere Grund­satz­frage: Diri­gent konnte sein Ensemble durch die Lein­wand offen­sicht­lich nicht sehen – und die Sänge­rinnen und Sänger ihn nicht (abge­sehen davon, dass sie dauernd gegen irgend­welche Bühnen­ge­gen­stände singen mussten!). Das sind unzu­mut­bare Produk­ti­ons­be­din­gungen, die natür­lich zu einem musi­ka­lisch mise­ra­blen Ergebnis geführt haben. Und hier meine Frage: Warum steht da niemand auf? Müsste da nicht ein musi­ka­li­scher Leiter, eine Sängerin oder ein Sänger, oder, ja: ein Inten­dant, sagen: „Sorry, Herr Marton, mag sein, dass Sie eine gute Idee hatten – aber das ist großer Mist! Das funk­tio­niert nicht. Und ich mache da nicht mehr mit!“ Statt­dessen haben 20 Leute auf der Bühne dieses Horror-Theater mitge­spielt. Man saß da und fragte dauernd: „Warum?“ Mir war das in der Pause zu viel – ich bin dann schön essen gegangen. 

Curr­entzis schweigt auch bei seinen Freunden 

Mir ist bewusst, dass unsere Recher­chen über Russ­lands Verbin­dungen in die euro­päi­sche Kultur­land­schaft manche LeserIn nerven. Auf der anderen Seite ist Beharr­lich­keit wichtig, wenn Jour­na­lismus inves­ti­gativ wird. Seit dem Einmarsch Russ­lands in die Ukraine ist viel passiert: Debatten, Neuein­ord­nungen und Abwä­gungen. Sehr offen ging Wiens Konzert­haus­chef nun mit der Causa um. „Sie wissen um meine alte, gute Bezie­hung zu Teodor Curr­entzis“, sagte er der Wiener Zeitung (Naske ist nach Medi­en­be­richten als zeich­nendes Mitglied der musi­cAe­terna-Stif­tung in Liech­ten­stein zurück­ge­treten) und führte aus: „Sie finden den Diri­genten aber nicht mehr im Programm der nächsten Saison. Das ist kein Zufall, sondern Ergebnis eines inten­siven, schmerz­haften Refle­xi­ons­pro­zesses. Curr­entzis äußert sich weiterhin nicht zum Ukraine-Krieg. Ich hatte ihn um ein State­ment ersucht, das bis heute nicht kam. Die poli­ti­sche Dimen­sion dieses Schwei­gens ist so groß, dass wir uns entschlossen haben, auf Enga­ge­ments von Curr­entzis ab der Saison 2023/2024 bis auf Weiteres zu verzichten.“ Mit anderen Worten: Teodor Curr­entzis igno­riert nicht nur seine Kritiker, sondern lässt auch jene Wegbe­gleiter sitzen, die ihre Hand für ihn ins Feuer gelegt haben. Und sonst? Geht alles seinen dikta­to­ri­schen Gang: gastiert neuer­dings wieder in China. 

Perso­na­lien der Woche

Festspielhaus Erl

Die Fest­spiele in Erl suchen einen neuen Inten­danten. Frank­furt-Inten­dant will die Fest­spiele 2025 verlassen, angeb­lich, weil er sich keiner Ausschrei­bung stellen will. Der Mäzen, Hans Peter Hasel­steiner, der viel zu lange loyal gegen­über war, hat nun auch wieder sehr merk­wür­dige Personal-Hoff­nungen. Angeb­lich favo­ri­siert er , die gerade die Volks­oper neu denkt oder , der die Wiener Staats­oper weit­ge­hend kreativ verwaltet. +++ Die Wiener Sympho­niker haben die fran­zö­si­sche Diri­gentin zur ersten Gast­di­ri­gentin ernannt. Hier unser Wohn­zimmer-Konzert mit ihr. +++ Lob: Die neue Leiterin des Berliner Festi­vals Maerz­Musik, Kamila Metwaly, wird in der FAZ für ihr Programm gelobt. +++ Ange­lika Wild und haben den Verein Art but fair United gegründet, einen euro­pa­weiten Berufs­ver­band, der die wirt­schaft­li­chen und sozialen Inter­essen frei­schaf­fender Künst­le­rInnen an öffent­lich geför­derten bzw. in öffent­li­cher Träger­schaft befind­li­chen stän­digen Thea­ter­un­ter­nehmen, Festi­vals und Konzert­bühnen vertreten will. 

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Mein Beruf hat den großen Vorteil, dass ich Menschen kennen­lernen darf, die ich span­nend finde. Ich lade sie einfach zu einer Podcast-Folge ein! Einer dieser Menschen ist Stefan Kutzen­berger – seine Bücher sind poeti­sche Gehirn-Verrenker, stellen unsere Wirk­lich­keit in tollen Geschichten in Frage und spielen mit den Grenzen von Realität und Erfin­dung. Genau das ist auch Thema der neuen Mythos-Operette von Kompo­nist . Die letzte Verschwö­rung um „Flacherdler“, Repti­loide“ und „Pizzagate“ hat am Samstag an der Volks­oper in Wien gezeigt, dass eine moderne Volks­ope­rette durchaus unter­haltsam sein kann, obwohl sie so tragisch ist wie ein Wozzeck unserer Zeit. Wo beginnt in unserer Welt die Fiktion? Ist ein Groß­teil unserer Realität längst erfunden? Und welche Rolle spielt dann die Kultur? Wenn Sie all das inter­es­siert, lesen Sie bitte Stefan Kutzen­ber­gers Jokerman oder Kilo­meter null und gehen Sie in Die letzte Verschwö­rung! Aber hören Sie auf jeden Fall den neuen Podcast mit den beiden, hier ist Alles klar, Klassik? (für Apple oder alle anderen Player).

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

 

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Barbara Pálffy / Volksoper Wien, William Minke / Theater an der Wien