KlassikWoche 13/2022

Die Folgen der Causa Curr­entzis

von Axel Brüggemann

28. März 2022

Das Festhalten des SWR an Teodor Currentzis, Simon Stones „Wozzeck“-Inszenierung in Wien, Maxim Berin als neuer Agent von Anna Netrebko

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

ja, es gibt sie noch, die guten Nach­richten und Themen, die nichts mit dem Krieg gegen die zu tun haben – und sie spielen heute eine große Rolle in diesem News­letter. Aber natür­lich geht es auch um die groß­ar­tige russi­sche Kultur und die russi­schen Musi­ke­rInnen, die Musik als Ausdruck der Zwischen­mensch­lich­keit verstehen, ebenso wie um die wenigen Künst­le­rInnen, die jahre­lang vom System Putin profi­tiert haben und sich heute nur schwer distan­zieren können. Warum zum Beispiel glaubt der SWR weiter an , während sein Ensemble im nicht mehr auf der Play­list steht? Letzte Woche war hier zum ersten Mal zu lesen, dass Anna Netrebko und ihr Manage­ment sich getrennt haben, eine Geschichte, die dann an vielen Stellen weiter gedreht wurde (übri­gens, auch wenn Netrebko oft mit Wladimir Putin aufge­treten ist, hat sie ihren 50. Geburtstag im Kreml, anders als hier geschrieben, offenbar nicht „an der Seite“ des russi­schen Präsi­denten gefeiert). Ich habe in den letzten drei Wochen gerade auf Grund dieser Themen unglaub­lich viel Zuspruch, aber auch blanken und ziem­lich erschre­ckenden Hass gelesen – und mache einfach mal weiter als das, was ich bin. 

SWR zu TEODOR CURR­ENTZIS: HUI! – RBB: PFUI! 

Der Dirigent Teodor Currentzis

Vor drei Wochen habe ich an dieser Stelle vorge­schlagen, die Spar­kasse möge das Ensemble von Teodor Curr­entzis, musi­cAe­terna, über­nehmen. Denn der aktu­elle Geld­geber, die VTB Bank, gehört zu großen Teilen Russ­land, und ihr Vorstands­vor­sit­zender wird vom Kreml einge­setzt. Seit einigen Jahren hat sich Curr­entzis – offen­sicht­lich nicht ganz unfrei­willig – in russi­sche Abhän­gig­keiten begeben, hat von russi­schen Steu­er­ge­setzen profi­tiert und ist offen­sicht­lich nicht mehr in einer Posi­tion, sich konkret von Wladimir Putin, dessen menschen- und frei­heits­ver­ach­tendem System und seinem Krieg zu distan­zieren. Pikant ist all das auch, weil Curr­entzis Chef des SWR Sympho­nie­or­ches­ters ist. Seit letztem Montag habe ich bei Orchester-Chefin Sabrina Haane ange­fragt, ob sie mit Curr­entzis gespro­chen habe, wie das Orchester sich posi­tio­niere – keine Antwort. Ähnlich ging es dem „Mann­heimer Morgen“, der an den SWR schrieb: „Wenigs­tens ein State­ment, bitte. Eine Erklä­rung. Eine Posi­tio­nie­rung. All die Toten und Verletzten haben das verdient.“ Doch der Südwest­rund­funk schwieg auch hier. Am Donnerstag erreichte mich eine Mail von Frau Haane. Mit merk­wür­digem Zungen­schlag ließ sie mich wissen: „Sehr geehrter Herr Brüg­ge­mann, Ihr Warten wird morgen ein Ende haben, so dass Sie dann mehr vom SWR bzgl. der Causa Teodor Curr­entzis erfahren werden.“ Tatsäch­lich war die Erklä­rung dann ziem­lich schmal­lippig: Man setze ein Zeichen, indem man einen ukrai­ni­schen Kompo­nisten auf das Programm hole, wisse über die „proble­ma­ti­sche“ Unter­stüt­zung der VTB Bank für musi­cAe­terna, würde sie aber akzep­tieren. Kurzum: Curr­entzis sei „gegen Krieg und für die Musik oder so ähnlich“ (wie das VAN-Magazin kopf­schüt­telnd kommen­tierte).

Friede-Freude-Eier­ku­chen, der SWR will noch mal sein Glück versu­chen und endlich unge­stört auf lukra­tive Euro­pa­tournee gehen. Wirk­lich? Wirk­lich! Das State­ment des Senders blieb weit hinter dem von Anna Netrebko zurück, Curr­entzis persön­lich musste sich gar nicht zu Wort melden. Es soll einfach weiter­gehen. Wenn sich der SWR da mal nicht verkal­ku­liert. Proteste bei der Europa-Tournee dürften vorpro­gram­miert sein. In der Pres­se­aus­sendung heißt es, das „gesamte Ensemble“ stünde hinter der Entschei­dung – wirk­lich? Und wie passt das verkrampfte Fest­halten des SWR an Curr­entzis damit zusammen, dass der Diri­gent und dessen musi­cAe­terna etwa beim RBB derzeit nicht gespielt werden sollen (wie ein Mitar­beiter auf meiner FB-Seite erklärte). Öffent­lich-recht­li­cher Rund­funk muss eindeutig, trans­pa­rent und klar sein, doch genau das lässt die Erklä­rung des SWR vermissen. Und mehr noch: Mit der Erklä­rung, dass man Curr­entzis« Abhän­gig­keit von der VTB Bank „proble­ma­tisch“ findet, legt man ganz nebenbei den Salz­burger Fest­spielen und seinem Inten­danten ein Ei ins Nest. Hinter­häuser hat nämlich ein klares Bekenntnis von Curr­entzis einge­for­dert (hier ein weiterer Artikel vom ORF) und es noch immer nicht bekommen. In Salz­burg stehen die Auftritte von Curr­entzis, von musi­cAe­terna und der Oper „Blau­barts Burg“ auf der Kippe, und öster­rei­chi­sche Kollegen beginnen nun eben­falls, genauer hinzu­schauen. Curr­entzis ist am Ende ein weiteres Beispiel für einen führenden Musiker, der jahre­lang vom System Putin profi­tiert hat und dessen persön­liche und finan­zi­elle Bande es nicht mehr zuzu­lassen scheinen, sich klar zu posi­tio­nieren. Den SWR dürfte dieser Fall noch lange begleiten. Hätte die Spar­kasse doch vor drei Wochen einfach über­nommen! 

REINSTER OPERN-SNOBISMUS

Dieses vorweg: „Wozzeck“ ist eine meiner Lieb­lings­opern. Weil sie so fürch­ter­lich ist, so uner­schro­cken, weil sie mir immer wieder das Herz heraus­reißt und mich erdet – in der Gosse, und Hoff­nung schöpfen lässt, dass wir das alles besser machen könnten als die Perso­nage in dieser Oper. Also bin ich voller Freude in die zur Première gefahren. Ich schwöre: Ich war in Erwar­tung eines großen Opern­abends. Aber als ich am Ende wieder auf die Straße trat, hatte ich ein Gefühl, das ich schon lange nicht mehr hatte – ich habe mich gefragt: „Warum das alles?“ Was hatte diese Oper mit unserer Welt zu tun? Regis­seur hat selbst Wozzecks Darm­spie­ge­lung gut aussehen lassen – alles war ästhe­tisch, seine Insze­nie­rung hätte auch vom Arzt oder vom Haupt­mann kommen können: jemand, der Wozzeck zur Stili­sie­rung der eigenen Schön­heit benutzt (einfach auf das Bild oben klicken, es zeigt die spon­tane Video-Kritik des Abends).

Lustig, dass der wunder­bare (er hat die Titel­rolle wirk­lich getragen) plötz­lich auf den Stepper steigen musste, obwohl er in meinem letzten Podcast noch erklärt hat, dass zumin­dest „Parsifal“ nichts im Fitness-Studio zu suchen habe. Wirk­lich erschre­ckend aber war der Chef­di­ri­gent der Staats­oper, , der kein einziges Piano hervor­zau­bern konnte und „Wozzeck“ ebenso unin­spi­riert führte wie zuvor seinen „Don Giovanni“. Meine Kollegen in Öster­reich versuchten, im Großen und Ganzen irgend­etwas „Schönes“ zu finden – aber ich halte es da eher mit Kollege Rein­hard Kager von der FAZ. Auch „Tristan“ ist übri­gens eine meiner Lieb­lings­opern – sie steht als nächste Jordan-Première auf dem Spiel­plan der Staats­oper.

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MÜNCHENS KONZERT­HAUS VOR DEM AUS?

Keine Ahnung!“, „Natür­lich wird gebaut!“, „Da bringst Du was durch­ein­ander“ – so schrieben mir einige Münchner Kultur­schaf­fende, als wir an dieser Stelle vor einem halben Jahr berichtet haben, dass das geplante im Werks­viertel even­tuell doch nicht kommen könnte. Nun hat erklärt, den Bau erneut auf den Prüf­stand zu stellen. „Wir können nicht alles unend­lich finan­zieren“, sagte Söder und rechnet inzwi­schen mit Baukosten von mehr als einer Milli­arde Euro, am Anfang der Planungen waren es noch 350 Millionen. In wurde der Kultur­etat bereits gekürzt – argu­men­tiert wird mit den Kosten von Corona und des Krieges. Ich befürchte, das ist nur der Anfang. 

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Die Sopranistin Anna Netrebko

Noch einmal zurück zu Anna Netrebko: Ihr neuer Agent, Maxim Berin, erklärte der Zeitung Iswes­tija, dass Netrebko ihren Vertrag bei der Deut­schen Gram­mo­phon habe auslaufen lassen und dass er darüber nach­denke, ein eigenes Label zu gründen. Um Netrebko müsse man sich nicht sorgen, viele Labels wollen sie haben, und ihr Auftritts-Kalender sei gut gefüllt. Berin promotet nach eigenen Angaben u.a. , und . +++ Nach einem Wasser­schaden im Richard Wagner Museum erklärt der Leiter des Museums Sven Fried­rich, dass etwa ein Drittel des Bestandes der Biblio­thek beschä­digt sei. Bei 12.000 Büchern sind das etwa 4.000 nass gewor­dene Schriften. +++ Was soll man dazu sagen: Die Musi­kerin Ronja Malt­zahn wurde auf Grund ihrer Dread­locks („kultu­relle Aneig­nung“) vom Auftritt bei einer Friday-for-Future-Demo ausge­laden. Es wird so langsam wirk­lich verrückt, und ich bin sicher, wir werden das Thema von Kunst­frei­heit, Spiel und poli­ti­scher Correct­ness in einem der nächsten News­letter und Podcasts noch mal eingän­giger beleuchten.

Ist das ein Zeichen der Hoff­nung? Das Ticke­ting-Portal CTS Eventim feiert neue Erfolge. Die Ticket­ver­käufe haben nach dras­ti­schen Rück­gängen infolge der Corona-Krise im Früh­jahr 2021 wieder ange­zogen. Dazu trugen auch die Vorver­käufe für Konzerte von Künst­lern wie bei. Im dritten Quartal 2021 legte der Konzern­um­satz im Vorjah­res­ver­gleich um 279,2 Prozent auf 114,7 Millionen Euro zu. +++ Auch die Geigerin entdeckt eine neue Rele­vanz der Musik: „Ich stelle einen Ansturm auf die Konzerte fest, auch seitens der Poli­tiker, die nun diesen öffent­li­chen Raum suchen und sich plötz­lich – im Gegen­satz zu den Pande­mie­jahren – der Wich­tig­keit von Musik bewusst werden“, sagt sie im Merkur. „Es ist groß­artig zu sehen, was Musi­ke­rinnen und Musiker zurzeit schaffen in ihrer tatkräf­tigen Hilfe für huma­ni­täre Orga­ni­sa­tionen.“ 

DER KRIEG IN DER UKRAINE UND DIE KLASSIK

Der Dirigent Kirill Petrenko

Wie man auch mit dem Krieg in der Ukraine umgehen kann? Wie Berliner-Phil­har­mo­niker-Diri­gent Kirill Petrenko: Er spendet nicht nur 100.000 Euro für die UNO-Flücht­lings­hilfe, sondern zeigt bei den Oster­fest­spielen in Baden-Baden auch, dass russi­sche Kompo­nisten wie Tschai­kowsky NATÜR­LICH noch immer auf die Spiel­pläne gehören! +++ Die zeigen diese Woche aber auch, wie Soli­da­rität ziem­lich daneben gehen kann: Frank-Walter Stein­meiers Pres­se­spre­cherin zeigte sich enttäuscht, als der Botschafter der Ukraine, , nicht am Soli­da­ri­täts­kon­zert des Bundes­prä­si­denten teil­nehmen wollte, in dem russi­sche und ukrai­ni­sche Musi­ke­rInnen (und Mitglieder der Phil­har­mo­niker) gemeinsam auftreten sollten. Melnyk antwor­tete darauf: „Mein lieber Gott, wieso fällt es dem Bundes­prä­si­denten so schwer zu erkennen, dass, solange russi­sche Bomben auf Städte fallen und Tausende Zivi­listen Tag und Nacht ermordet werden, wir Ukrainer keinen Bock auf ‚große russi­sche Kultur‘ haben?“. Ein voll­kommen gerecht­fer­tigter Seiten­hieb gegen das , das glaubt, sein Gewissen mit ein paar guten Worten und ein biss­chen Musik entlasten zu können.

Ich habe in den letzten Wochen immer wieder gehört, dass ich die Musik doch einfach Musik sein lassen soll. Ich erin­nere noch einmal an die Texte der letzten Ausgaben, es ging im Schatten des Semper­Opern­balls und des Bruck­ner­hauses in (in der Causa Hajo Frey) selbst um die Einmi­schung des öster­rei­chi­schen Kanz­ler­amtes, es ging um Reisen von großen Wirt­schafts­un­ter­nehmen nach Russ­land – nur angeb­lich im Namen der Kultur (ich fasse das hier für den Sender Puls 24 noch einmal zusammen). Man darf nicht vergessen, dass Kultur für Wladimir Putin eines der wich­tigsten Propa­ganda-Mittel ist, mit dem er auslän­di­sche Poli­tiker und Wirt­schafts­führer lenkt (dazu eine drin­gende Lese­emp­feh­lung im Monopol-Magazin, der Text von Elke Buhr). Auch diese Woche war das zu sehen, als Putin Kultur­schaf­fende in seinem Staats­fern­sehen vorführte, unter anderem , dem er vorschlug, neben dem Mari­inski-Theater in auch das Bolschoi in Moskau zu über­nehmen. Nach seiner Entlas­sung in (hier wird wohl über eine Auszah­lung all seiner Bezüge gestritten) soll er so etwas wie ein zaris­ti­scher Super-Inten­dant Russ­lands werden und will „die Tradi­tion stärken“. Immerhin: Sein Raus­wurf aus München bestä­tigt sich als rich­tige Entschei­dung. +++ Es ist mir an dieser Stelle ein Anliegen, noch einmal auf die Initia­tive der Diri­gentin Oksana Lyniv aufmerksam zu machen, die sich für die Musi­ke­rInnen des Ukrai­ni­schen Jugend­or­ches­ters einsetzt und auf Spenden ange­wiesen ist

WO BLEIBT DAS POSI­TIVE, HERR BRÜG­GE­MANN? 

Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? Viel­leicht sehen wir es gerade nicht, weil es zu nahe ist! Begonnen hat alles mit einem Text von Kompo­nist , der schrieb, dass die Landes­bühnen Sachsen mit ihrer Ausschrei­bung für einen Kompo­si­ti­ons­wett­be­werb alle jungen Kompo­nisten enttäu­schen: Am Ende winke eine unter­be­zahlte Oper als Preis (5.000 Euro für eine abend­fül­lende Jugend­oper, 3.000 Euro für eine 20-minü­tige „Talent­probe“). Anlass für mich, mal nach­zu­fragen: Steht die Neue Musik eigent­lich noch in unserer Gesell­schaft? Und: WAS IST NEUE MUSIK – , oder New Clas­sics? Ich spreche in meinem neuen Podcast „Alles klar, Klassik?“ (mit diesem Link geht es zum Anhören auf allen Podcast-Formaten) unter anderem mit dem Präsi­denten des Kompo­nis­ten­ver­bandes, Moritz Eggert, mit Kompo­nist und Wolf­gang Rihm – keine Angst: Ich finde da durchaus anre­gende und kurz­wei­lige Argu­mente. Etwa über die Komple­xität als Schlüssel zur Einfach­heit, über das Grunzen und Raunen von und , über Klassik, Pop und Jazz.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

 

brueggemann@​crescendo.​de