KlassikWoche 21/2023

Poli­tiker-Buhs, klamme Kassen und eine Opern-Rose

von Axel Brüggemann

22. Mai 2023

Kulturstaatsministerin Claudia Roth beim Jewrovision, Berlins neuer Kultursenator Joe Chialo, die Veroperung von Umberto Ecos Roman »Der Name der Rose« durch Francesco Filidei.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit Buhs für , klammen Kassen in Berlin und der Frage, was moderne Opern sind.

Buhs für Claudia Roth

Claudia Roth

Dass Claudia Roth in der jüdi­schen Commu­nity spätes­tens seit ihrer zögernden Haltung bei Anti­se­mi­tismus-Vorwürfen gegen die docu­menta umstritten ist, war nun bei der Musik­ver­an­stal­tung, dem Jewro­vi­sion Song Contest, der vom Zentralrat der Juden in Deutsch­land ausge­tragen wird, in Frank­furt erneut zu hören: Während ihres Gruß­wortes wurde die Kultur­staats­mi­nis­terin ausge­buht. „Runter von der Bühne“, wurde skan­diert, „Sie sind hier nicht will­kommen!“

Die Bild-Zeitung vermutet außerdem ein „unklares Verhältnis“ der Poli­ti­kerin zur anti­se­mi­ti­schen Boykott-Bewe­gung BDS (Boykott, Desin­ves­ti­tionen und Sank­tionen). Roth ist längst dafür bekannt, dass sie Kritik gern aus dem Weg geht, sich Konfron­ta­tionen nicht stellt – nun konnte sie den Protest nicht über­hören und sagte: „Ich nehme die Kritik an, weil wir eine starke und bunte und eine mutige Demo­kratie sind.“ Was Roth mehr liegt: Beim großen Bundes­vi­sion Song Contest tanzte sie mit Grünen Kolle­ginnen und Kollegen selbst zu den schlech­testen Songs gut gelaunt in die Bremer Nacht. Nach ihrer Rede in Frank­furt war sie angeb­lich nicht mehr zu sehen. 

… zur glei­chen Zeit in Berlin… 

Joe Chialo

„Klar ist: Es wird nichts so bleiben, wie es ist.“ Ein Satz, der nichts Gutes ahnen lässt. Er kommt von Berlins neuem Kultur­se­nator, Joe Chialo. In der rbb24 Abend­schau hat er die großen Erwar­tungen an ihn gedämpft. Und nun fragt sich die Haupt­stadt: Ist der Mann aus der Musik­branche wirk­lich der Rich­tige? „Ein starker Antritt für einen neuen Kultur­se­nator“, kommen­tiert Rüdiger Schaper für den Tages­spiegel sehr kritisch, „der sich in der Phase des Kennen­ler­nens und Einar­bei­tens befindet, als Neuling im kultur­po­li­ti­schen Geschäft und in einer verkürzten Legis­la­tur­pe­riode.“ Scharper stellt sich bei einer derar­tigen Aussage die Frage, ob der neue Kultur­mann von der CDU sich im Ring­kampf um öffent­liche Gelder durch­setzen kann, oder ob es besser für die Kultur­schaf­fenden in Berlin gewesen wäre, einen alten Polit-Profi ins Amt zu holen als einen begeis­terten Musik­ma­nager.

Ach, übri­gens: Kultur- und bildungs­po­li­tisch wird nun auch in Bremen disku­tiert, nachdem wir bereits letzte Woche an dieser Stelle darüber berichtet hatten, dass unter Bürger­meister der Musik­un­ter­richt in Bremen nicht mehr verpflich­tend ist. Ich habe das Thema inzwi­schen auch noch einmal in einem SWR-Kommentar aufge­ar­beitet

Situa­tion der Bühnen­mütter 

„Sind Sie etwa schwanger?“ – „Haben Sie jemanden, der auf Ihr Kind aufpasst?“ – „Können Sie morgen auch spontan proben?“ Theater sind keine fami­li­en­freund­li­chen Unter­nehmen. Rück­sicht auf Kinder wird selten genommen. „Vissi d’arte“, heißt es bei Tosca – aber lassen sich Kunst und Kinder wirk­lich nicht vereinen? Ich habe für meinen Podcast Alles klar, Klassik? (hier für alle Player, unten einfach für die Spotify-Wieder­gabe aufs Bild drücken) bei der Sängerin Chris­tina Sidak („Mama macht ‚Lala‘“) nach­ge­fragt, bei Julia Rutig­liano von den Bühnen­müt­tern und bei Regis­seurin Frauke Meyer vom Frau­en­kul­tur­büro. Was kann an deut­schen Bühnen besser laufen: ein Grund­ver­ständnis für Familie, lang­fris­tige Planungen, proben­freie Wochen­enden, an Fami­li­en­freund­lich­keit gebun­dene Förder­gelder, Netz­werke für Kinder­be­treuung oder Personen, die in den Häusern verant­wort­lich für die Fami­li­en­freund­lich­keit sind. Hören Sie doch mal rein, und disku­tieren Sie mit!

Perso­na­lien der Woche I

Schon ein biss­chen süß: Unser Freund, der Diri­gent , hat auf Insta­gram erklärt, wie wichtig es sei, auch mal eine Auszeit zu nehmen. Recht hat er! Seither postet Viotti aller­dings täglich, wie schön es ist, sich mal zurück­zu­ziehen 🙂 Schalt mal das Handy aus, Lorenzo! +++ Dort­mund hat einen neuen Gene­ral­mu­sik­di­rektor: , der die Komi­sche Oper in Berlin eher geräuschlos leitet, wird das Amt des Gene­ral­mu­sik­di­rek­tors 2025 antreten.

Zoff um einen Bösen­dorfer-Flügel im öster­rei­chi­schen Parla­ment: Das teure Instru­ment der Marke „Seces­sion“ wird angeb­lich für 3.000 Euro pro Monat gemietet. Öster­reichs Natio­nal­rats­prä­si­dent Wolf­gang Sobotka hatte den Flügel einst ange­schafft und erklärt nun auf öffent­li­chen Druck, dass das vergol­dete Instru­ment nicht länger gemietet werde. Öster­reichs Ober­lehrer-Nach­richten-Anchor-Mann Armin Wolf twit­terte derweil, dass er nicht verstünde, warum Bösen­dorfer dem Parla­ment den Flügel nicht schenke – bessere Werbung gäbe es gar nicht. Viel­leicht weil der Klavier­her­steller ein Unter­nehmen ist, Herr Wolf, und Musik auch der Politik etwas wert sein sollte? +++ Hörtipp: Im hörens­werten US-Podcast von Columbia Broad­cas­ting System (CBS), 60 Minuten, erzählt der Chef­di­ri­gent der MET in New York, , über sein Leben. Beim Besuch seiner stolzen Eltern (sie sind bis heute Artikel-Ausschneider) bestä­tigen sie, dass er schon als Jugend­li­cher eine 10.000 Platten große CD-Samm­lung hatte. Yannick Nézet-Séguin selber spricht äußerst strin­gent über die Erneue­rung des Reper­toires an der Oper, über unter­schied­liche Erwar­tungs­hal­tungen und seine Entschlos­sen­heit, neues Reper­toire zu fördern (hier zum Nach­hören: die letzte Vier­tel­stunde)

Umberto Eco an der Mailänder Scala

Der Name der Rose

Die Mailänder Scala hat den Kompo­nisten beauf­tragt, Umberto Ecos Erfolgs-Roman Im Namen der Rose zu kompo­nieren. Tja, das ist etwas anderes als die neuen Opern an der MET, die unter anderem von schwulen Boxern handeln. Zuweilen kann auch das Neue ziem­lich alt aussehen. Première soll am 27. April 2025 sein. Eben­falls dabei: Der Bariton Lucas Meachem und die Sopra­nistin .

Tickets zu verschenken

Lesens­wert ist ein Kommentar von Martin Hufner über den geplanten Kultur­pass von 200 Euro für alle 18-Jährigen in Deutsch­land: Hufner erklärt auf seiner Seite Musik­unrat, warum Jugend­liche hier ledig­lich als „Kultur­geld­wä­scher“ benutzt würden. Die Mittel seien nicht nach­haltig, „was kann man mit 200 Euro so anfangen, beispiels­weise im Musik­in­stru­men­ten­be­reich – eine Gitarre viel­leicht bitte­schön? Eine Unter­richts­stunde inklu­sive, oder doch besser zum Selbst­lernen mit Noten in Print.“

Haupt­sache weg scheint auch das Motto der anste­henden Konzerte von zu sein: Bei flüch­ti­geren Blicken auf die Auslas­tungs­pläne sieht es gar nicht so schlecht aus für Utopia oder den SWR in Baden-Baden. Kein Wunder, denn die Tickets werden zum Teil verschleu­dert: Der SWR bietet seinen „Freunden“ 30 Prozent Rabatt, und das Konzert­haus in Wien plaka­tiert nicht nur die ganze Stadt mit dem alten Diri­genten-Freund des Inten­danten, sondern verschenkt die Utopia-Karten auch an Jung­mit­glieder der Konzert­haus­ge­sell­schaft. 

Rattle und die Volks­musik

Sir Simon Rattle

Rund ein Jahr lang will das Orchester von , das Sympho­nie­or­chester des Baye­ri­schen Rund­funks (BRSO), mit Laien­en­sem­bles aus ganz Bayern mehrere Stücke einstu­dieren und sie beim „Sympho­ni­schen Hoagascht“ am 7. Juli 2024 in München aufführen. „Das scheint ein perfekter Weg zu sein, um Freunde zu finden und mit verschie­denen Gruppen zu arbeiten“, sagte Rattle bei der Vorstel­lung der Spiel­zeit 2023/2024 in München. Start in die Spiel­zeit ist am 21. September die Inter­pre­ta­tion des Orato­riums Die Schöp­fung von . Und, ja – sein Baye­risch sei auch noch ausbau­fähig, erklärte der Diri­gent. Auch das sei ein Grund, dass das Spitzen-Ensemble auf Tuch­füh­lung mit der Musik­kultur Bayerns gehen würde.

Gergievs Freund geht

Der Inten­dant der Münchner Phil­har­mo­niker, Paul Müller, verlässt das Orchester bereits 2024 statt – wie geplant – im Sommer 2026. Müller hielt auch nach der Anne­xion der Krim immer wieder an fest, vertei­digte ihn gegen Kritiker und erklärte Jour­na­listen, dass Gergievs Privat­mei­nung keinen Einfluss auf das Orchester habe. Erst als der Druck zu groß wurde, entließen die Phil­har­mo­niker – auch auf poli­ti­schen Druck – Gergiev – Müller blieb dennoch im Amt. Zuvor fand das Ochester in einen Nach­folger, der sich erst noch beweisen muss. Er tritt sein Amt im September 2026 an.

Perso­na­lien der Woche II

Das Online-Magazin opern​.news klärt seit Monaten über die Russ­land-Verbin­dungen von auf. Unter der Lupe genommen wird dabei auch die Rolle von Diri­gent . Und der droht nun mit Klagen. Das Magazin erklärt, warum es dennoch weiter­ma­chen will. +++ Diri­gent und Musik­ma­nager Leon Bots­tein erklärt im Wall Street Journal, dass er 150.000 Dollar von Jeffrey Epstein ange­nommen habe: Er habe es später als eigenes Geschenk an die Bard Univer­sität weiter­ge­geben. Das College erklärt nun, wäre Epsteins verbre­che­ri­scher Lebens­stil bereits damals bekannt gewesen, hätte man auf die Zuwen­dung verzichtet. Der Invest­ment­banker Epstein nahm sich selber das Leben, nachdem er als Sexu­al­straf­täter verur­teilt wurde.

Der Unter­nehmer Hans-Peter Wild (Capri-Sun) zahlt den Salz­burger Fest­spielen bis zu zwölf Millionen Euro für ein neues Besu­cher­zen­trum. Fehlt nur noch ein Geld­geber für ein span­nendes Programm. +++ Das MuTh ist der Konzert­saal der Wiener Sänger­knaben. Der bishe­rige Förderer, der Investor Peter Pühringer, der die Errich­tung einst mit 15 Millionen Euro finan­ziert hatte, redu­ziert nun seine jähr­liche Unter­stüt­zung von 1,4 Millionen Euro auf 350.000 Euro. Das stellt die Leiterin des MuTh, Elke Hesse, vor gravie­rende Probleme. Es müssen 17 Stellen abge­baut und das Programm neu orga­ni­siert werden. 

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Bayreuther Festspielhaus

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht ein wenig Vorfreude auf die Bayreu­ther Fest­spiele? Wenn Sie sich heute schon auf den Rund­gang durch das Fest­spiel­haus freuen – den können Sie jetzt bereits unter­nehmen: in einer inter­ak­tiven 3D-Anima­tion. Macht Spaß – hier entlang

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Chris Heidrich/rbb, Jewrovision, zitiert aus einem Video-Bericht das Magazins „Focus“, Film-Zitat aus 1986 mit Christian Slater und Valentina Vargas, cinema.de , BR/Astrid Ackermann, imago/imagebroker/BR-KLASSIK