KlassikWoche 23/2022

Geist ist geil

von Axel Brüggemann

6. Juni 2022

Die Haushaltsrede von Claudia Roth, die Ablehnung des Hamburger Senats, sich von einem Unternehmer ein Opernhaus hinstellen zu lassen, Bradley Cooper als Leonard Bernstein.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

einen schönen Pfingst­montag, der auch das Motto des heutigen News­let­ters vorgibt: Geist ist geil! Es geht um einen Geist der Kultur­po­litik, um Geister der Zukunft, nur für kleine Quäl­geister bleibt heute leider kein Platz. 

Der Geist der Claudia Roth

Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth

Diese Woche hat , Staats­mi­nis­terin für Kultur und Medien ihren Haus­halt erklärt, und es war für mich – nach all den Jahren von – wohl­tuend, zu hören, dass der Geist ihres Kultur­be­griffes weit gefasst ist: Kultur als Beweis einer Demo­kratie, als Arena des Ringens um rich­tige Antworten, als Verant­wor­tung für Verfolgte – Roth betonte die beson­dere Rolle des kriti­schen Jour­na­lismus als Grund­lage gesell­schaft­li­cher Frei­heit.

Und trotz der aktu­ellen Kriegs­si­tua­tion scheint es glaub­haft, dass Roth und ihr Minis­te­rium nun tatsäch­lich die drin­genden Fragen nach Künst­le­rInnen-Verträgen, nach der Rolle der Künst­ler­so­zi­al­kasse und den Lehren aus der Corona-Krise anpa­cken wollen. Mich persön­lich hat das über­zeugt. Aber schauen Sie selber: hier die ganze Rede

Der Geist des Geldes

Der Hamburger Senat hat den Vorschlag von Geschäfts­mann Klaus-Michael Kühne abge­lehnt, der Stadt eine neue Oper für 400 Millionen hinzu­stellen. Richtig so, sagen sowohl NDR-Mann Daniel Kaiser als auch ich in meiner SWR-Kolumne. Und das liegt nicht nur daran, dass ich es als Werder-Fan andau­ernd beob­achte, wie Kühnes Millionen den HSV in die zweite Liga beto­niert haben (und ich wünsche mir wirk­lich mal wieder ein Erste-Liga-Derby!), sondern auch, weil der Geist von „Ich kaufe euch mit meinem Geld eine bessere Welt“, der Geist von Elon Musk und Co., irgendwie voll­kommen uncool ist! 

Der Geist der Wagner-Ambi­va­lenz 

Wagner-Denkmal von Stephan Balkenhol in Leipzig

Vor einigen Wochen ging es an dieser Stelle um den Streit über Wagner-Auffüh­rungen in Israel (dort plant der Wagner-Verband erst­mals die Auffüh­rung einer ganzen Wagner Oper), und auch in der Geburts­stadt des Kompo­nisten, in Leipzig, reibt man sich regel­mäßig an Wagner – und dessen Anti­se­mi­tismus. Pünkt­lich zur Veran­stal­tung „Wagner 22“ stellte Stadtrat Thomas Kumbernuß (Die PARTEI) eine Anfrage, ob sich das Festival auch genü­gend um die Aspekte des Wagner­schen Anti­se­mi­tismus kümmern würde. Die Stadt antwor­tete ausführ­lich mit: „Ja“.

So nervig derar­tige Posi­tio­nie­rungen immer wieder sind, sie gehören, wie Wagner-Experte Alex Ross sagt, wohl zur Ambi­va­lenz, mit der wir es bei diesem Kompo­nisten, seiner Biografie und seiner Verein­nah­mung durch die Nazis immer wieder zu tun haben. Mehr noch: Bis heute ist die Deutungs­ho­heit Wagners umkämpft. In meinem Film „Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt“ haben wir uns entschlossen, Posi­tionen aus Abu Dhabi, Israel, Russ­land (sogar mit ) und der Gegen­these aus Riga (dem ehema­ligen Minis­ter­prä­si­denten von Lett­land, Māris Gailis) kommen­tarlos stehen zu lassen (und auch nach­träg­lich nicht zu entfernen). Denn die Ambi­va­lenz erklärt sich in der Viel­stim­mig­keit und muss sich im Bewusst­sein – oder im Voka­bular des heutigen News­let­ters – im „Geiste“ der Betrach­terin oder des Betrach­ters immer wieder neu ordnen.

Der Ungeist von Krieg in der Kultur

Der russiche Botschafter Dmitry Ljubinskij in Östererich, der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen, die Präsidentin der Salzburger Festspiele Helga Rabl-Stadler

Wir haben in den letzten Monaten immer wieder über die Kultur­pro­pa­ganda Russ­lands in Europa berichtet, nament­lich über die Tätig­keit von Sergei Roldugin am Bruck­ner­haus in Linz (Roldugin hat Putins Milli­arden in Panama versteckt und steht seit dieser Woche nicht nur auf der EU‑, sondern auch der US-Sank­ti­ons­liste), über die proble­ma­ti­schen russi­schen Spon­soren bei den Salz­burger Fest­spielen, und wir haben an dieser Stelle über geschrieben, in dessen Orchester musi­cAe­terna drei der treu­esten Putin-Freunde im Vorstand sitzen – ebenso wie über seine Russ­land-Tour mit Gazprom. Nun beschwerte sich das russi­sche Außen­mi­nis­te­rium bei der öster­rei­chi­schen Regie­rung, dass die russi­sche Kultur-Propa­ganda unter­wan­dert würde: Die längst über­fäl­lige Tren­nung des Bruck­ner­hauses von Roldugin sei „Cancel Culture“, explizit wurde Konzert­haus-Chef Matthias Naske ange­griffen, weil er auch als Reak­tion auf unsere Bericht­erstat­tung ange­kün­digt hatte, fortan nicht mehr mit Künst­le­rInnen zusam­men­zu­ar­beiten, die nicht auf Seiten der Ukraine stünden – und auch Über­le­gungen der , ihre Spon­soren neu zu über­denken, stört Russ­land offen­sicht­lich massiv. Zum einen ist der Protest Beweis, wie wichtig Russ­land die Kultur als Mittel der Propa­ganda ist, zum anderen ist die Kultur nun tatsäch­lich zum Poli­tikum geworden (immerhin hatte sich Sebas­tian Kurz noch für eine Verlän­ge­rung von Roldugin in Linz einge­setzt) – was sicher­lich auch für die weiteren Entschei­dungen bei den Salz­burger Fest­spielen von Bedeu­tung sein wird.

Aber irgendwie (Achtung: Ironie!) scheint die öster­rei­chi­sche Regie­rung den Russen-Protest bereits geahnt zu haben und hat zuvor noch schnell die Ex-Präsi­dentin der Salz­burger Fest­spiele, , als „Sonder­be­ra­terin für Auslands­kultur“ im Außen­mi­nis­te­rium ernannt. Genau: jene Präsi­dentin, die den „Gazprom“-Vertrag unter­schrieben, die russi­schen Freunde nach Salz­burg geholt und die aktu­elle, ange­spannte Situa­tion der Fest­spiele über­haupt erst zu verant­worten hat – kann man sich nicht ausdenken! Aber klar, das gefällt Russ­land. Die Botschaft in Wien schickte Rabl-Stadler sofort Gratu­la­tionen zum neuen Job im Außen­mi­nis­te­rium – auf Insta­gram, Face­book und twitter (siehe Foto)! Seine Freunde kann man sich eben (nicht) aussu­chen. +++ Über haben wir eigent­lich letzte Woche schon alles gesagt, und mehr war in ihrem Inter­view, das sie der „Zeit“ gab, auch nicht zu lesen. Sie selber hat auf Face­book inzwi­schen stolz ihren Sommer­spiel­plan gepostet (ach, was war das noch ästhe­tisch, als Judith Neuhoff und die Universal sich um die Außen­dar­stel­lung der Künst­lerin geküm­mert haben!): Neben Verona ist dort nun ein „Concert at Thurn und Taxis Palace“ aufge­führt, oder ein Auftritt in Ljubljana – in Deutsch­land wird Netrebko bei meinem Freund Louw­rens Lange­voort in der Kölner Phil­har­monie, in Stutt­gart und natür­lich bei Netrebko-Fan Chris­toph Lieben-Seutter in der Elbphil­har­monie singen. Was ich inter­es­sant finde, ist, dass sich in ihrem Fall die Veran­stalter- und Fanmei­nung von einer breiten Wahr­neh­mung in der Bevöl­ke­rung grund­le­gend zu unter­scheiden scheint. Ein Blick auf die Kommen­tar­spalte, etwa im Stan­dard, ist durchaus aufschluss­reich. 

Persön­liche Geister

Bradley Cooper als Leonard Bernstein

Die Ähnlich­keit ist verblüf­fend: Erste Bilder vom Netflix-Set kursieren im Netz: Sie zeigen Schau­spieler als – und der scheint Bern­stein wie aus dem Gesicht geschnitten. Eigent­lich hatte sich die Rechte am Bern­stein-Bio-Pick gesi­chert, hat sie dann aber abge­geben. +++ Auch Robert Braun­müller von der AZ denkt nun über die Nach­folge von Valery Gergiev bei den Münchner Phil­har­mo­ni­kern nach und entdeckt bei den Diri­gen­tInnen der kommenden Saison einige Kandi­daten. Einer seiner Favo­riten scheint zu sein. Dagegen spräche aller­dings, dass Gergiev-Freund und Inten­dant Paul Müller offen­sicht­lich noch immer am langsam ster­benden Tournee-Modell (beson­ders nach Asien) fest­halten will und deshalb nur „auf große Namen“ setzt, mit denen er sein Orchester inter­na­tional verkaufen kann. Aber viel­leicht wäre es gerade für die Münchner gut, erst einmal eine eigene Iden­tität vor Ort und jenseits großer Namen zu finden. +++ Wegwei­sendes Urteil am Bundes­ge­richtshof: Weil eine Mitar­bei­tende der Baye­ri­schen Staats­oper ihren Coro­na­test verwei­gerte, stellte das Haus sie im Sommer 2020 frei. Zu Recht, entschieden die Richter nun

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel steckt es nur? Wenn es in der Gegen­wart schon schwer zu finden ist, viel­leicht sollten wir das Posi­tive in der Zukunft aufspüren? Während ABBA mit Avataren auftritt, versucht die Klassik noch immer, dass der Computer program­miert wie Beet­hoven. Dabei hat die Zukunft längst begonnen, wir müssen das nur noch erkennen, sagt Helga Huskamp, Geschäfts­füh­rende Vorständin des ZKM in Karls­ruhe in meinem aktu­ellen Podcast „Alles klar, Klassik“ (hier für alle Podcast ‑Formate nach­zu­hören), und Tina Lorenz, die am Theater in Augs­burg die Digital-Sparte leitet, lebt längst in neuen Welten. Das Theater-Haus mit seinen vier Wänden ist in Zukunft nur ein Ort der intimen Begeg­nung, dem das Netz in Nähe und Sinn­lich­keit nicht nach­steht. Ein Podcast über Aufbrüche in neue Welten und die unend­li­chen Möglich­keiten der Kunst. 

Der Geist von Proust

Einen haben wir noch: Ab sofort gibt es auf der Seite von CRESCENDO eine neue Rubrik, Künstler privat. Ein Frage­bogen mit 88 Fragen, von denen mindes­tens 20 beant­wortet werden sollen. Den Anfang macht Anne-Sophie Mutter. Was inspi­riert sie? Was würde niemand von ihr vermuten? Wobei wird sie schwach? Sie wollen es wissen: dann bitte – hier entlang!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de