KlassikWoche 24/2021

Klassik-Geflüster und Room­ser­vice für Paavo

von Axel Brüggemann

14. Juni 2021

Political Correctness in der Klassik, Nora Schmid als neue Intendantin in Dresden, der OPUS KLASSIK, die Umsatzrückgänge in der Kultur

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit zwei skypenden Diri­genten in einem Hotel, mit 50 Euro für Brüg­ge­mann und, wie immer, poli­tisch voll­kommen korrekt!

POLI­TISCH KORREKTE KLASSIK?

Als Jour­na­list erlebt man immer öfter, dass Lese­rInnen einen auf „poli­ti­sche Fehler“ aufmerksam machen. Ich hatte bereits über die Korre­spon­denz berichtet, die ich mit einer Leserin über den „Rosen­ka­va­lier“-„Mohren“ geführt habe. Als ich diese Woche von nach zum Musik Festival geflogen bin, erntete ich Kritik auf Face­book, ob das nicht auch mit dem Zug möglich sei.

Wenn ich schon unter andau­ernder Beob­ach­tung stehe, wie geht es dann erst den wirk­lich wich­tigen Menschen und staat­lich subven­tio­nierten Kultur­ein­rich­tungen? Tatsäch­lich haben viele Inten­dan­tInnen diese Fragen längst auf dem Schirm. Hier drei Dinge, über die wir in Zukunft – ob wir wollen oder nicht – wohl öfter spre­chen werden: 

I. KANN KARAJAN WEG, ODER IST ER KUNST?

In hat eine Histo­ri­ker­kom­mis­sion die Debatte begonnen, ob man denn noch als Stra­ßen­namen führen sollte: Auf 1.100 Seiten wurden die Biogra­fien von 66 Namens­paten aufge­ar­beitet, die unter­schied­lich stark mit dem NS-Régime verstrickt waren. Bei 13 waren die Verbin­dungen so gravie­rend, dass geklärt werden soll, ob das Anbringen einer Erläu­te­rungs­tafel reicht oder die Straße umbe­nannt werden soll davon sind unter anderem Porsche und Karajan betroffen. 

II. KANN ES EINEN ZIGEU­NER­BARON OHNE GÄNSE­FÜßE GEBEN? 

Tobias Kratzers Inszenierung des „‚Zigeuner‘baron“ an der Komischen Oper Berlin
Foto: Monika Ritters­haus – Komi­sche Oper

Nachdem wir bereits debat­tieren, wie wir mit den kolo­nia­lis­ti­schen Teilen der Opern Mozarts umgehen, verlegt sich die Diskus­sion nun auch auf die Bühne. Regis­seur hat an der Komi­schen Oper in Berlin den „Zigeu­ner­baron“ in Szene gesetzt. Julia Spinola berichtet in der Süddeut­schen: „Was macht man, wenn man etwas sagen will, von dem man vorher schon weiß, dass man es hinterher nicht gesagt haben möchte? Man legt es jemand anderem in den Mund und setzt es in Anfüh­rungs­zei­chen. Ein biss­chen so geht die jetzt mit der berühmten Strauss-Operette um, deren Name allein schon ausreicht, um Diskus­sionen über Anti­zi­ga­nismus hoch­ko­chen zu lassen. Première feierte daher der ‚Zigeu­ner’­baron, um, so Regis­seur Tobias Kratzer, zu signa­li­sieren, dass der mit rassis­ti­schen Zuschrei­bungen belas­tete Titel ‚nicht hirnlos repro­du­ziert‘ werde.

III. KANN EIN ORCHESTER NOCH DURCH DIE WELT FLIEGEN?

In dieser Woche hat ein Inten­dant, mit dem ich mich unter­halten habe, folgende Debatte begonnen. „Ich bin nicht sicher, wie lange es in der Öffent­lich­keit noch opportun ist“, sagte er, „dass wir jedes Orchester quer durch die Welt fliegen lassen.“ Beson­ders für die Radio Symphonie Orchester mit eindeu­tigem Vor-Ort-Auftrag sei dies eine Gret­chen­frage für die Zukunft. Bei der Sommer­nachts­gala in hat man dieses Jahr aus ökolo­gi­schen Gründen bereits auf das tradi­tio­nelle Feuer­werk verzichtet. Und tatsäch­lich wird diese Debatte wohl auf uns zukommen. Hanno Rauter­berg hat sie diese Woche schon für Museen in der „Zeit“ voraus­ge­dacht: „Auf dem Weg zum grünen Museum wird es daher mit veganem Kuchen und ein paar Solar­zellen auf dem Dach nicht getan sein, solange die unbe­dingte Frei­heit – Inbe­griff moderner Subjek­ti­vität – zwin­gend zur Geschäfts­grund­lage der Kunst dazu­ge­hört. Ihr Wachs­tums­drang ist vor allem ein Ausdruck des Auto­no­mie­den­kens, das stets über sich selbst hinaus­weisen und vorbild­haft werden möchte. Gerade dieser Vorbild­cha­rakter, der den Museen ebenso wie Thea­tern oder Konzert­häu­sern zuge­spro­chen wird – es seien Orte des geis­tigen Gemein­wohls –, verdüs­tert sich, je drän­gender die Klimanot wird und das Gemein­wohl ganz andere Probleme bekommt.“ 

NORA SCHMIDT FÜR DRESDEN 

Die neue Intendantin der Dresdner Semperoper Nora Schmid
Foto: Oper /​Oliver Wolf

Wir hatten schon vor Wochen ziem­lich viel auf Nora Schmid als Nach­fol­gerin von Peter Theiler als Inten­dantin der Semper­oper in gesetzt (die Signale verdich­teten sich spätes­tens nach unserem Text über die Alpha-Männ­chen in der Klassik). Nun ist es so weit: Sach­sens Kultur­mi­nis­terin Barbara Klepsch hat die derzei­tige Chefin der Grazer Oper, die Schwei­zerin Schmid, auch offi­ziell ernannt. All das ist diese Woche bereits von oben bis unten kommen­tiert worden. Nun geht es darum, weiter zu denken. Denn eine der wich­tigsten Entschei­dungen, die auch über Schmids Zukunft entscheiden wird, muss sehr bald gefällt werden: Wer wird beerben? Die Staats­ka­pelle soll in dieser Sache Vorschlags­recht haben (eine Findungs­kom­mis­sion ist hier ebenso wenig wie bei der Wahl der Inten­dantin vorge­sehen. Im Orchester gibt es verschie­dene Strö­mungen: Während einige über eine schnelle Nach­fol­gerIn von Thie­le­mann speku­lieren (keine Angst, , scheint nicht in der engeren Wahl), können sich andere auch eine Inte­rims­zeit ohne Chef vorstellen. Beson­ders brisant ist die Lage in Dresden, weil die Kapelle hier ja auch das Opern­or­chester stellt. Wäre even­tuell auch ein „Wiener Modell“ möglich? Ein Gene­ral­mu­sik­di­rektor für die Oper und eine Kapelle ohne Chef­di­ri­genten? Es wird auf jeden Fall span­nend. Und, nein, liebe Kole­gInnen, ich gehe jede Wette ein, dass das Gerede davon, dass Thie­le­mann schon bald an der ersetzen wird, nur der feuchte Traum einiger Klassik-Freaks ist. Außer … außer … außer: Es kracht doch bald auch öffent­lich zwischen den Wiener Phil­har­mo­ni­kern und Staats­opern-Inten­dant Bogdan Roščić. Nicht ausge­schlossen… 

Wie schafft man es, sich von Corona nicht unter­kriegen zu lassen?
Arnt Cobbers fragt nach. Bei und .

50 EURO FÜR BRÜG­GE­MANN

Uhps…. so war das ja auch nicht gemeint! Heftig, wie vehe­ment die Debatte über die Machen­schaften des aus der letzten Woche (beson­ders auf meiner FB-Seite) geführt wurde. Ich hatte berichtet, dass für eine Nomi­nie­rung ledig­lich eine Zahlung von 50 Euro an den Preis (und natür­lich eine CD und zwei Rezen­sionen) nötig seien und dass es absurd sei, diese „Nomi­nie­rung“ bereits als Erfolg zu posten. (Ich habe diese Kritik noch einmal ausführ­li­cher an dieser Stelle formu­liert.) Anderer Meinung waren erschre­ckend viele junge Musi­ke­rInnen, für die derar­tige Methoden offen­sicht­lich längst „normal“ sind. Eine von ihnen schrieb mir: „Tja das Problem ist leider, dass genü­gend Veran­stalter Wert auf solche Preise legen. Ich wurde schon explizit am Telefon gefragt, ob wir den Opus Klassik gewonnen hätten, denn wenn nicht, bräuchte ich mich nicht bewerben. (…) Ein Preis ist zwar nicht entschei­dend für die Karriere, kann aber absolut hilf­reich und beschleu­ni­gend sein, da kann soviel geläs­tert werden, wie will!“ Aber ich bleibe dabei: „Ja, es ist nervig, wenn Veran­stalter einen Preis voraus­setzen sollten, aber es ist auch falsch, diese Veran­stalter zu bedienen und den Preis zu legi­ti­mieren, indem man seine Nomi­nie­rung einfach kauft und so tut, als hätte irgend­je­mand einen ausge­zeichnet. All das ist ein System, in dem sich Veran­stalter und Künst­le­rInnen gegen­seitig bescheißen. All das ist nicht mehr zeit­gemäß und viele Künst­le­rInnen werden in die Röhre schauen.

DIE KLASSIK NACH CORONA

Foto: dpa

Es ist so schön, das große Durch­atmen in der Klassik zu spüren: Künst­le­rInnen und Veran­stal­te­rInnen legen endlich wieder los. Und freuen sich. Zu Recht! Allein das Publikum macht noch nicht so richtig mit. Obwohl Konzert- und Opern­häuser noch längst nicht alle Plätze verkaufen dürfen, bleiben auch bei redu­ziertem Angebot Sitze leer. Das Publikum scheint noch mit großen Menschen­massen zu frem­deln – klar im Vorteil sind derzeit Open-Air-Veran­stal­tungen. Doch die Sicher­heits­kon­zepte der Häuser sind ausge­klü­gelt, und ich kann es aus eigener Erfah­rung sagen: Wenn man einmal da ist, spürt man erst, was man im letzten Jahr vermisst hat!

Hidden Secrets of Clas­sical Music: Die neue Folge
Die Clementi Connec­tion – Wie Mozart, Beet­hoven und der Pop von einem frühen Influencer profi­tieren.

Und jetzt, da es bergauf zu gehen scheint, zeichnen sich bereits die Kolla­te­ral­schäden ab. Ein Gutachten der Wissen­schaft­li­chen Dienste des Bundes­tages bezif­fert den Umsatz­rück­gang in der Kultur- und Krea­tiv­wirt­schaft für das vergan­gene Jahr auf insge­samt 22,4 Milli­arden Euro. Am stärksten waren die Bereiche Film­wirt­schaft, Darstel­lende Kunst und Kunst­markt betroffen. Sie seien auf das Umsatz­ni­veau von 2003 zurück­ge­fallen. Insge­samt sind laut Gutachten rund 260.000 Unter­nehmen und mehr als 1,8 Millionen Menschen im Kultur­sektor tätig. Der Deut­sche Kulturrat warnt vor Einspa­rungen in den nächsten Jahren. „Wir versu­chen, den Parteien vor der Bundes­tags­wahl das Verspre­chen abzu­ringen, dass sie nicht an der Kultur sparen“, sagte Geschäfts­führer Olaf Zimmer­mann. „Ich mache mir beson­dere Sorgen um die vielen Kommunen, die über­schuldet sind. Die Kommunen nehmen deut­lich weniger Geld ein, weil Gewer­be­steuer fehlt. Das wird sich auf die kultu­relle Infra­struktur auswirken.“ Ich persön­lich glaube, auch die Kultur ist in der Bring­schuld – nach der Öffnung geht der Klassik-Zirkus mit zuweilen perversen Gagen­for­de­rungen und Eitel­keiten unge­bremst weiter. Das kann nicht gut gehen! 

UND WO BLEIBT DAS POSI­TIVE, HERR BRÜG­GE­MANN?

Foto: auf Insta­gram

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Derzeit versteckt es sich viel­leicht in . Dort will man zwar die Olym­pi­schen Spiele statt­finden lassen, aber die Klassik-Musiker sitzen im zwei­wö­chigen „Haus­ar­rest“ (äh, Quaran­täne) … am lässigsten über­brückt diese Zeit der Diri­gent Paavo Järvi, der täglich lukul­li­sche Schwei­ne­reien (haupt­säch­lich Sushi) postet. Neulich stellte er einen Screen­shot online, in dem er mit skyped – weil der (kein Scherz!) einige Zimmer neben Järvi im glei­chen Hotel auf sein „Raus­kommen“ wartet. Ob die beiden sich zu Sushi in Frei­heit verab­redet haben, ist nicht über­lie­fert.

Ansonsten: Ich bin bei den Brixen Clas­sics und springe jetzt in den Pool!

Halten Sie die Ohren steif!

Ihr 

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Warner Clas­sics, Monika Ritters­haus – Komi­sche Oper Berlin, Oper Graz/​Oliver Wolf, dpa, Paavo Järvi auf Insta­gram