KlassikWoche 25/2022

Kaviar und der russi­sche Mittel­finger

von Axel Brüggemann

20. Juni 2022

Bernd Loebe und der Neubau des Frankfurter Opernhauses, die Tournee von musicAeterna durch Russland, die Forderung von Moritz Eggert nach Transparenz an der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

die Fest­spiel­saison steht vor der Tür: Und auch bei uns dreht sich alles um Bregenz, Bayreuth und Salz­burg. Dazu, wie immer: die aktu­ellen Debatten der Klassik!

Frank­furter Opern-Debatte

Oper Frankfurt

„Wenn die Klima­an­lage im voll besetzten Zuschau­er­saal ausfallen würde, müsste (der Inten­dant) ihn sofort räumen lassen. Denn die Atem­luft reiche dann nur noch für drei Minuten“, berich­tete die FAZ diese Woche über den Zustand des Opern­hauses in Frank­furt.

Dort wurden nun, trotz aller Haus­halts-Einspa­rungen drei Neubau­va­ri­anten debat­tiert: Ein Neubau mit beiden Bühnen an der bishe­rigen Stelle (was zwei Inte­rims­bühnen nötig machen würde), eine „Spie­gel­va­ri­ante“, bei der das Schau­spiel­haus auf Höhe des Euro-Zeichens errichtet würde und die Oper an der bishe­rigen Stelle des Thea­ters neu gebaut würde, oder: eine Bühne am Willy-Brandt-Platz, eine andere auf dem Grund­stück der Frank­furter Spar­kasse an der Neuen Mainzer Straße. Inten­dant macht Druck, besteht auf schnellem Handeln – während Frank­furt (ebenso wie München) parallel schon mal den Kultur­haus­halt kürzt. 

Reso­nanz zur Auslas­tungs-Debatte

Teatro La Fenice in Venedig, 1829

Große Reso­nanz hatte unser Thema über die oft noch immer schwa­chen Auslas­tungs­zahlen im deut­schen Klassik-Betrieb (den ich auch im Podcast „Kommt doch mal näher“ bespro­chen habe). Auch die Süddeut­sche widmete sich noch mal dem Thema unter dem Titel „Rest­karten an der Abend­kasse“. Mich erreichten wirk­lich viele Mails, die ich gar nicht alle beant­worten konnte: Einige schickten mir die vollen Saal­pläne ihrer Häuser, andere leere Saal­pläne der Konkur­renz. Aber es ging auch um die Sache. Ein Agent schrieb mir, dass ein Groß­teil der Krise auch mit der Krise des Jour­na­lismus zusam­men­hänge, es gäbe immer weniger Raum für Ankün­di­gungen: „Inzwi­schen habe ich mir über­legt, ob ich über­haupt noch Aufträge von Veran­stal­tern und Festi­vals annehme, da es so frus­trie­rend geworden ist. Alle wollen wieder auf die Bühne (.)… Schade, wenn am Ende 45 Menschen im Großen Saal sitzen. Ich rate seit Jahren allen Künst­lern, eigene Verteiler zu pflegen. Nichts ist effek­tiver, als sein Publikum direkt anzu­spre­chen und einzu­laden. Je persön­li­cher, desto besser. (Viel Arbeit!) Dennoch war es auch vor Corona immer wieder wichtig, Ankün­di­gungen in Form von Inter­views, Vorbe­richten, Konzert-Tipps und Empfeh­lungen von Redak­tionen zu bekommen.“ – Doch genau die würde es heute kaum noch geben. Ein anderer Leser schrieb mir: „Ich sage das ja jetzt schon seit über 20 Jahren: Gebt neuen Kompo­nisten, die ihr Hand­werk verstehen und dabei auch noch tonal kompo­nieren können, mehr Raum und Aufmerk­sam­keit.“ Auch an dieser Stelle fehlte ihm Viel­falt: „Als inter­es­sierter Leser geht es bei Deinem News­letter immer um die glei­chen Namen und Problem­stel­lungen … Nur so eine Rand­be­ob­ach­tung am Montag­morgen …“ 

Tatsäch­lich bricht die Klassik-Bericht­erstat­tung weg, und, ja: Es ist leicht, dafür die Zeitungen verant­wort­lich zu machen. Viel­leicht wäre es wich­tiger, neue Wege der Öffent­lich­keit zu finden. Und, ja: Dieser News­letter und der Podcast sind zwei solcher Wege. Und, ja, viel­leicht müssen wir uns auch an dieser Stelle nicht breiter aufstellen. Viel­leicht reicht es nicht, dass wir allein in den Podcasts der letzten zwei Monate so unter­schied­liche Menschen wie Till Janc­zu­ko­wicz von IDAGIO, Johannes Kern­mayer von Capriccio, Tina Lorenz von der Digital-Sparte des Thea­ters Augs­burg, Presse-Agen­turen, das Trickster Orchestra oder den Philo­so­phen Konrad Paul Liess­mann, die Jour­na­listin Hannah Schmidt und die Diri­gentin zu Wort kommen ließen … Klar, mehr Viel­falt geht immer. Und ich verspreche: Das wird auch weiterhin unser Anspruch sein. Denn ich bin sicher, dass nur eines nicht zum Ziel führen wird: Die Augen zu verschließen und posi­tive Beispiele als Regel in den Raum zu stellen, um – so wie Gerald Mertens von der Deut­schen Orches­ter­ver­ei­ni­gung – einfach die Augen vor den Problemen zu verschließen und die Über­bringer der nackten Fakten als Nest­be­schmutzer zu beschimpfen. Kann man machen, ist aber wohl kaum im Inter­esse des Fort­be­standes unserer Orchester. 

Russi­scher Mittel­finger – inter­es­siert eh keinen!

Ich habe in den letzten Monaten gelernt, dass das Thema von Künst­le­rInnen, die sich von abhängig gemacht haben kaum jemanden im großen Konzert-Zirkus zu inter­es­sieren scheint. Am liebsten soll alles einfach nur weiter­gehen wie immer! Krieg? Doch nicht bei uns! Nehmen Sie diesen Absatz also bitte einfach nur als Chro­nisten-Bekannt­ma­chung, damit später niemand sagen kann, dass er es nicht gewusst hätte: Dass die Firma Gazprom gerade die Hähne ihrer Pipe­lines nach Europa zudreht, um den Westen unter Druck zu setzen, scheint und sein Ensemble musi­cAe­terna nicht davon abzu­halten, im Dienste des Öl-Multis zu musi­zieren. Während Salz­burg-Inten­dant erklärt hatte, er warte auf ein „Zeichen“ von Curr­entzis und der SWR in seiner Erklä­rung schrieb, man hoffe, musi­cAe­terna würde schnell eine Lösung für das (vom Sender „verur­teilte“) Spon­so­ring der VTB Bank finden, reiste das Ensemble vor zwei Wochen einfach weiter auf der von Gazprom gespon­serten Tour durch Stand­orte des Energie-Multis quer durch Russ­land (DAS IST russi­sche Propa­ganda!). Auf den Roll­fel­dern gab es Kaviar für die Musi­ke­rInnen – und über­haupt war es eine große Sause, wie auf den Insta-Profilen der Musi­ke­rInnen zu sehen ist.

Ach ja: Wer glaubt, die Salz­burger Fest­spiele hätten den Orff-Abend exklusiv. Das ist nicht der Fall, diesen Sonntag hat musi­cAe­terna das Stück bereits im russi­schen Perm – also im Umfeld von VTB und Gazprom – aufge­führt (hier die dazu­ge­hö­rigen Tele­gramm-Bilder). Aber auch das scheint Salz­burg nicht zu stören. Dass Curr­entzis kaum ein Inter­esse hat, Russ­land zu verlassen und sich von seinen russi­schen Geld­ge­bern zu distan­zieren (im Vorstand seines Orches­ters sitzen immerhin der VTB-Bank-Chef und die Chefin der Russi­schen Natio­nal­bank), ist hinläng­lich erklärt. Stellt sich die Frage, wie lange der SWR seinem Chef­di­ri­genten nun eigent­lich noch das russi­sche Spon­so­ring gelten lassen will und wie lange Hinter­häuser noch auf ein State­ment des Diri­genten warten will (oder war die eigene Ankün­di­gung nur heiße Luft?). Derzeit zeigen Curr­entzis und sein Orchester dem SWR und den Salz­burger Fest­spielen eher den russi­schen Mittel­finger. Viel­leicht weil sie sicher sind, dass dort im Sommer einfach die Augen und die Ohren verschlossen werden – man tut halt so, als sei alles normal. Wer? Alle: Landes­haupt­mann Wilfried Haslauer, Bürger­meister Harald Preuner, Mozar­teum-Chef Johannes Honsig-Erlen­burg, Bundes­theater-Holding-Chef – eben das gesamte Salz­burger Who is Who.

Die geheimen Rituale der Intel­lek­tu­ellen-Kreise

Wir hatten an dieser Stelle vor einigen Wochen darüber berichtet, wie Kompo­nist bei der Baye­ri­schen Akademie der Schönen Künste in die Kritik geriet, weil er Fragen an die Insti­tu­tion hatte: Fragen nach Trans­pa­renz, Fragen an den Umgang mit alten Fehlern und Fragen an die Vettern­wirt­schaft. Nun hat Petra Mors­bach die Causa in einem sehr lesens­werten Text für die FAZ ausge­weitet, unter anderem auch auf den PEN. Dort heißt es unter anderem: „Kürz­lich hat die Musik­ab­tei­lung in einer ‚Sonder­sit­zung zum Verhalten unseres Mitglieds Moritz Eggert‘ diesen Kollegen aus Sitzungen und Kommu­ni­ka­tion der Akademie verbannt, nachdem er in einem Blog einen Programm­vor­schlag der Gene­ral­se­kre­tärin kriti­siert hatte. (…) Dosto­jew­skis Groß­in­qui­sitor wusste, dass die Menschen lieber satt und zufrieden sind als hungrig und frei. Das hat eine gewisse Logik. Doch unsere Geis­tes­ver­treter sind gleich­zeitig satt und frei, ein histo­risch einma­liges Privileg. Warum fügen sie sich ohne Not will­kür­li­chen Restrik­tionen und jagen den kriti­schen Kollegen aus dem Verbund?“

Perso­na­lien der Woche

https://www.youtube.com/watch?v=9‑bTNFeqp5w

Erin­nern Sie sich an den Geiger Illia Bonda­renko, der aus dem Bunker in Kiew eine ukrai­ni­sche Weise ange­stimmt und hunderte von Geige­rInnen animiert hat, mitzu­ma­chen? Ich habe Illia getroffen und mit ihm darüber gespro­chen, wie wichtig Musik als Mittel der Kommu­ni­ka­tion ist, wie es sich anfühlt, zwischen Fest­spiel­sommer und Krieg hin- und herzu­pen­deln, und wie er die aktu­elle Situa­tion in seiner Heimat wahr­nimmt. Das gesamte Inter­view unten im Player. +++ erklärte in einem Inter­view mit dem Briti­schen Tele­graph (Bezahl­schranke), dass ihm nach der Pandemie die Zeit im Nacken sitze: „Was man in den 50ern schaffen wollte, kann man gerade noch in den 60ern schaffen, aber nicht mehr in den 70ern“, sagte er. +++ Der Brat­schist Yuri Bashmet wurde von Wladimir Putin als „Held der Arbeit“ ausge­zeichnet und gab der russi­schen Zeitung AIF danach ein Inter­view, das sich gewa­schen hat: „Wir tun das Rich­tige und werden gewinnen“, sagte er über den Krieg in der Ukraine (so berich­tete es der BR) und: „Ihr könnt mit mir machen, was ihr wollt, ich habe kein Inter­esse am Ausland.“ Sowieso spiele er lieber in Bugulma (eine Stadt in der russi­schen Repu­blik Tatar­stan) als in Paris, Amsterdam oder New York. „Warum sollte ich meine aufrich­tigen Gefühle Fremden schenken?“, fragt Bashmet rheto­risch. Zumal Fremden mit einer „verbo­genen Haltung“, womit der Brat­schist offenbar die Kritik an einem völker­rechts­wid­rigen Krieg meint. Bashmet orakelt über düstere Zeiten im Westen: „Das Niveau da drüben im Westen wird bald und spürbar sinken. Wir russi­schen Musiker waren schon immer die Besten. Nicht Sand­körner in der Masse, nein, wir waren schon immer die Gaga­rins in der Welt der klas­si­schen Musik.“ +++ Ganz andere Töne kommen vom russi­schen Dissi­denten und Regis­seur Kirill Serebren­nikow. Dem briti­schen Guar­dian sagte er: „Wie kann man nicht wütend sein über das, was passiert. Ukrainer sterben an russi­schen Bomben. Ganze Städte werden wegra­diert. Zivi­listen werden ermordet. Wie zum Teufel kann man da noch schweigen? Wie? Wie kann man all dieses Morden eine ‚Spezi­al­ope­ra­tion‘ nennen?” +++ Bremens Bürger­meister hat endlich die Poten­zial- und Mach­bar­keits­ana­lyse für das Konzert­haus die Glocke in Auftrag gegeben. Ein Erfolg für Bremens Landes­mu­sikrat, der sich gegen eine Stra­ßen­bahn-Linie neben dem Haus und für Inves­ti­tionen einsetzt. +++ Der Vertrag von als Inten­dant an der Wiener Staats­oper wird erwar­tungs­gemäß um fünf Jahre, bis 2030 verlän­gert.

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht ja hier: Der Fest­spiel-Sommer beginnt. Und im aktu­ellen Podcast „Alles klar, Klassik?“ (hier geht es zum Player für alle Formate) gibt es erste exklu­sive Einblicke. Zum Beispiel, wenn Bayreuths Tristan-Regis­seur Roland Schwab über die Kunst des Tran­szen­die­rens spricht, wenn die Cliff­hanger-Quali­täten des neuen Ringes feiert, oder wenn Bregenz-Inten­dantin erklärt, was die Fest­spiele (die diesen Sommer mit Madame Butterfly eröffnen von einem Reper­toire-Haus wie der Staats­oper in Berlin (wohin es Sobotka verschlägt) unter­scheidet. Mit rede ich über die Anstren­gungen für die Stimme, die ein Fest­spiel­sommer zwischen Isolde und Elsa mit sich bringt. Ich lade Sie herz­lich ein, im aktu­ellen Podcast schon mal auf Fest­spiel-Reise zu gehen.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de