KlassikWoche 29/2022
Die verlorene Ehre der Anna N. und Stuttgarts Pfennnigfuchser
von Axel Brüggemann
18. Juli 2022
Die Tragödie der tingelnden Anna Netrebko, die Infragestellung der Sanierung der Stuttgarter Oper, die neue Präsidentin Lydia Grün an der Hochschule für Musik in München.
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
heute mit leidenden Orgeln, Spardebatten in Stuttgart und dem Drama um Netrebko. Und dieses noch schnell in eigener Sache: Ich bekomme jede Woche allerhand Mails, in letzter Zeit sehr viele, die mir schreiben: „Es ist so wichtig, dass Sie in Sachen Currentzis nicht lockerlassen, weiter so!“ Andere lassen mich aber auch wissen: „Wir haben Ihren Standpunkt verstanden, wir lesen Ihren Newsletter gern, aber – bitte: ein bisschen weniger Currentzis!“ Also gut! Für heute habe ich beschlossen, das Thema auszulagern: Wen interessiert, wie Markus Hinterhäuser in Salzburg herumschwimmt, was Sponsoren und Politiker zur Causa Currentzis Neues zu sagen haben und warum am Ende – anders als bei Valery Gergiev – niemand sagen kann: „Ach, dass das so schlimm ist, habe ich nicht gewusst“, der kann unter diesem Link weiterlesen. So, und nun geht‘s los!
Die Tragödie Netrebko
Als ich letzte Woche das Foto für den Aufmacher, die dunkel geschminkte Anna Netrebko, ausgesucht habe und mit der Unterschrift „Russian POC“ geliebäugelt habe, nahm die Debatte diese Woche an Fahrt auf. Und zwar auf vollkommen unterschiedlichen Ebenen. Ein kleiner Rückblick: Noch im März, nachdem Netrebko sich von ihrer Managerin Judith Neuhoff getrennt hatte, versuchten einige, die vorhatten, weiterhin Geld mit ihr zu verdienen, uns einzureden, dass man die Sache nur aussitzen müsse, dass „die Netrebko“ wiederkomme und dass alles so wird, wie es immer war. Derzeit beobachten wir, dass dem nicht so ist. Das aktuelle Drama der Netrebko zeigt, dass es gar nicht darum geht, ob eine Künstlerin oder ein Künstler noch auftreten können, sondern darum, ob sie gegenüber der Klassik-Szene und ihrem Publikum noch glaubhaft sind. Man könnte auch sagen, es geht um: Anstand.
Manuel Brug hat in einem lesenswerten Text (noch vor der Blackfacing-Debatte) geschrieben: „Man lässt Netrebko an der Peripherie der Klassik mitmachen wie eine unliebsame Verwandte.“ Sicher, Netrebkos Fanbase reicht noch für Einmal-Konzerte bei Thurn & Taxis oder für Tourismus-Auftritte in Verona. Aber ihr alter Zauber ist wie weggehext. Das mag auch daran liegen, dass zu offensichtlich ist, dass es Netrebko (und jenen, die an ihr verdienen) in erster Linie nur noch ums Geld geht. Und während sie tingelt wie ein alternder Schlagerstar, verkauft sie leider auch ihre Würde. Da liest man, dass sie in einem nicht nüchternen Zustand russische Fans als „verdammte Drecksäcke“ beschimpft (so wie sie zuvor ihre westlichen Fans mit Fäkal-Vokabular beschimpft hat). Dass Netrebko nichts Schlimmes am Blackfacing in Verona fand, zeigt, wie sehr ihre Opernwelt aus der Zeit gefallen ist. Der Swarovski-Glitter bröckelt. Und zur endgültigen Entwürdigung der Netrebko trägt dann ausgerechnet ihr Gatte, Yusif Eyvazov, bei. Nachdem die dunkelhäutige Sängerin Angel Blue erklärt hatte, dass sie nicht als Violetta in Verdis La Traviata in Verona auftreten würde, schrieb Eyvazov unter ihr Instagram Profil: „Just disgusting“ – und postete dahinter einen Kotz-Emoji. Wie gesagt: ein Trauerspiel. Übrigens, wer mal lachen will, der lese das Statement der Arena di Verona, die allen Ernstes erklärte, man verstehe sich als „Opernmuseum“. (alles Neue zur Causa Currentzis hier)
Sparmaßnahmen in Stuttgart?
München hat derzeit bekanntlich eine „Denkpause“ in Sachen Konzerthaus eingelegt, und auch Stuttgart scheint noch mal jeden Cent umzudrehen, wenn es um die dringende Sanierung der Oper geht. Das milliardenschwere Unterfangen wackelt. Die grün-schwarze Landesregierung stellt das Projekt angesichts der Inflation und der drohenden Energiekrise infrage. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen erfuhr, hält insbesondere die CDU die aufwändige Sanierung angesichts der erwarteten finanziellen Folgen der Krise für das Land und die Menschen für kaum noch vermittelbar. Daher gibt es in der CDU-Fraktion mittlerweile geballten Widerstand gegen das teure Projekt.
US-Publikum kehrt nicht zurück
Es gab viele Reaktionen, als wir letzte Woche über die Finanzengpässe an deutschen Theatern geschrieben haben: Rezession, Inflation, Tariferhöhungen und Publikumsschwund. Ich habe das alles für den SWR noch mal zusammengefasst. Und die Krise scheint weltweit zu sein. In Baltimore wurde gerade eine Studie veröffentlicht, nach der 26 Prozent der KonzertbesucherInnen erklärt haben, dass sie wohl nicht so schnell zu Live-Konzerten zurückkehren werden.
Nachdem die Debatte um den Publikumsschwund lange vernachlässigt wurde, nimmt sie nun an Fahrt auf. Die Süddeutsche spricht vom „Einbruch“ und fordert das Ende der Lebenslügen im Theaterbetrieb, und auch der Tagesspiegel spricht von einer nur „zögerlichen Rückkehr“ des Publikums, und Christiane Peitz extemporiert nun auch den Gedanken, dass Kulturbetriebe wieder näher ans Publikum rücken müssten. Dazu empfehle ich gern noch mal die Podcast-Debatte „Kommt doch mal näher“ .
Personalien der Woche
Er hält Russland die Treue: Justus Frantz wird im St. Petersburger Mariinski am 19. Juli mit Beethovens Neunter Sinfonie als Dirigent angekündigt. Er mag das „Brückenbauen“ nennen, ich nenne das Geldverdienen. +++ Erinnern Sie sich noch an Opi, den Gaga-Journalisten von News? Der ist nebenbei auch Vorsitzender des Österreichischen Musiktheaterpreises und nominiert – was was? – neben Anna Netrebko natürlich auch Teodor Currentzis. Tja, so kann man die Bedeutungslosigkeit eines Preises auch klar machen und sowohl die anderen Nominierten als auch den Veranstaltungsort Grafenegg in Bredouille bringen. (alles Neue zur Causa Currentzis hier) +++ Der Referent für Orgeln im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche, Christoph Zimmermann, hat Angst, dass die andauernde Trockenheit auch vielen Instrumenten zu schaffen macht: „Bei mir gehen erste Hinweise auf Orgeln ein, die unter der momentanen Trockenheit leiden“, sagte er und fürchtet besonders um die pneumatischen Orgeln. +++ Nachdem die lieben Kollegen die ganze Woche jenen Platz für die Bayreuther Personal-Rochaden ausgegeben haben, den sie vielleicht auch gut mit den letzten Russland-Engagements von Teodor Currenzis hätten füllen können, hier nur noch mal zur Dokumentation: Da Pietari Inkinen erkrankt ist, übernimmt Cornelius Meister den diesjährigen Ring-Zyklus. Markus Poschner wird den Tristan übernehmen. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen. Außer vielleicht: Wenn man mit Katharina Wagner redet, hat sie noch immer gute Laune.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? Zur Abwechslung mal an einem Ort, von dem in letzter Zeit nur wenig Gutes zu berichten war. Denn auch wenn der zu Haft verurteilte Siegfried Mauser nichts mehr an der Hochschule für Musik in München zu tun hatte, wehte sein Ungeist hier noch lange weiter. Die dunklen Schatten der Vergangenheit wollten die alten Hochschul-Mauern einfach nicht verlassen. Doch nun wird aufgeatmet! Mit der Wahl der Kulturmanagerin, Musikwissenschaftlerin und Publizistin Professor Lydia Grün zur neuen Präsidentin, schlägt die Hochschule endlich einen neuen Weg ein. Grün hat aktuell an der Hochschule für Musik Detmold eine Professur für Musikvermittlung inne. Sie wird das Amt der Präsidentin zum Studienjahr 2022/2023 von Professor Dr. Bernd Redmann übernehmen, der acht Jahre lang die Hochschule leitete. Ach ja, wenn Sie so schöne Sommer-Langeweile haben: Die Sommerpause des Podcasts „Alles klar, Klassik“ ist auch eine Möglichkeit, die alten Sendungen zu Themen wie Regietheater, Multimedia und Klassik, oder das Gespräch mit Christian Thielemann noch mal nachzuhören. Sie haben Neuigkeiten über Teodor Currentzis und die Salzburger Festspiele vermisst? 🙂 Bittschön: alles Neue zur Causa Currentzis hier
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Axel Brüggemann
brueggemann@crescendo.de