KlassikWoche 32/2020
Opus-Klassik nominiert Tote
von Axel Brüggemann
10. August 2020
Die Salzburger Festspiele in Corona-Zeiten, Plácido Domingos neue Haltung gegenüber den Missbrauchsvorwürfen, das Winden Siegfried Mausers vor dem Gefängnis
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
Mensch, ist das heiß geworden, und was war da nicht alles zu lesen in der letzten Woche, dass ich in meinem Urlaub ganz froh war, nicht alles lesen zu müssen! Hier aber nun, wie gewohnt, das Wichtigste der Woche: Ein Chor singt ums Überleben, Nominierung für Tote und ein Fest in Salzburg!
NDR CHOR SINGT UM SEIN LEBEN
Wir hatten bereits darüber berichtet, dass der NDR seinen Chor schrittweise zurückbaut und eine Mail vom NDR bekommen, dass das alles doch nicht so schlimm sei. Nun stehen die Eckdaten: Der Chor soll schrittweise in einer GmbH privatisiert werden. Frei werdende Chorstellen (derzeit 27) werden beim NDR nicht mehr besetzt. Freischaffende SängerInnen werden in der neuen GmbH nur noch auf 50-Prozent-Basis beschäftigt und können dort jederzeit entlassen werden. Der Chor protestiert, unter anderem mit dem Anker-Song! Wer solidarisch ist, singt mit! Hier geht’s zum Download.
OPUS NOMINIERT DIE TOTEN
Wenn man denkt, es geht nicht schlimmer … Vor einigen Wochen haben wir den Opus für seine Nominierungswut bereits beschmunzelt. Aber nun wird es wirklich schräg! Nominiert als Komponisten des Jahres sind: Thomas Adès, klaro – Detlev Glanert, Christian Jost … sehr gut! Aber auch Erich Korngold für seine Komposition „Das Wunder der Heliane“ und Hanns Eisler – ganz generell. Sorry, großer Christian Jost, aber allein aus Neugier möchte ich, dass einer dieser beiden gewinnt. Nur, um zu sehen, wie Thomas Gottschalk ihm den Preis übergibt. Hanns Eisler ist 1962 in Berlin gestorben, Erich Wolfgang Korngold 1957 in Los Angeles!
Wird Gottschalk sie eigenhändig ausgraben? Wird er auf einer Himmelsleiter aus Tönen in den orangenen ZDF-Himmel steigen und die Stimmgabel-Trophäe auf Wolke sieben stellen? Oder werden die Komponisten als Skelette auf die Gala-Bühne klappern? Hey, liebe Jury: Hättet Ihr wenigstens Geburtstagskind Ludwig van Beethoven als Komponisten des Jahres gewürdigt. Na ja – wie versprochen: Die Planung eines alternativen Musikpreises läuft auf Hochtouren!
Update: Nach Veröffentlichung der KlassikWoche hat der OPUS KLASSIK die Komponisten Hanns Eisler und Erich Wolfgang Korngold aus der Liste der Nominierten Komponisten entfernt.
CHAPEAU SALZBURG!
Während andere Kultur-Institutionen – besonders in Österreich – bereits damit rechnen, dass das Schlimmste erst noch kommt, haben die Salzburger Festspiele vollkommen neue Maßstäbe in Corona-Zeiten gesetzt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging: aber die Elektra mit der vollkommen neudeutenden Ausrine Stundyte und Franz Welser-Möst war eine Offenbarung, und als Christof Loys Inszenierung (ja, sie war nicht neu – so what?!?) Mozarts Liebende in Così fan tutte einander plötzlich umarmen und küssen ließ – da hat man gespürt, wie sehr man diese Form der Kunst vermisst hat! Und, ja: „Live is Live!“ Grandios auch, wie leichtfüßig, unbeschwert und selbstverständlich tief Joana Mallwitz durch die Partitur dirigierte! Die Verantwortlichen in Salzburg hatten Muffensausen, von einem „Ritt auf der Rasierklinge“ hatte Markus Hinterhäuser im Vorfeld an dieser Stelle gesprochen – auch weil die gesamte Veranstaltungsbranche auf die Festspiele schaute. Nach den ersten beiden Premieren war er überglücklich, dass alles auf dem richtigen Weg war.
Ganz anders in Bayreuth: Hier ist bislang das neue Klohäuschen der größte Hingucker, das nun endlich eingeweiht worden ist: Kostenpunkt: 670.000 Euro! Bleibt die Vorfreude auf das Grafenegg Festival, das nun ebenfalls an den Start gehen wird: Open-Air mit großem Publikum und den vier großen Orchestern aus Wien, den Philharmonikern, den Symphonikern, dem Tonkünstler-Orchester und dem ORF Radio-Symphonieorchester. Für Geschäftsführer Philipp Stein ist Corona Anlass, über viele neue Dinge nachzudenken.
DOMINGO UND KEIN ENDE
Es wäre doch das Beste, nun einfach den Ruhestand zu genießen. Aber das scheint Plácido Domingo nicht zu können. Einer italienischen Zeitung erklärte er nun: „Ich habe nie jemanden missbraucht“, nach seiner Corona-Erkrankung habe er eine neue Haltung gegenüber den Anschuldigungen zu seinen sexuellen Missbrauchsvorwürfen eingenommen. Er wolle seinen Namen wieder reinwaschen. Die Medien hätten ihn damals unzureichend verstanden und seine Äußerungen falsch wiedergegeben. Das klappt aber nur begrenzt. Zwar ehrt ihn – allen Ernstes!!! – der damit nun wirklich nicht mehr ernst zu nehmende Österreichische Musiktheaterpreis für sein Lebenswerk, andererseits erklärt die spanische Regierung, dass Domingo unerwünscht sei. Kulturminister José Manuel Rodriguez Uribes erklärte: „Gemeinsam mit dem Direktor des nationalen Instituts für Bühnenkunst haben wir beschlossen, dass wir Domingos Gegenwart nach seinen eigenen Aussagen und seinem Eingeständnis nicht für richtig hielten.“ Und bevor unser Dauer-Freund „esultate“ uns wieder eine Mail schickt: Dieses ist lediglich die Zusammenfassung der Lage :-)!
NACHRICHTEN DER WOCHE
Wir hatten letzte Woche ausführlich über den Fall von Karlsruhes Intendant Peter Spuhler berichtet. An seinem Haus berichten Angestellte von einer toxischen Arbeitsatmosphäre, geprägt von Burn-out, Angst und einem autokratischen Führungsstil. Dennoch hält Karlsruhe an Spuhler fest. Nun hat das Van-Magazin Betroffene befragt. Nach der Lektüre muss man einfach feststellen: Diese Dinge sollten an staatlich geförderten Häusern einfach nicht passieren! Die Rhein-Neckar-Zeitung spricht von einer Zuspitzung. +++ Hickhack am Mainfranken-Theater in Würzburg: Ende April hieß es noch, die Stadt habe sich nach langen Debatten entschieden, mit dem bisherigen Intendanten Markus Trabusch über einen neuen Vertrag zu verhandeln – ohne Berücksichtigung externer Initiativbewerbungen. Nun wird die Stadt den Job zunächst neu ausschreiben. +++ Kleiner Rückschlag in Sachen Corona: Die Sommernachtskonzerte der Wiener Philharmoniker mit Valery Gergiev und Jonas Kaufmann finden nur vor ausgewähltem Publikum und im Fernsehen statt.
PERSONALIEN DER WOCHE
Ex-Chef der Münchner Musikhochschule Siegfried Mauser windet sich weiter vor einem Haftantritt. Die Süddeutsche berichtet: „Dem Vernehmen nach soll Mauser noch eine österreichische Kanzlei beschäftigen – und den streitbaren Promi-Anwalt Johann Schwenn. Der bestätigte gegenüber der SZ das Mandat, ob und wie er nun Siegfried Mauser vor dem Gefängnis bewahren will, dazu wollte er keine Angaben machen.“ +++ Großer Zoff um Spotify-Chef Daniel Ek, der die Unrentabilität von Spotify für viele Musiker mit deren Faulheit erklärt: „Wenn Ihr alle drei bis vier Jahre Musik aufnehmt, könnt Ihr nicht davon ausgehen, dass das reicht.“ +++ Tenor Wolfram Lattke vom Ensemble Amarcord hat vier Thesen für die Zukunft aufgestellt: 1. Eigentum verpflichtet, 2. Auftritte ermöglichen, 3. Neuordnung von Verträgen, 4. Bedingungsloses Grundeinkommen. Mehr: hier. +++ Scala-Intendant Dominique Meyer hat alle Mitarbeiter seines Hauses informiert, dass ein Spielbetrieb unter Corona-Bedingungen lediglich möglich sei, wenn jeder auf zehn Prozent seiner Gage verzichte – und hofft auf Verständnis.
ROŠČIĆ BEKENNT SICH ZU BÜHNENORCHESTER
Normalerweise sind Gegendarstellungen unangenehm – diese hier macht uns allerdings Mut, da sie Solidarität für das Bühnenorchester in Wien bedeutet:
Gegendarstellung:
Aufgrund der Aussage in der KlassikWoche 28⁄2020: „Bogdan Roščić hat einen Großteil des Sänger-Ensembles gefeuert, und nun soll es auch dem Bühnenorchester an den Kragen gehen. Roščić will es auflösen – und erntet neuen Unmut.“ teilte Hr. Roščić mit, dass das nicht richtig sei. Er wolle das Bühnenorchester beibehalten und hätte das zuletzt erst im Juni 2020 gegenüber dem Bühnenorchester, der Bundestheater Holding GmbH als Eigentümer und dem Aufsichtsrat der Wiener Staatsoper GmbH ausdrücklich bekräftigt.
IN EIGENER SACHE
Viele Tage lang kam Franz Welser-Möst immer wieder zu uns, zu stundenlangen Gesprächen: Ich trank Cappuccino und aß Brötchen – er bevorzugte lediglich Tee. Es ging: um alles. Sein Leben, seine Kindheit, seine Niederlagen, seine musikalischen Siege – vor allen Dingen aber um das Gefühl der Stille, um einen Zustand, den er nur in Musik erlebt. Später gingen wir gemeinsam auf Wanderung – all das war die Grundlage seiner Autobiographie: „Als ich die Stille fand“, die nun – pünktlich zu seinem 60. Geburtstag im Brandstätter-Verlag erschienen ist. Also, wenn Sie Interesse an einem Leben in Musik, an einem Krimi um Stille, an einen Blick hinter die Kulissen in Zürich, London, Wien oder Cleveland haben und noch eine Ferienlektüre suchen. Ich sag« es ja nur 🙂 Zur Inspiration hier vielleicht das Gespräch, das zu unserer Zusammenarbeit geführt hat.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr