KlassikWoche 35/2021
Mallwitz, Macht und Muskeln
von Axel Brüggemann
30. August 2021
Der Wechsel von Joana Mallwitz zum Konzerthausorchester Berlin, eine Bilanz der Festspiele Salzburg und Bayreuth, der Neubau der Düsseldorfer Oper
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
ich war eine Woche paddeln auf der Mecklenburgischen Seenplatte – dass es so viel unberührte Natur mitten in Europa gibt: wunderbar! So viel Stille. Dabei war es in in den letzten beiden Wochen ohne Newsletter im Klassik-Dschungel ziemlich laut: Krach um Anna Netrebko in Salzburg, ein zusammengefalteter Hornist und ein spektakulärer Wechsel … Ich freue mich, dass es wieder losgeht!
MALLWITZ ZUM KONZERTHAUSORCHESTER?
Vor der Sommerpause haben wir an dieser Stelle über die neue Zurückhaltung von DirigentInnen gegenüber arbeitsaufwendigen GMD-Posten berichtet. Anlässe waren die stockende Suche der Komischen Oper nach einer neuen musikalischen Leitung und die Ankündigung von Joana Mallwitz, ihr Theater in Nürnberg zu verlassen.
Inzwischen mehren sich Stimmen, dass Mallwitz mit einer neuen festen Stelle liebäugelt. Angeblich ist beim Konzerthausorchester in Berlin bereits alles eingefädelt (inklusive der einjährigen Vertragsverlängerung von Christoph Eschenbach, der abtritt, wenn Mallwitz frei wird). Intendant Sebastian Nordmann ist bekannt für sein Faible für DG-KünstlerInnen, innerhalb des Orchesters scheint sein Mallwitz-Plan allerdings nicht uneingeschränkt Zustimmung zu finden.
SALZBURG UND BAYREUTH QUO VADIS?
Wenn wir die Summe unter all die Festspielsommer ziehen, bleibt in Salzburg heuer gerade mal eine schwarze Null. Meine Meinung zu Teodor Currentzis und dessen „Don Giovanni“ ist bekannt, immerhin ging der offensichtliche Plan von Intendant Markus Hinterhäuser auf, eine aufgekratzte Pseudo-Debatte zu lancieren.
Ein anderes, in Salzburg jahrelang funktionierendes Schickimicki-Prinzip ist nun aber zum Glück endgültig krachend gescheitert: Dass Hinterhäuser Anna Netrebko eine Carte Blanche für ihre „Tosca“ gab und damit seine eigene Arbeit aus der Hand gab, hat sich auch durch die mittelmäßige Première und die schlechte Laune der Diva als Eigentor entpuppt. Kein Wunder, dass Hinterhäuser-Kritiker Ioan Holender sofort reinhaut und in den Zeitungen „anspruchslos!“ ruft (übrigens jener Holender, der sich in seinem Servus-Talk mit dem Satz „Es war eine Ehre, Ihnen so nahe sein zu dürfen“ von Teodor Currentis verabschiedet). Netrebkos Laune stellt aber auch das bislang unangreifbare, vollkommen unjournalistische Prinzip von ORF, den Festspielen und UNITEL auf den Prüfstand. Hat Netrebko die „Tosca“ Aufzeichnung, die bei arte und im ORF laufen sollte, etwa auch deshalb nicht freigegeben, weil sie einen Vergleich mit einer älteren UNITEL-Version dieser Oper (in der Anja Harteros die Titelrolle in der gleichen Produktion singt) gescheut hat? Und warum ist es der Aufnahmefirma nicht gelungen, die Diva zu überzeugen? Wird die merkwürdige Aufzeichnungs-Allianz die neue ORF-Intendanz überstehen?
Wie auch immer. Die Lehre aus Salzburg ist: Wer auf fahrende Züge mit Namen wie Igor Levit, Daniel Barenboim (dessen Eklat sparen wir uns an dieser Stelle) oder Anna Netrebko aufspringt, kann selber nicht gleichzeitig in der Lokomotive sitzen. Vielleicht wäre es gut, wenn Salzburg sich wieder daran erinnert, dass es spannender ist, der Geburt einer Stimme beizuwohnen (Anna Netrebko 2002 oder Asmik Grigorian als „Salome“) als dem Abgesang einer Diva. Und die Bayreuther Festspiele? Sie können zufrieden in die Nachsommerpause gehen: Die letzten „Meistersinger“ von Barrie Kosky wurden gefeiert, der geniale Tobias-Kratzer-„Tannhäuser“ bejubelt, die „Holländer“-Première weitgehend gefeiert und die „Walküre“ immerhin goutiert. Dazu zwei phänomenale Konzerte mit Christian Thielemann und Andris Nelsons, dazu die Vorfreude auf den Valentin-Schwarz-„Ring“ und den wirklich spannenden AR-„Parsifal“ von Jay Scheib. Bayreuth zeigt jene Mischung aus Souveränität und Innovation, nach der Salzburg gerade zu suchen scheint. Dass ausgerechnet der gescheiterte Wotan Günther Groissböck nun Zoff gegen Katharina Wagner anzettelt, dürfte diese nur wenig jucken.
EINIGUNG DER MET MIT ORCHESTER
Die Corona-Krise hat die MET in New York aus der Bahn geworfen. Besonders das Verhältnis zwischen Intendant Peter Gelb und dem Orchester hat gelitten. Nachdem Gelb den Musikern zunächst gekündigt und damit auch zahlreiche Sponsoren verärgert hatte, wollte die MET-Leitung eine 30-prozentige Gehaltskürzung durchsetzen. Wie es aussieht, scheint man sich jetzt auf weitaus geringere Einsparungen zu einigen. Eine wirklich schlechte Figur macht bei all dem Musikdirektor Yannick Nézet-Séguin, der sich erst sehr spät und dann auch sehr verhalten für sein Orchester eingesetzt hat und es vorzog, seine Klavier-Karriere voranzubringen. Ach ja, was war da eigentlich los, als er ein Konzert in Luzern absagte, während er bei Instagram hübsche Urlaubsfotos postete? Verantwortung sieht anders aus.
BÜRGER ÜBER DÜSSELDORFER OPER
Düsseldorf hat einen Bürgerrat einberufen, um die Stimmung der Bevölkerung gegenüber einem Opernneubau abzutasten. Das Ergebnis: Der geplante Neubau für 636 Millionen Euro könnte Ende des Jahres beschlossen werden. Uneinig sind die Räte, ob das Haus als großes Leuchtturmprojekt oder eher klein ausfallen soll. „Wir wollen, dass die künftige Oper auch deutlich mehr zu bieten hat als nur Opernvorstellungen, damit sich viele Menschen angesprochen fühlen“, meinte Katharina Ringwelski, eine der Sprecherinnnen des Bürgerrats. Denkbar seien etwa Cafés, Restaurants oder auch weitere Räume für externe Künstler, sowie Angebote für Schulen und die Jugend allgemein.
MIT DEN WAFFEN EINES MANNES
Das da oben sind die Instagram-Bilder von Lorenzo Viotti, das weiter unten ist sein Antritts-Trailer für Amsterdam. Ich bin mir in dieser Sache nicht wirklich sicher, man könnte mir all das schließlich als Minderwertigkeitskomplex auslegen, da mein Sixpack allmählich eher in Richtung Bierfässchen geht. Aber es ist schon bemerkenswert, wie der neue Dirigent der dänischen Nationaloper sich so in Szene setzt. Also: Jungs, Ihr müsst nun ganz stark sein, und, liebe „Klassik-Faninnen“ (ist das so PC?), das ist ein Stück „reverse sexism“ für Euch!
UND WO BLEIBT DAS POSITIVE, HERR BRÜGGEMANN?
Ja, wo verdammt bleibt es denn? Für mich in einem sehr spannenden Gespräch, das ich mit der Dirigentin Marie Jacquot geführt habe. Die Französin, die das professionelle Gegeneinander auf dem Tennisplatz gegen das Miteinander in der Musik getauscht hat, spricht in unserem Podcast über musikalische Visionen, über Handwerk, Sport und Wahrhaftigkeit: Über allem schwebt die Frage, wofür wir diese Musik überhaupt machen, und ob es eine Kultur des Miteinanders gibt, in der sich alle Musikerinnen und Musiker wohlfühlen. Nachdem Sie meine Begegnung mit Marie Jacquot gehört haben, empfehle ich Ihnen dann auch noch ihren BR-Podcast mit der Radfahrerin Miriam Welte.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Fotos: Nikolaij Lunt (Staatstheater Nürnberg), Salzburger Festspiele, Instagram