KlassikWoche 39/2023

Singin’ in the Rain

von Axel Brüggemann

25. September 2023

Bahn-Klassik-Geschichten, die Frage, ob sich Hamburg von einem Milliardär ein neues Opernhaus schenken lassen lässt, der schmerzhafte Abschied von Wagner-Tenor Stephen Gould, der am 19. September seiner Krankheit erlag.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute fahren wir mal wieder klas­sisch mit der Eisen­bahn, Rich­tung Hamburg und Baden-Baden, schauen in Erl aus dem Fenster und winken nach. Also – los! 

… und noch eine Bahn-Klassik-Geschichte

Nachdem die Münchner Phil­har­mo­niker letzte Woche mit ihrem Bahn-Post für Aufsehen gesorgt hatten (wir haben berichtet), gibt es nun noch eine unglaub­liche Bahn-Geschichte. Die Choreo­grafin Floren­tina Holz­inger reiste mit der Harfe einer Freundin in einem über­füllten ICE. Sie hatte sogar ein Ticket für das Instru­ment gelöst. Dennoch bat der Schaffner darum, die Harfe in den Gang zu stellen. Als Holz­inger sich weigerte, rief der DB-Mann die Polizei. Schließ­lich einigte man sich: Kinder wurden auf den Schoß genommen, die Harfe blieb stehen. Der Zug fuhr weiter – mit 75 Minuten Verspä­tung. Das State­ment der Choreo­grafin: „Nein, ich glaube, der Eklat hat eher posi­tive Auswir­kungen. Eine Harfe hatte selten eine solche Präsenz in den deut­schen Medien und wurde noch nie so perso­ni­fi­ziert. Inso­fern könnte man sagen: Das Zeit­alter der Harfe ist ange­bro­chen.“

Medi­ensterben Teil Drei­tau­send­vier­und­achtzig

Die letzten zwei Wochen mussten wir bereits über Klassik-Medien reden, die vor dem Aus stehen: das Fono Forum, Opera News, takt1, über die Tren­nung des ORF vom Streamer myfi­delio – und nun auch noch die Nach­richt, dass das Heft Die Deut­sche Bühne zukünftig nicht mehr 12 Mal im Jahr, sondern nur noch sechs Mal erscheint. Ein Trend, der sich nicht aufhalten lässt. Ich werde nächste Woche noch ausführ­li­cher über mein neues Buch Die Zwei-Klassik-Gesell­schaft (das am 2. Oktober erscheint, aber hier bereits vorbe­stellbar ist) berichten. Diese Woche hat der Perlen­tau­cher Teile eines Kapi­tels vorab­ge­druckt, in dem es um die Rolle des Kultur­jour­na­lismus geht – viel­leicht ja eine Inspi­ra­tion zur aktu­ellen Debatte

Die Methode SWR

Ich werde (gerade nach dem Podcast Ostaus­schuss) immer wieder gefragt, warum der SWR meine Klassik-Kolumne auch weiterhin pausiert – und was das mit meiner Bericht­erstat­tung über zu tun hat. Der Sender selbst erklärt Jour­na­lis­tInnen, ich hätte die Gesamt­lei­terin des Orches­ters, Sabrina Haane, an dieser Stelle herab­ge­wür­digt. Doch auch auf Nach­frage beant­wortet der SWR offen­sicht­lich nicht, worin genau diese „Herab­wür­di­gung“ bestanden habe. Im Sinne der Trans­pa­renz habe ich beschlossen, auf dieser Extra-Seite noch einmal alle Stellen des News­let­ters zusam­men­zu­fassen, in denen es um die Gesamt­lei­terin des SWR Sympho­nie­or­ches­ters ging. Bilden Sie sich selber eine Meinung, ob meine Recher­chen und Einord­nungen „herab­wür­di­gend“ sind.

Eigent­lich geht es ledig­lich darum, wie schwer es ist, Antworten von Frau Haane in Sachen Teodor Curr­entzis und seiner Verbin­dung zum System Putin zu bekommen, dass es bei Frau Haane drei Monate dauert, bis sie die offen­sicht­liche Russ­land-Propa­ganda eines von ihr verpflich­teten Basses unter­sucht – um dann am Ende doch keine Ergeb­nisse vorzu­stellen. Warum lässt sie es weiterhin unkom­men­tiert, dass Musi­ke­rInnen ihres Chef­di­ri­genten west­liche Jour­na­listen als „Faschisten“ beschimpfen, warum antwortet sie nicht, wenn es um die Rolle der Tonmeister beim SWR geht? 

Wie sehr die Orches­ter­füh­rung inzwi­schen unter Druck steht, war auch beim letzten Live­stream des Orches­ters zu sehen, in dem Frau Haane eine deso­late Einfüh­rung hinlegte: Sie umtän­zelte den weißen Elefanten, den Krieg Russ­lands gegen die Ukraine, weiterhin – und das mitten in Deutsch­land, also ohne Not! Alle Betei­ligten des Abends seien für „Huma­nismus“, „Völker­ver­stän­di­gung“ und „gegen Krieg“, sagte Haane – klar, das sind so ziem­lich alle Menschen auf der Welt, das würde auch Alice Schwarzer unter­schreiben. Aber warum benennt sie – gerade bei Schost­a­ko­witsch – nicht klar den Angriffs­krieg Russ­lands? Wahr­schein­lich aus Rück­sicht auf ihren russi­schen Chef­di­ri­genten. Curr­entzis diktiert die Tona­lität beim SWR – nicht der SWR! Auf dem Programm stand Schost­a­ko­witschs Babi Jar-Sinfonie. Kein Wort von Haane zu den fünf Opfern, die hier an der Gedenk­stätte in Kiew 2022 durch russi­sches Bombar­de­ment ermordet wurden! Kein Wort zum ursprüng­lich von Haane gebuchten Bass Alex­ander Tikho­mirov, der eine Musi­kerin beim russi­schen Geheim­dienst anschwärzen wollte und Putin-Propa­ganda machte (und nach unseren Nach­fragen plötz­lich aus „persön­li­chen Gründen“ absagte). Kein Wort dazu, dass Curr­entzis mit diesem Werk nur wenige Tage vorher mit genau diesem Pro-Putin-Sänger in Russ­land die Bühne teilte! Aber klare Worte wären auch deshalb wichtig gewesen, weil die gleiche Sinfonie in Russ­land – diri­giert von Teodor Curr­entzis – als posi­tiver Sound­track im Krieg gegen die („faschis­ti­sche“!) Ukraine verstanden wird! Nach diesem Auftritt bleibe ich umso mehr dabei und empfinde es nicht als „herab­wür­di­gend“ zu konsta­tieren: Es ist ein Armuts­zeugnis, dass Sabrina Haane einen von Gebühren finan­zierten deut­schen Radio­sender vertritt und im Ange­sicht ihres Chef­di­ri­genten ebenso indif­fe­rent bleibt wie dieser. 

Was ist denn nun, Hamburg?

Was ist denn nun? Lässt sich Hamburg ein neues Opern­haus von Milli­ardär Klaus-Michael Kühne (86) schenken oder nicht? Eigent­lich schien das Projekt schon vom Tisch, nun erklärte der Pres­se­spre­cher der Kultur­be­hörde, Enno Iser­mann: „Eine Schen­kung durch Herrn Kühne bezie­hungs­weise seiner Stif­tung nach dem Vorbild der Kopen­ha­gener Oper könnte ein bemer­kens­wertes mäze­na­ti­sches Enga­ge­ment sein. Die Stadt würde in diesem Fall die Bereit­stel­lung und Erschlie­ßung eines geeig­neten Grund­stücks sowie die Verla­ge­rung des Opern­be­triebs an den neuen Standort prüfen.“ Es seien regel­mäßig Gespräche mit Kühne geführt worden. Ob es zu einer Verstän­di­gung mit Kühne komme, sei noch offen. Ich als Werder-Fan kann nur sagen: Schaut mal, wo der Hamburger SV nach dem Enga­ge­ment von Kühne steht! Und wäre es nicht besser, wenn der Milli­ardär sein Geld dafür ausgebe, die eigene Firmen­ge­schichte während der NS-Zeit aufzu­ar­beiten?

Russia Today

In Russ­land wächst derweil die Freund­schaft zwischen Vladimir Putin und , der inzwi­schen durch die russi­sche Provinz tingelt, statt am Welt-Jet-Set teil­zu­haben. Gergiev dankte Russ­lands Präsi­denten, den er in einem Atemzug mit Katha­rina der Großen und Zar Alex­ander II. nannte, für die „unglaub­li­chen Möglich­keiten“, die dieser ihm am Marni­inski-Theater schenke. Und dennoch muss auch er beob­achten, dass sich die inter­na­tio­nalen Geld­geber zurück­ge­zogen haben. Putin reagierte eben­falls mit Lobhu­delei und dem State­ment: „Es ist offen­sicht­lich, dass dieje­nigen, die sich auf den Weg gemacht haben, die russi­sche Kultur aus dem Welt­erbe auszu­lö­schen, in erster Linie sich selbst berauben. Vor dem Hinter­grund der Größe der russi­schen Kunst sind solche Aktionen unbe­deu­tend. Ich werde hier nicht auf Details eingehen – wir verstehen uns.“ Fakt ist wohl eher, dass Russ­land sich – und seine Künstler – selber von der inter­na­tio­nalen Klassik-Land­karte genommen hat. +++ Bei seinem Staats­be­such in Russ­land besuchte Nord­ko­reas Führer Kim Jong-un eine Auffüh­rung des Balletts Dorn­rös­chen, die er aber in der ersten Pause verließ. 

Perso­na­lien der Woche

Die Tiroler Fest­spiele haben einen neuen Geschäfts­führer benannt: Andreas Leisner. Er wurde 2018 bereits zum inte­ri­mis­ti­schen künst­le­ri­schen Leiter bestellt, als der dama­lige künst­le­ri­sche Leiter mit Vorwürfen der sexu­ellen Beläs­ti­gung konfron­tiert gewesen war. Leisner hatte Kuhn damals vertei­digt. Nun kehrt er zurück und rollt den Teppich aus für den desi­gnierten Inten­danten, , der nach der Sommer­saison 2024 sein Amt antreten wird. +++ Den Schloss­fest­spielen von Gloria von Thurn und Taxis gehen die Spon­soren verloren. 100 Regens­burger Kultur­schaf­fende hatten in einem offenen Brief den Boykott der Regens­burger Schloss­fest­spiele gefor­dert, deren Schirm­herrin Gloria ist. Der Grund: die radi­ka­li­sierten poli­ti­schen Äuße­rungen Glorias. Und nun ist auch BMW als Sponsor ausge­schieden. Moral spielt in der Kunst also doch noch eine Rolle! +++ Während damit kämpft, dass Menschen ihr vorwerfen, sich nicht genug von Vladimir Putin distan­ziert zu haben, sorgt ihr Mann derweil mit Insta-Posts für Aufmerk­sam­keit, in denen er seine Heimat Aser­bai­dschan beju­belt, die gerade für huma­ni­täre Kata­stro­phen in Berg­ka­ra­bach und Arme­nien sorgt. +++ Ach so, ja – und dann ist da noch dieser Trailer von Schla­ger­sänger Jonas Kauf­mann für seine neue Platte. Wir lassen das an dieser Stelle einfach mal unkom­men­tiert. 

Abschied von Stephen Gould

Stephen Gould ist tot – nur wenige Wochen, nachdem seine Krebs-Erkran­kung publik wurde. Die Trau­er­be­kun­dungen, beson­ders im Netz, sind über­wäl­ti­gend – wohl auch deshalb, weil da einer gehen musste, den alle – wirk­lich alle! –, die mit ihm gear­beitet haben, mochten. Stephen Gould war ein Beweis, dass große Kunst am besten mit Wohl­wollen geht, mit Unter­stüt­zung fürein­ander, mit Kolle­gia­lität und den Geist für das Gemein­same! Gould star­tete seine Karriere als Musical-Sänger, stand tausende Male als Phantom der Oper auf der Bühne, bevor er zum größten Wagner-Tenor unserer Zeit wurde: Tristan, Sieg­fried, Tann­häuser. Wagner war für ihn, den Iron-Man mit der Stimme aus Eisen und dem Herzen aus Watte, eine Art Mantra. Eine Medi­ta­tion. Regis­seur postete nach Goulds Tod das Bild, wie er als verlo­rener Tann­häuser-Clown auf der Bühne steht: ein Mensch unter Mons­tern. Andere zeigten Bilder von Stunden voll­kom­mener Glück­se­lig­keit: Gould hinter einem Gold­vor­hang, mit einem Hamburger, lachend bei Proben! Ich habe ihn beim ersten Bayreuth Open-Air hinter den Kulissen erlebt, wie er im Künstler-Zelt saß, mit jedem sprach, Ratschläge gab, sich am Auftritt der anderen freute – so entspannt, so Mensch: so – glück­lich. Stephen Gould ist mit 61 Jahren gestorben. Das ist für uns nur sehr schwer zu begreifen. 

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann? 

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht ja hier! Unsere neue Folge von Alles klar, Klassik?, in der ich mal wieder mit Doro­thea Gregor über die Klassik-Woche plau­dere, hat für aller­hand Diskus­sionen unter Musi­ke­rInnen gesorgt. Beson­ders, weil es um die neuen Konzert­kleider des Baye­ri­schen Staats­or­ches­ters ging, die die Desi­gner Talbot Runhof gestaltet haben. Müssen unsere Orchester immer im schwarzen Einheits­look auftreten? Das und alle anderen Themen der Klassik-Woche thema­ti­sieren wir hier.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de