KlassikWoche 43/2022
Das Ringelspiel der Dirigenten
von Axel Brüggemann
24. Oktober 2022
Die Frage, welcher Dirigent an welchem Orchester eine Chefposition erhält, wie es den Orchestern wirtschaftlich geht, was Kurt Rydl über die Wiener Staatsoper schwadroniert.
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
heute mit einer kleinen Dirigenten-Wette, dem Hilferuf der Mannheimer Philharmoniker, einem Karajan-Flashback und ganz ohne Medienpauschale!
Dirigenten-Karussell: München – Berlin – Wien
Tja, Dresden wäre mit ihm sicherlich besser gefahren als mit Daniele Gatti – doch nun hat der Dirigent Jakub Hrůša sich für die Chefstelle am Royal Opera House in Covent Garden entschieden, wo er Antonio Pappano beerben wird. Das Dirigenten-Karussell dreht weiter: Aber in welche Richtung? Ich habe auf meinem Insta-Profil mal eine Umfrage gestartet, an der sich einige hundert Klassik-Fans beteiligt haben. Das Ergebnis ist ziemlich indifferent: Daniel Harding steht ganz vorne, wenn es um die Nachfolge von Valery Gergiev bei den Münchner Philharmonikern geht (33 Prozent sehen ihn in Bayern), gefolgt von Lorenzo Viotti (25 Prozent) und Joana Mallwitz (24 Prozent). Etwas abgeschlagen auf Platz vier, vielleicht weil einige noch ernsthaft daran glauben, dass er seinen Vertrag in Wien erfüllen wird: Philippe Jordan (17 Prozent). In einer kleineren Vergleichsumfrage auf meinem Twitter-Account fällt das Ergebnis mit über 40 Prozent noch klarer für Harding aus.
Und wie steht es um den Wunsch von Daniel Barenboim seinen eigenen Nachfolger an der Staatsoper in Berlin zu installieren? Auf Instagram glauben 76 Prozent, dass Christian Thielemann gute Chancen hat, Pappano, Harding und Mallwitz landen hier um oder unter zehn Prozent. Twitter ist in dieser Frage allerdings gespalten: Hier glaubt nur die Hälfte, dass der Drops für Thielemann schon gelutscht ist. Und auch die Berliner Zeitung meldete in dieser Woche Zweifel daran an, ob ausgerechnet der linke Kultursenator Klaus Lederer ernsthaft Interesse an Thielemann hätte, fragte, wie die Zusammenarbeit mit der designierten Intendantin, Elisabeth Sobotka, wohl aussehen würde und zweifelte eher an einer Rückkehr Thielemanns nach Berlin. Ein Twitter-Kommentator brachte dann noch eine Variante ins Spiel: Thielemann nach Wien, Jordan nach Berlin. Und dann ist da noch die Seite von Chicago Classical Review, die von einem Musiker in Chicago gehört haben will, dass man sich Thielemann möglichst schnell als Nachfolger von Riccardo Muti schnappen solle („grab him now!). Ach, Klassik-Spekulationen machen einfach Spaß!
Berliner Philharmoniker raten von Currentzis ab
Es hat für Erstaunen gesorgt, dass die Hornistin der Berliner Philharmoniker, Sarah Willis, in Teodor Currentzis« Orchester Utopia aufgetreten ist. Auf Anfrage hieß es, dass es sich bei ihrer Mitwirkung bei einem Konzert in Berlin um ein kurzfristiges und einmaliges Einspringen gehandelt habe. „Auf Grund der unübersichtlichen Gemengelage“ würden die Berliner Philharmoniker ihren Musikerinnen und Musikern derzeit auch eher von Auftritten mit Utopia abraten, erklärte die Pressestelle.
Mannheimer Philharmoniker in Not
Dass es manchen Orchestern nicht richtig gut geht, ist oft noch ein Tabu. Kein Wunder, wenn selbst DOV, äh, unisono-Chef Gerald Mertens gern postet, wie wunderbar die Klassik-Welt für die Orchester ist. Dabei sollte der Namenswechsel seiner Organisation verdeutlichen, dass man auch für freischaffende Orchester offenstehe. Doch die leiden aktuell am heftigsten unter Energiekosten und Inflation. Von Claudia Roths Milliarden-Kultur-Wumms kommt bei ihnen noch nichts an.
Weil die Hotel- und Reisekosten für Musikerinnen und Musiker aus ganz Europa zu hoch geworden seien und das Publikum im Angesicht der wirtschaftlichen Unsicherheit zurückhaltender, haben die Mannheimer Philharmoniker nun zwei Konzerte abgesagt: „Das Geld der Kulturhilfen kommt in Baden-Württemberg nicht an“, beklagt Dirigent Boian Videnoff (siehe Video oben) und befürchtet, dass es – so wie bereits in der Corona-Krise – eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zwischen staatlich geförderten Orchestern und freien Ensembles gibt. „Es ist existenziell wichtig, dass die Hilfen in dieser schwierigen Zeit möglichst schnell freigegeben werden“, sagt er.
Wie viel Geld gibt es für Konzerte in den Medien?
In Österreich wird derzeit ein Kampf ausgefochten, der auch in Deutschland und anderen Ländern bevorstehen könnte. Der ORF will die Abgeltung der Senderechte für MusikerInnen um 30 Prozent reduzieren. Man sei den Gebührenzahlern gegenüber verpflichtet und müsse sicherstellen, dass die Abgeltungen der Rechte „fair und objektiv angemessen, jedoch nicht überhöht sind“, erklärt der ORF. Die Abgeltungen machen ungefähr ein Fünftel aller Gelder aus, die von der österreichischen Verwertungsgesellschaft AKM verteilt werden. „Die Pläne des ORF können wir unter gar keinen Umständen akzeptieren“, sagt AKM-Präsident Peter Vieweger. Der bisherige Vertrag mit dem Sender sei Ende 2021 ausgelaufen, eine Einigung konnte seitdem nicht erzielt werden. Tatsächlich wird in Österreich derzeit wohl über eine Grundsatzfrage gestritten, die auch andere Länder erreichen wird: Das Medien-Verhalten ändert sich, mediale Verwertungen von Konzerten gehören heute zur Regel – die Frage ist, wie man das finanziell abbilden kann.
Auf unseren Bühnen
Entdeckung beim Staatsorchester Wiesbaden. Bariton Johannes Martin Kränzle komponierte eine 40-minütige Variationsfolge, Yoel Gamzou dirigierte und FAZ-Mann Axel Zibulski war begeistert: „‚Mutationes. Memento Coronae‘ nimmt bis zu den griechischen Bezeichnungen der Abschnitte, etwa ‚Variatio Delta‘, Bezug auf die Pandemie. Was auf den ersten Blick ein heikles Bemühen um eine zweifelhaft originelle Wirkung vermuten lassen könnte, entpuppte sich beim Hören im Friedrich-von-Thiersch-Saal des Wiesbadener Kurhauses als formstrenge Reflexion, in der Kränzles zugrunde liegendes musikalisches Thema Veränderungen in Richtung Meditation, Auflösung, aber auch Anmut und Hoffnung erfuhr.“ +++ Die USA entdecken mit Allan Clayton gerade einen neuen Tenor-Superstar. Die New York Times bejubelt seinen MET-Auftritt in Peter Grimes.
Personalien der Woche
Auf Grund gesundheitlicher Probleme hat Zubin Mehta das Weihnachtskonzert an der Mailänder Scala abgesagt, ebenso wie die Salome-Aufführungen im Januar. Er wird von Pablo Heras-Casado, Axel Kober und Michael Güttler ersetzt. +++ Der Intendant der Wiener Festwochen, Christophe Slagmuylder, übernimmt ab Mitte des nächsten Jahres die Direktion des interdisziplinären Palais des Beaux-Arts (Bozar) in Brüssel. Der 55-Jährige kehrt damit in seine Heimatstadt zurück, wo er viele Jahre das Festival KunstenFESTIVALdesArts kuratierte.
Letzte Woche haben wir an dieser Stelle über die Sparpläne in Heidenheim gesprochen, wo die Opernfestspiele Heidenheim von Dirigent Marcus Bosch auf dem Prüfstand standen. Nun ist ein Kompromiss-Beschluss gefallen: Der städtische Zuschuss wird bis 2025 auf dem Niveau von 2022, also auf 1,1 Millionen, eingefroren, aber jährlich um einen Inflationsausgleich von maximal 50.000 Euro plus 7.000 Euro gesteigert, die für Kostensteigerungen infolge von Tarifabschlüssen eingeplant sind. +++ Es ist nicht klar, was erstaunlicher ist: Dass Justus Frantz mal wieder in Moskau aufgetreten ist, oder wie vollkommen naiv Michael Thumann für die Zeit darüber berichtet.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? Ich entdecke ja gerade mal wieder YouTube, befülle meinen eigenen Kanal mit aktuellen Berichten und stöbere besonders gern in alten Aufnahmen. Beim Laufen bin ich neulich bei einem ausführlichen Interview mit Herbert von Karajan hängengeblieben und war erstaunt, wie wenig sich eigentlich in unserer Welt verändert hat: Die Nazi-Zeit hieß bei Karajan nur „die Sache“, warum genau Erich Kleiber Berlin 1932 verlassen musste, hatte Karajan kurzfristig vergessen. „Musste er? Das weiß ich gar nicht mehr so genau.“ Und, klar: Modernes Regietheater wie von Wieland Wagner beleidigte seine musikalische Ästhetik – weshalb er nicht mehr nach Bayreuth zurückkehrte und lieber selber inszenierte. Sowohl der Grat der politischen Verdrängung als auch die Ignoranz gegenüber Neuem ist leider so aktuell wie zeitlos. Wesentlich amüsanter ist das Schwadronieren von Altmeister Kurt Rydl über den Zustand der Wiener Staatsoper (sie brauche eine „menschliche Führung“, erklärte er Elisabeth Kulman). So herrlich gestrig auch seine etwas naïve Kritik am Regietheater und das etwas schräge Bild der „Vergewaltigung“ ist, Fans der Oper von gestern teilen dieses drollige Video derzeit gerade gern – wir verweisen dezent auf den Link, damit Sie heute auch ein bisschen was zum Schmunzeln haben.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Axel Brüggemann
brueggemann@crescendo.de
P.S. Aufruf: Wie geht es den Studentinnen und Studenten?
Im nächsten Podcast „Alles klar, Klassik?“ geht es um das Thema Studium: Dafür wäre es super, wenn derzeitige Studentinnen und Studenten Lust haben, mir kurze (!) Sprachnachrichten zu schicken: Was sind die Probleme des Musikstudiums, was die beglückenden Momente? Gern als MP3 an brueggemann@crescendo.de