KlassikWoche 43/2022

Das Ringel­spiel der Diri­genten

von Axel Brüggemann

24. Oktober 2022

Die Frage, welcher Dirigent an welchem Orchester eine Chefposition erhält, wie es den Orchestern wirtschaftlich geht, was Kurt Rydl über die Wiener Staatsoper schwadroniert.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit einer kleinen Diri­genten-Wette, dem Hilferuf der Mann­heimer Phil­har­mo­niker, einem Karajan-Flash­back und ganz ohne Medi­en­pau­schale!  

Diri­genten-Karus­sell: München – Berlin – Wien

Tja, Dresden wäre mit ihm sicher­lich besser gefahren als mit – doch nun hat der Diri­gent sich für die Chef­stelle am Royal Opera House in Covent Garden entschieden, wo er beerben wird. Das Diri­genten-Karus­sell dreht weiter: Aber in welche Rich­tung? Ich habe auf meinem Insta-Profil mal eine Umfrage gestartet, an der sich einige hundert Klassik-Fans betei­ligt haben. Das Ergebnis ist ziem­lich indif­fe­rent: steht ganz vorne, wenn es um die Nach­folge von bei den Münchner Phil­har­mo­ni­kern geht (33 Prozent sehen ihn in Bayern), gefolgt von Lorenzo Viotti (25 Prozent) und (24 Prozent). Etwas abge­schlagen auf Platz vier, viel­leicht weil einige noch ernst­haft daran glauben, dass er seinen Vertrag in Wien erfüllen wird: (17 Prozent). In einer klei­neren Vergleichs­um­frage auf meinem Twitter-Account fällt das Ergebnis mit über 40 Prozent noch klarer für Harding aus.

Und wie steht es um den Wunsch von seinen eigenen Nach­folger an der Staats­oper in Berlin zu instal­lieren? Auf Insta­gram glauben 76 Prozent, dass gute Chancen hat, Pappano, Harding und Mall­witz landen hier um oder unter zehn Prozent. Twitter ist in dieser Frage aller­dings gespalten: Hier glaubt nur die Hälfte, dass der Drops für Thie­le­mann schon gelutscht ist. Und auch die Berliner Zeitung meldete in dieser Woche Zweifel daran an, ob ausge­rechnet der linke Kultur­se­nator ernst­haft Inter­esse an Thie­le­mann hätte, fragte, wie die Zusam­men­ar­beit mit der desi­gnierten Inten­dantin, Elisa­beth Sobotka, wohl aussehen würde und zwei­felte eher an einer Rück­kehr Thie­le­manns nach Berlin. Ein Twitter-Kommen­tator brachte dann noch eine Vari­ante ins Spiel: Thie­le­mann nach Wien, Jordan nach Berlin. Und dann ist da noch die Seite von Chicago Clas­sical Review, die von einem Musiker in Chicago gehört haben will, dass man sich Thie­le­mann möglichst schnell als Nach­folger von schnappen solle („grab him now!). Ach, Klassik-Speku­la­tionen machen einfach Spaß! 

Berliner Phil­har­mo­niker raten von Curr­entzis ab

Es hat für Erstaunen gesorgt, dass die Hornistin der Berliner Phil­har­mo­niker, Sarah Willis, in Teodor Curr­entzis« Orchester Utopia aufge­treten ist. Auf Anfrage hieß es, dass es sich bei ihrer Mitwir­kung bei einem Konzert in Berlin um ein kurz­fris­tiges und einma­liges Einspringen gehan­delt habe. „Auf Grund der unüber­sicht­li­chen Gemenge­lage“ würden die Berliner Phil­har­mo­niker ihren Musi­ke­rinnen und Musi­kern derzeit auch eher von Auftritten mit Utopia abraten, erklärte die Pres­se­stelle.

Mann­heimer Phil­har­mo­niker in Not

Dass es manchen Orches­tern nicht richtig gut geht, ist oft noch ein Tabu. Kein Wunder, wenn selbst DOV, äh, unisono-Chef Gerald Mertens gern postet, wie wunderbar die Klassik-Welt für die Orchester ist. Dabei sollte der Namens­wechsel seiner Orga­ni­sa­tion verdeut­li­chen, dass man auch für frei­schaf­fende Orchester offen­stehe. Doch die leiden aktuell am heftigsten unter Ener­gie­kosten und Infla­tion. Von Claudia Roths Milli­arden-Kultur-Wumms kommt bei ihnen noch nichts an.

Weil die Hotel- und Reise­kosten für Musi­ke­rinnen und Musiker aus ganz Europa zu hoch geworden seien und das Publikum im Ange­sicht der wirt­schaft­li­chen Unsi­cher­heit zurück­hal­tender, haben die Mann­heimer Phil­har­mo­niker nun zwei Konzerte abge­sagt: „Das Geld der Kultur­hilfen kommt in Baden-Würt­tem­berg nicht an“, beklagt Diri­gent (siehe Video oben) und befürchtet, dass es – so wie bereits in der Corona-Krise – eine Zwei-Klassen-Gesell­schaft zwischen staat­lich geför­derten Orches­tern und freien Ensem­bles gibt. „Es ist exis­ten­ziell wichtig, dass die Hilfen in dieser schwie­rigen Zeit möglichst schnell frei­ge­geben werden“, sagt er.

Wie viel Geld gibt es für Konzerte in den Medien?

In Öster­reich wird derzeit ein Kampf ausge­fochten, der auch in Deutsch­land und anderen Ländern bevor­stehen könnte. Der ORF will die Abgel­tung der Sende­rechte für Musi­ke­rInnen um 30 Prozent redu­zieren. Man sei den Gebüh­ren­zah­lern gegen­über verpflichtet und müsse sicher­stellen, dass die Abgel­tungen der Rechte „fair und objektiv ange­messen, jedoch nicht über­höht sind“, erklärt der ORF. Die Abgel­tungen machen unge­fähr ein Fünftel aller Gelder aus, die von der öster­rei­chi­schen Verwer­tungs­ge­sell­schaft AKM verteilt werden. „Die Pläne des ORF können wir unter gar keinen Umständen akzep­tieren“, sagt AKM-Präsi­dent Peter View­eger. Der bishe­rige Vertrag mit dem Sender sei Ende 2021 ausge­laufen, eine Eini­gung konnte seitdem nicht erzielt werden. Tatsäch­lich wird in Öster­reich derzeit wohl über eine Grund­satz­frage gestritten, die auch andere Länder errei­chen wird: Das Medien-Verhalten ändert sich, mediale Verwer­tungen von Konzerten gehören heute zur Regel – die Frage ist, wie man das finan­ziell abbilden kann. 

Auf unseren Bühnen

Johannes Martin Kränzle

Entde­ckung beim Staats­or­chester Wies­baden. Bariton kompo­nierte eine 40-minü­tige Varia­ti­ons­folge, diri­gierte und FAZ-Mann Axel Zibulski war begeis­tert: „‚Muta­tiones. Memento Coronae‘ nimmt bis zu den grie­chi­schen Bezeich­nungen der Abschnitte, etwa ‚Variatio Delta‘, Bezug auf die Pandemie. Was auf den ersten Blick ein heikles Bemühen um eine zwei­fel­haft origi­nelle Wirkung vermuten lassen könnte, entpuppte sich beim Hören im Fried­rich-von-Thiersch-Saal des Wies­ba­dener Kurhauses als form­strenge Refle­xion, in der Kränzles zugrunde liegendes musi­ka­li­sches Thema Verän­de­rungen in Rich­tung Medi­ta­tion, Auflö­sung, aber auch Anmut und Hoff­nung erfuhr.“ +++ Die USA entde­cken mit Allan Clayton gerade einen neuen Tenor-Super­star. Die New York Times beju­belt seinen MET-Auftritt in Peter Grimes.

Perso­na­lien der Woche

Auf Grund gesund­heit­li­cher Probleme hat das Weih­nachts­kon­zert an der Mailänder Scala abge­sagt, ebenso wie die Salome-Auffüh­rungen im Januar. Er wird von Pablo Heras-Casado, und ersetzt. +++ Der Inten­dant der Wiener Fest­wo­chen, Chris­tophe Slag­muylder, über­nimmt ab Mitte des nächsten Jahres die Direk­tion des inter­dis­zi­pli­nären Palais des Beaux-Arts (Bozar) in Brüssel. Der 55-Jährige kehrt damit in seine Heimat­stadt zurück, wo er viele Jahre das Festival Kunst­en­FES­TI­VAL­des­Arts kura­tierte.

Letzte Woche haben wir an dieser Stelle über die Spar­pläne in Heiden­heim gespro­chen, wo die Opern­fest­spiele Heiden­heim von Diri­gent auf dem Prüf­stand standen. Nun ist ein Kompro­miss-Beschluss gefallen: Der städ­ti­sche Zuschuss wird bis 2025 auf dem Niveau von 2022, also auf 1,1 Millionen, einge­froren, aber jähr­lich um einen Infla­ti­ons­aus­gleich von maximal 50.000 Euro plus 7.000 Euro gestei­gert, die für Kosten­stei­ge­rungen infolge von Tarif­ab­schlüssen einge­plant sind. +++ Es ist nicht klar, was erstaun­li­cher ist: Dass Justus Frantz mal wieder in Moskau aufge­treten ist, oder wie voll­kommen naiv Michael Thumann für die Zeit darüber berichtet.

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? Ich entdecke ja gerade mal wieder YouTube, befülle meinen eigenen Kanal mit aktu­ellen Berichten und stöbere beson­ders gern in alten Aufnahmen. Beim Laufen bin ich neulich bei einem ausführ­li­chen Inter­view mit hängen­ge­blieben und war erstaunt, wie wenig sich eigent­lich in unserer Welt verän­dert hat: Die Nazi-Zeit hieß bei Karajan nur „die Sache“, warum genau Erich Kleiber Berlin 1932 verlassen musste, hatte Karajan kurz­fristig vergessen. „Musste er? Das weiß ich gar nicht mehr so genau.“ Und, klar: Modernes Regie­theater wie von Wieland Wagner belei­digte seine musi­ka­li­sche Ästhetik – weshalb er nicht mehr nach Bayreuth zurück­kehrte und lieber selber insze­nierte. Sowohl der Grat der poli­ti­schen Verdrän­gung als auch die Igno­ranz gegen­über Neuem ist leider so aktuell wie zeitlos. Wesent­lich amüsanter ist das Schwa­dro­nieren von Altmeister Kurt Rydl über den Zustand der Wiener Staats­oper (sie brauche eine „mensch­liche Führung“, erklärte er Elisa­beth Kulman). So herr­lich gestrig auch seine etwas naïve Kritik am Regie­theater und das etwas schräge Bild der „Verge­wal­ti­gung“ ist, Fans der Oper von gestern teilen dieses drol­lige Video derzeit gerade gern – wir verweisen dezent auf den Link, damit Sie heute auch ein biss­chen was zum Schmun­zeln haben.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de 

P.S. Aufruf: Wie geht es den Studen­tinnen und Studenten?

Im nächsten Podcast „Alles klar, Klassik?“ geht es um das Thema Studium: Dafür wäre es super, wenn derzei­tige Studen­tinnen und Studenten Lust haben, mir kurze (!) Sprach­nach­richten zu schi­cken: Was sind die Probleme des Musik­stu­diums, was die beglü­ckenden Momente? Gern als MP3 an brueggemann@​crescendo.​de 

Fotos: Peter Meisel, Monika Rittershaus