KlassikWoche 47/2022

Von Neujahrs-Mädchen und Inten­danten-Irrungen

von Axel Brüggemann

21. November 2022

Fragen zu den Kulturförderungen des Bundes, die Verlegung von Toshio Hosokawa Oper »Matsukaze« auf 2024, die neue weibliche Doppelspitze am Staatstheater Wiesbaden.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit aller­hand Inten­dan­tInnen-Geschichten aus München, aus Wies­baden und aus Hamburg. Wir befragen die Klassik-Ausgaben des Bundes und reisen mit nach Dubai. 

Dres­dens Domingo-Dada in Dubai 

Letzte Woche hatten wir es noch von ihm (wegen eines Strauss-Tschai­kowski-Centers in St. Peters­burg), nun hat er erneut für einen Klassik-Tief­punkt gesorgt: Nachdem Sotschi-Inten­dant und Ex-Semper­oper-Direktor mit seinem Opern­ball an der Semper­oper nicht mehr ankommt, hat er das Spek­takel letzte Woche kurzer­hand nach Dubai verlegt! Mode­riert hat die eins­tige Miss Russia, Oxana Fedo­rova. Sie ist die Frau eines KGB-Agenten und Mitar­bei­ters in Putins Präsi­dial-Minis­te­rium.

In Dresden wundert man sich derweil, dass Frey mit Dres­dens Ober­bür­ger­meister Dirk Hilbert geworben hat, offenbar ohne dessen Zustim­mung. Dieses Mal hat Frey keinen demo­kra­tie­feind­li­chen Diktator (wie 2009 Wladimir Putin) mit dem Ball-Preis ausge­zeichnet, sondern den lupen­reinen Woma­nizer Plácido Domingo. Der ließ sich von Frey persön­lich in dada­is­ti­schem „Deutsch-Englisch“ loben (unbe­dingt sehens­wert ab Minute acht) und einen Preis aus Meissner Porzellan über­rei­chen. Hoffent­lich hält dieses zerbrech­liche Mate­rial einen derart robusten Umgang mit Kunst und Kultur aus! 

Wo bleiben Roths Klassik-Millionen?

Der Kultur­haus­halt der Bundes­re­gie­rung sieht nicht nur 200 Kultur-Euro für 18-Jährige vor, sondern auch Gieß­kannen-Hilfe für verschie­dene Klassik-Einrich­tungen. Bei vielen Zuwen­dungen von Kultur­staats­se­kre­tärin ist nicht wirk­lich klar, warum das Geld gerade hierhin fließt: Ausge­rechnet die Baltic Sea Phil­har­monic, einst unter Betei­li­gung der Nord Stream AG gegründet, bekommt 300.000 Euro durch den beson­deren Einsatz des SPD-Abge­ord­neten Frank Junge, der stets ein eiserner Nord-Stream-Befür­worter war, und der noch nach dem Anschlag auf Alexei Nawalny Nord Stream als posi­tive Brücke zu Russ­land defi­nierte. Zwei Millionen Bundes-Euro fließen nach Dresden, zu den Musik­fest­spielen, für die Erar­bei­tung eines neuen Ringes – und das, obwohl die Bundes­kultur Wagner schon in Bayreuth fördert. Auch die Bundes­för­de­rung für Bayreuth Baroque wird verdop­pelt. Jeder Insti­tu­tion sei das Geld gegönnt, aber Roth, die offenbar keine Lang­zeit-Stra­tegie hat, verliert sich in einer will­kür­li­chen Projekt-Gieß­kanne, statt ein struk­tu­relles Förder­kon­zept zu schnüren, das Kultur­schaf­fenden in dieser Krisen­zeit wirk­lich hilft. Das VAN-Magazin hat die Klassik-Förde­rungen dankens­wer­ter­weise einmal aufge­listet

Inten­danten ziehen die Reiß­leine

Wie ernst die Situa­tion an unseren Thea­tern ist, zeigen gerade die Bühnen Halle, die ihr Programm wegen stei­gender Ener­gie­preise redu­zieren mussten: Unter anderem sind Urauf­füh­rungen und Neuin­sze­nie­rungen betroffen. Voraus­ge­gangen war bereits eine Erklä­rung von , dem Inten­danten der Staats­oper in München, dass man sich „in einer Zeit des Umbruchs“ befände und mit „daraus resul­tie­renden Folgen umzu­gehen“ habe. „Nach Abwä­gung aller Schwie­rig­keiten und Möglich­keiten“ habe sich der Inten­dant der Baye­ri­schen Staats­oper entschlossen, die Neuin­sze­nie­rung von Toshio Hoso­kawas Oper Matsukaze vom Mai 2023 auf 2024 zu verschieben. Kritiker wie Robert Braun­müller von der Abend­zei­tung über­legten, ob es nicht auch andere Krisen-Anzei­chen in München gäbe, die auf Dornys Führungs­stil zurück­zu­führen seien. Braun­müller schrieb: „Dorny hat offenbar den Chor­di­rektor nicht verlän­gert, was für Unruhe und Kündi­gungen gesorgt hat. Insider berichten nicht nur von einer hohen Perso­nal­fluk­tua­tion, sondern auch von Konflikten zwischen dem Verwal­tungs­di­rektor und dem wenig betriebs­wirt­schaft­lich denkenden Inten­danten. Beklagt werden auch Dornys einsame Entschei­dungen und seine unbe­frie­di­gende Kommu­ni­ka­tion.

Tatsäch­lich ist auch für Außen­ste­hende unüber­sehbar, dass der neue Inten­dant im Unter­schied zu seinem Vorgänger nicht als Team­player agiert und die Drama­turgie des Hauses nach außen eine viel gerin­gere Rolle spielt“. Die Reak­tion der Staats­oper war ein interner Brief, in dem es hieß: „In der heutigen Tages­presse gibt es Berichte über unser Haus. Ich bitte Sie, keine Infor­ma­tionen nach außen zu geben, sollten Sie von Medienvertreter:innen kontak­tiert werden. Bitte verweisen Sie in diesem Fall auf das Pres­se­büro und geben keine persön­liche Meinung zur Bericht­erstat­tung ab.“ Wer wissen will, wo sich Dorny während des Medien-Sturms aufhielt: Eine MET-Gala in New York hatte geladen (siehe oben). Erst vor drei Wochen war Dorny bei mir im Podcast zu Gast und hat über die neue Klassik-Welt gespro­chen. (in einer alten Version war vom MET-BAll die Rede, genau handelte es sich um eine Spon­soren-Gala zur Nach­wuchs­för­de­rung)

Zwei Inten­dan­tinnen für Wies­baden

Das war es nun wohl endlich für Kai-Uwe (jaha, ich weiß!!!) Laufen­berg. Das Hessi­sche Staats­theater Wies­baden hat eine weib­liche Doppel­spitze nomi­niert. Doro­thea Hart­mann und Beate Heine sind national und inter­na­tional bestens vernetzt, wie die FAZ schreibt. Heine war lange im Schau­spiel tätig, Hart­mann als Drama­turgin und Libret­tistin, auch in der zeit­ge­nös­si­schen Musik. Was einige Beob­achter wundert, ist, dass Geschäfts­führer Holger von Berg, der in den letzten Monaten eben­falls für aller­hand Randale gesorgt hatte, bleiben soll. Aber viel­leicht meldet sich Kai-Uwe ja noch mal und erklärt uns, wie viele Künst­le­rInnen und Künstler in Wies­baden derzeit ohne unter­schrie­bene Verträge auf der Bühne in stehen. (In einer früheren Version hieß es, dass es sich um die erste weib­liche Doppel­spitze an einem Staats­theater handelt – aber auch die Häuser in Hannover oder Braun­schweig werden bereits von zwei Frauen geleitet.)

Inten­dant reagiert auf Deutschland-„Witz“

Letzte Woche hatte Baden-Baden-Inten­dant Bene­dikt Stampa das Enga­ge­ment von und seinem Orchester musi­cAe­terna an dieser Stelle noch mit dem Satz vertei­digt: „Das Orchester befindet sich ja nicht in einem Angriffs­krieg.“ Das mag stimmen, doch tatsäch­lich kam es beim Baden-Baden-Gast­spiel von musi­cAe­terna in dieser Woche zu poli­ti­schen Ausfällen einzelner Mitwir­kender. Musi­cAe­terna-Geiger Dmitry Borodin postete nach Ankunft in Baden-Baden ein Video, auf dem er (auf Russisch) schrieb: „Ich zerstöre Deutsch­lands Wirt­schaft“, um dann einen Heiz­körper aufzu­drehen. Ich persön­lich habe keine Antwort aus Baden-Baden bekommen, wie man sich dazu posi­tio­niert, offenbar wurde Borodin aber ange­spro­chen, hat das Video gelöscht und eine Entschul­di­gung (dieses Mal auf Englisch) gepostet. Beim Konzert des Verdi-Requiems saß er nicht im Orchester, die Badi­sche Zeitung berich­tete, er wurde vom Dienst suspen­diert.

Auch auf dem Insta­gram-Kanal der musi­cAe­terna-Sängerin Elena Tokareva gibt es Posts, in denen sie die Ukraine und ihren Präsi­denten lächer­lich macht. Geschmack­lo­sig­keiten, die nur wenig verwun­dern, wenn man ein Ensemble einlädt, das von der VTB Bank subven­tio­niert wird, das vor Kurzem noch auf Gazprom-Tour gegangen ist und in dessen Vorstand drei von Putins besten Polit-Freunden sitzen. Die Konzerte in Baden-Baden waren nicht voll, und auch aus Dort­mund (wohin die Tour weiter­zieht) heißt es, die Auffüh­rungen seien nicht rentabel – das Publikum scheint derzeit mehr Haltung zu haben als die jewei­ligen Inten­danten. 

Perso­na­lien der Woche

Wer verstehen will, warum die Struk­turen des Kultur­fern­se­hens so schwer­fällig sind, dem rate ich zu einer Debatte, die ZDF-Kultur­chefin Anne Reidt mit den unbe­darften Frage­stel­lern „Schiller“ und „Goethe“ auf Twitter geführt hat. Nicht nur, dass sie konse­quent am linearen Fern­sehen fest­hält, inter­es­sant auch, wie sie (die Absurd-Shows wie den Opus Klassik verant­wortet) ein Inter­view mit als Beweis der Veror­tung von Wagners Ring in der Gesell­schaft anführt. Man lernt in diesem Gespräch viel darüber, warum das ZDF zuweilen ebenso weit weg von jungen Fernseh-Gewohn­heiten scheint wie von den wahren Aben­teu­er­spiel­plätzen der Klassik. +++ Riccardo Chailly, Musik­di­rektor der Mailänder Scala, antwor­tete auf die Bitte des ukrai­ni­schen Konsuls in Mailand, die Oper Boris Gudonow abzu­setzen: „Wir stehen alle auf der Seite der Ukraine, warten, dass der Konflikt endet. Aber Politik und seine Konse­quenzen dürfen die Kultur nicht in eine Zwangs­lage treiben“. +++ Erst­mals in der Geschichte werden beim Neujahrs­kon­zert der Wiener Phil­har­mo­niker im Musik­verein neben den Wiener Sänger­knaben auch die Wiener Chor­mäd­chen mit von der Partie sein – die 2004 ins Leben geru­fene, weib­liche Frak­tion des Tradi­ti­ons­chores. +++ Für aller­hand Verwun­de­rung sorgte der Artikel des Geschäfts­füh­rers des Deut­schen Kultur­rates Olaf Zimmer­mann: In einem Text für Politik & Kultur feierte er das Analoge gegen­über dem Digi­talen in der Kunst. Inter­es­sant, wie blank die Nerven in der anschlie­ßenden Twitter-Debatte lagen. Zimmer­mann antwor­tete Augs­burgs Digital-Theater-Pionierin Tina Lorenz: „Danke für Ihre große Nach­sicht, und natür­lich fehlt mir das Wissen, wie sollte es bei einem älteren Mensch auch anders sein. Gut, dass Sie genau wissen, was zu tun ist. Damit ersparen wir uns den lästigen demo­kra­ti­schen Diskurs.“

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht eben­falls beim Inten­danten-Leit­motiv dieses News­let­ters. Letzte Woche habe ich mir Rossinis Opern-Rarität La gazza ladra im Ausweich­quar­tier des Thea­ters an der Wien ange­schaut. Der Abend hat sich ein biss­chen ange­fühlt wie eine Super-Magnum-Flasche „Mumm“ – kein Cham­pa­gner, aber ein biss­chen prickelnd – und am Ende ein biss­chen zu viel. Man hörte und sah dem Ensemble die Spiel­freude an. Regis­seur (er hatte seinen Durch­bruch mit dem Road­movie-Tann­häuser in Bayreuth) zeigte, dass er auch ruhiger kann, an die Personen glaubt, den Raum: den langen Atem und die ruhi­gere Schnitt-Sequenz. Dass er nun offenbar kurz vor der Unter­schrift des Inten­danten-Vertrages an der Staats­oper in Hamburg steht, wird hinter den Kulissen mit ein wenig Erstaunen zur Kenntnis genommen. Ich finde es: positiv! Dem Haus im Norden, derzeit von und geleitet, wird Verän­de­rung gut tun. Kratzer kann da durchaus inspi­rie­rend sein. Sein Regis­seur-Kollege hat das Theater an der Wien, trotz Umbau, derzeit als Inten­dant schon zum Opern-Hot-Spot der öster­rei­chi­schen Haupt­stadt gemacht.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de