KlassikWoche 09/2023

Letzte Gefechte in Bayreuth, Wien und Hamburg

von Axel Brüggemann

27. Februar 2023

Die Querelen bei den Bayreuther Festspielen, Omer Meir Wellber als designierter GMD in Hamburg, die prekäre Lage der Rundfunk-Orchester.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit grund­sätz­li­chen Rich­tungs-Entschei­dungen in Bayreuth, in Hamburg und in Wien.

Letzte Gefechte in Bayreuth

Kulturstaatsministerin Claudia Roth

Was für ein giftig geiferndes Greis­en­theater! Ja, nein – viel­leicht. Nicht einmal Klar­heit schafft der Vorsit­zende der Gesell­schaft der Freunde der Bayreu­ther Fest­spiele, Georg von Walden­fels (78!), ob sein Verein die Zuwen­dungen an die Fest­spiele nun in Frage stellt oder nicht (er sagt: „nein!“, Proto­kolle sagen: „ja!“). Angeb­lich geht es um eine Million Euro, die weniger fließen soll. Ein Grund könnte sein: Der Gesell­schaft und ihrem Führer gefällt nicht, dass die Fest­spiele Anschluss an die Reali­täten unserer Zeit suchen. Ein Fest­spiel-Jahr ohne , ein Parsifal mit Augmented Reality, und dazu noch mit zwei Frauen im Graben (Oksana Lyniv und der überall gefei­erten Nathalie Stutz­mann, die nicht nur für Alex Ross heiße Kandi­datin als Gustavo-Dudamel-Nach­fol­gerin in LA ist) – das ist dem einen oder anderen Wagner-Gläu­bigen offen­sicht­lich zu viel Norma­lität. Und dann steht ja auch noch Katha­rina Wagners Vertrags­ver­län­ge­rung an – ein gutes Druck­mittel, denken die Walden­fels-Boys, um Druck aufzu­bauen und endlich ein „Opera-country for old men“ zu errichten. Wie klug all das wirk­lich ist, wird sich zeigen.

Ich könnte mir vorstellen, dass Kultur­staats­mi­nis­terin nie so klar geworden ist, mit wem sie in eine Fest­spiel-Zukunft gehen will, die offen ist, divers, die sich einem breiten Publikum öffnet und gleich­zeitig neue Perspek­tiven für musi­ka­li­sche Quali­täten eröffnet. Wenn dann noch der Chef des Deut­schen Musik­rates, Chris­tian Höppner (67!), sich via Twitter einmischt und poltert: „Wagner Festival am Schei­deweg: Chris­tian Thie­le­mann muss wieder eine gestal­tende Rolle spielen“, weiß man nicht so genau, ob er damit nicht allen Betei­ligten einen Bären­dienst erweist. Zur Erin­ne­rung: Der Musikrat ist der Club, der in seinen Maga­zinen zwar für Viel­falt wirbt, aber eine Doppel­seite mit weit­ge­hend alten, weißen Männern abbildet. Die Zukunft der Musik wird – das ist sicher – anders aussehen. Aber was sage ich, ich bin ja nur ein alter „Hofbe­richt­erstatter“ :-). Probleme gibt es übri­gens auch an anderer Stelle: Nachdem Forschungs­gelder für die Veröf­fent­li­chung der 10.000 Wagner-Briefe gestoppt werden sollen, gibt es inzwi­schen eine Peti­tion, die unter anderem von Haus-Wahn­fried-Direktor unter­stützt wird. 

Neuan­fang in Hamburg

Tobias Kratzer, Bettina Giese, Omer Meir Wellber, Carsten Brosda

Wir hatten es bereits berichtet, nun ist es auch offi­ziell: Der Diri­gent wird neuer GMD in Hamburg und damit Nach­folger von Kent Nagano. Eine Perso­nalie, die sowohl in Hamburg als auch in Wien, wo Meir Wellber gerade als Chef­di­ri­gent an der Volks­oper begonnen hat, heftige Debatten ausge­löst hat (hier ein andert­halb­stün­diges Gespräch mit dem Diri­genten als Menschen). Ich persön­lich finde die Ernen­nung mehr als konse­quent. Auch über den desi­gnierten Hamburger Inten­danten, Regis­seur Tobias Kratzer, wird haus­in­tern offen­sicht­lich schon viel gemun­kelt. Ein Zeichen, dass eine neue Gene­ra­tion von Opern­lei­tern viel­leicht auch neu denkt und Altes in Frage stellt.

Ähnli­ches ist derzeit schon am Theater an der Wien zu beob­achten. Neulich habe ich den Inten­danten (für einen zukünf­tigen Podcast) getroffen, in dem er mir unter anderem erklärte, es sei an der Zeit, Oper nicht mehr aus den Zwängen der Insti­tu­tion heraus zu denken, sondern die Orga­ni­sa­tion eines Hauses nach den künst­le­ri­schen Impulsen zu struk­tu­rieren, die man setzen wolle. Neue Opern-Struk­turen zu schaffen, Struk­turen, die der Kunst dienen, das ist bekannt­lich ein dickes Brett – gut so, dass daran gleich­zeitig in Wien und Hamburg gebohrt wird! 

Öster­reich kämpft für Radio-Orchester

ORF-Radio-Symphonieorchester

300 Millionen Euro soll der ORF einsparen – und denkt als erstes: an sein Orchester, das RSO Radio-Sympho­nie­or­chester Wien von Marin Alsop. Das einzige Rund­funk­or­chester der Alpen­re­pu­blik. In Deutsch­land wird man da ganz genau hinschauen, hatte ARD-Inten­dant doch eben­falls kürz­lich über Einspar­po­ten­zial bei unseren Radio-Orches­tern nach­ge­dacht (hier mein Kommentar dazu). In Öster­reich haben die bekannten Reflexe sofort einge­setzt: Poli­ti­ke­rInnen wollen für das Orchester kämpfen (es aber im Falle von Wiens Kultur­po­li­ti­kerin nicht über­nehmen), Künst­le­rInnen unter­schreiben Peti­tionen. Was fehlt: eine Antwort auf die Frage, ob man das Orchester in den letzten Jahren nicht einfach auch aus Bequem­lich­keit nicht richtig posi­tio­niert hat. 60.000 Unter­schriften für das RSO stehen gegen Millionen Menschen, die das Ensemble mit ihren Fern­seh­ge­bühren (von Vorarl­berg bis ins Burgen­land) zahlen und oft nicht wissen, warum eigent­lich. Warum ein Radio-Orchester in Wien, neben Sympho­ni­kern und Phil­har­mo­ni­kern? Warum ist es im Heimat-Sender, gerade im TV, so selten vertreten? Und, ja: Die Neue Musik, die es aufführt, brau­chen wir die wirk­lich? Es sind diese Grund­satz­fragen, die schon vor Jahren – Tag für Tag – hätten beant­wortet werden müssen. 

Wann lernen wir im Kampf für unsere Kultur­in­sti­tu­tionen endlich, dass sie auch dort veran­kert sein müssen, wo Menschen sie nicht nutzen – und dennoch für sie bezahlen? Dass die gesell­schaft­liche Selbst­ver­ständ­lich­keit von Kultur längst vorbei ist. Noch immer scheint es ein Auto­ma­tismus zu sein, dass ein Orchester wie das RSO natür­lich von Fern­seh­gel­dern finan­ziert wird. Wenn dieser Rück­halt nicht mehr einge­löst wird, dann ist es wirk­lich zu spät. Am 23. März will der ORF über weitere Schritte berat­schlagen. Bis dahin ist Lamen­tieren eine Möglich­keit – raus­zu­gehen und den Menschen den Grund für die eigene Exis­tenz um die Ohren zu hauen, wäre die bessere Lösung! Lese­emp­feh­lung zu diesem Thema aus der Frank­furter Rund­schau: die Kultur-Spar-Debatte im Wahl­kampf um das Frank­furter Ober­bür­ger­meis­teramt. 

Russ­lands Krieg

Yuri Bashmet und Wladimir Putin

Ich frage mich, ob die Verant­wort­li­chen beim SWR oder jene euro­päi­schen Konzert­haus-Chefs, die weiterhin auf die Zusam­men­ar­beit mit setzen, in den Tagen des Jahres­tages der Inva­sion Russ­lands in die Ukraine auch nach Sotschi geblickt haben: Dort spielte Curr­entzis mit seinem Orchester musi­cAe­terna beim Festival von Putin-Brat­scher Yuri Bashmet (er findet: „Russ­land tut das Rich­tige und wird gewinnen“). Bis heute gehören auch Putins Kriegs­lied-Lieder­ma­cher Alex­ander Gainut­dinov und Artem Volkov zum Chor-Ensemble, bis heute keine Entschul­di­gung für die Ausrut­scher auf der Deutsch­land-Tournee, bis heute keine Distan­zie­rung durch den Chef­di­ri­genten. Wie man derar­tige Propa­ganda-Enga­ge­ments noch als neutral einstufen kann, kann ich nicht verstehen. 

Wie Klar­heit gehen kann, zeigte nicht nur Geigerin Lisa Bati­a­sh­vili, die ihre Ukraine-Soli­da­rität mit einer Aktion auf dem Münchner Odeons­platz zeigte, sondern seit einem Jahr auch die MET in New York von Peter Gelb, am 24. Februar mit einem großen Erin­ne­rungs­kon­zert zum Jahrestag der Inva­sion Russ­lands unter anderem mit Dmytro Popov, Vladyslav Buialskyi und Golda Schultz. Auf die Kritik von Bass Ildar Abdrazakov, Kunst sollte neutral bleiben, antwor­tete Gelb: „Diese Künstler haben sich sehr wohl posi­tio­niert – leider auf der falschen Seite. Es tut mir leid, dass er wie viele andere Russen so desin­for­miert ist und nicht wirk­lich versteht, was gerade in der Welt passiert.“ Ein ausführ­li­cher Text über den Sänger von Stephan Burianek: hier. Auch Welt-Jour­na­list Manuel Brug findet – mit Blick auf Netrebko und Curr­entzis, dass Indif­fe­renz keine Option mehr sei: „In den kommenden Monaten wird sich zeigen, (..) wie sehr die Musik weiterhin sich für unpo­li­tisch dünken und damit glauben mag, durch­zu­kommen. Es ist ein Tanz auf des Kriegs­mes­sers Schneide.“ Übri­gens: Was wir seit einem Jahr über die ukrai­ni­sche Musik gelernt haben, das habe ich versucht, im WDR zu erzählen.

Neue Oper für New York

Das ist ein Rekord: Ein Drittel aller Auffüh­rungen der nächsten Saison an der Met wurde von noch lebenden Kompo­nis­tInnen geschrieben. Die Spiel­zeit wird im September mit Jake Heggies Dead Man Walking eröffnet – es folgen Anthony Davis« X, The Life and Times of Malcolm X, Daniel Catáns Florencia en el Amazonas und John Adams« El Niño

Perso­na­lien der Woche

Wir haben es mit aller­hand Stel­len­wech­seln bei Diri­gen­tInnen zu tun diese Woche: wird ab 2025 neuer Chef­di­ri­gent des Sinfo­nie­or­ches­ters Basel. Der 52-Jährige erhält als Nach­folger von einen Fünf­jah­res­ver­trag, wie das Sinfo­nie­or­chester Basel am Freitag mitteilte. Der in München gebo­rene Musiker leitet derzeit das Orchestra della Sviz­zera italiana in Lugano und das Bruckner Orchester im öster­rei­chi­schen Linz.

Daniel Harding wird Musik­di­rektor des Youth Music Culture The Greater Bay Area im südchi­ne­si­schen Guang­zhou. Ein Enga­ge­ment, das einer erwar­teten Verpflich­tung für das Orchestra dell’­Ac­ca­demia Nazio­nale di Santa Cecilia nach Rom nicht im Wege stehen wird. +++ „Ich habe keinen Tropfen russi­schen Blutes in mir“, sagt Pianist in einem Gespräch mit der Frank­furter Allge­meinen Zeitung. Er habe Russ­land mit 20 Jahren auch deshalb verlassen, weil es „eines der anti­se­mi­tischsten Länder der Welt“ sei. 

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht ja hier: In der neuen Folge meines Podcasts Alles klar, Klassik? dreht sich dieses Mal alles um die Zukunft der Kirchen­musik. Welche Rolle spielt sie in der musi­ka­li­schen Bildung? Und warum steckt sie in der Krise? Kirchen­musik verbindet die Menschen. Aber die Grund­ver­sor­gung ist in der Krise. Katho­li­sche und protes­tan­ti­sche Kirchen­mu­si­ke­rinnen und Kirchen­mu­siker hadern mit dem Vertrau­ens­ver­lust der Bevöl­ke­rung in die Insti­tu­tion Kirche.

Der Diözesan-Musik­di­rektor in Passau, Marius Schwemmer debat­tiert, welche Kirche die Musik braucht – und warum die Gemein­schaft der Singenden oft stärker ist als die Gemein­schaft der Gläu­bigen. Um musi­ka­li­sches Reper­toire für den Gottes­dienst, um die Grund­ver­sor­gung in den Gemeinden und den musi­ka­li­schen Auftrag der Kirche geht es im Gespräch mit Eckhard Manz, Kantor in Kassel und Orga­nist mit ECHO-Klassik-Auszeich­nung. Am Anfang blickt mdr-Kirchen­musik-Experte Claus Fischer auf die allge­meine Kirchen­mu­sik­land­schaft und erklärt die unter­schied­li­chen Erwar­tungen der katho­li­schen und der protes­tan­ti­schen Kirche. Viel Spaß beim Rein­hören: Hier als Podcast für alle Formate, für Spotify oder apple.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: picture alliance/dpa/Daniel Bockwoldt, ORF / Thomas Ramstorfer, picture alliance/dpa/TASS/BR-Klassik