KlassikWoche 13/2019

Klima­an­lagen, Auto­grafe und der Boule­vard

von Axel Brüggemann

25. März 2019

Da diese Woche eh nicht viel los war, stürzen wir uns dieses Mal in den Klassik-Boule­­vard: große Oper bei Kai Pflaume, Bau-Skandal in Bonn, Klang-Kampf um Vene­zuela und ein Geburts­tags­ständ­chen für Avan­t­­garde-Ikone Chris­tian Thie­le­mann!

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

Zu lang. Nur für Insider. Das muss knackiger werden, Brüg­ge­mann!“ – So ungefä hat der Heraus­geber von CRESCENDO auf diesen News­letter reagiert. Also gut. Da diese Woche eh nicht viel los war, stürzen wir uns dieses Mal in den Klassik-Boule­­vard: große Oper bei Kai Pflaume, Bau-Skandal in , Klang-Kampf um Vene­zuela und ein Geburts­tags­ständ­chen für Avan­t­­garde-Ikone Chris­tian Thie­le­mann!

Was ist

AUF DEM KLASSIK-BOULE­­VARD

Wir wollen, dass die Klassik zu den Menschen kommt? Bitte schön: Elīna Garanča und Klaus-Florian Vogt haben sich bei Kai Pflaume in Wer weiß denn sowas? sehr lustig präsen­tiert (und das, obwohl Garancas neues Album Sol y Vida erst nächsten Monat erscheint). Mitten in der Gesell­schaft ange­kommen ist auch Bach, dem Google zum Geburtstag ein wunder­bares Feature gebas­telt hat: Jede Melodie wird per Künst­li­cher Intel­li­genz in einen vier­stim­migen Bach-Satz verwan­delt. Unbe­dingt auspro­bieren! Und während die Wiener Staats­oper ihre große Gala zum 150. Jubi­läum vorbe­reitet, gibt ausge­rechnet die Kronen Zeitung ein Sonder­heft heraus. Gut, es geht darin haupt­säch­lich um „Mörtel“ Lugner und , aber das ist, als würde BILD ein Volks-Opern-Magazin heraus­geben (Oper, lieber Julian Reichelt, das ist, was ihr eh jeden Tag macht: Politik, Sex and Crime!). Ganz ohne BILD und Urhe­ber­rechts­de­batte zeigte sich Jonas Kauf­mann auf Insta­gram mit Gattin und Baby als glück­li­cher Vater. Fehlt nur noch eines: endlich ein Klassik-Talk im Fern­sehen. Lieber Baye­ri­scher Rund­funk, aber bitte nicht unter dem Titel „Gott­schalk hört Musik?“ 

KATA­S­TRO­­PHEN-BAUSTELLE BEET­HO­VEN­

Heieiei! 30 Tonnen schwerer als bestellt war die Klima­an­lage für die Beet­ho­ven­halle bei der Anlie­fe­rung. Die Konse­quenz: eine voll­kom­mene Neube­rech­nung der Statik. Die größte Kata­strophe aber ist, dass einige Bauun­ter­nehmer wegen des endlosen Baustopps abge­sprungen sind. „Teurer wird es auf jeden Fall“, sagt die Spre­cherin der Stadt Bonn lako­nisch. Konkret bedeutet das: Die Beet­ho­ven­halle, die eigent­lich 2018 für 61,5 Millionen fertig­ge­stellt sein sollte, wird nun frühes­tens zu Beet­ho­vens 252. Geburtstag im Jahre 2022 eröffnet und weit über 102 Millionen Euro kosten. Ta-ta-ta-taaaaa!

AUTO­GRAF UND WERT­AN­LAGE

Viel­leicht sollten Kultur­in­sti­tu­tionen auf einen neuen Trend setzen, wenn sie Kohle brau­chen. Selten war die Nach­frage nach Kompo­­nisten-Auto­­grafen so groß wie heute, erzählt Claus Fischer im Deutsch­land­funk. 85.000 Euro wurden jetzt für eine Hand­schrift von  gezahlt. Viel­leicht reichen die Diabelli-Varia­­tionen, die ja in Bonn liegen, um die Mehr­kosten der Beet­ho­ven­halle zu wuppen?

KEINE SCHEICHS AN DER SCALA , HAUS­VERBOT IN LONDON

Geld zurück gab es für die Scheichs in Saudi-Arabien. Eigent­lich tanzt Scala-Inten­­dant Alex­ander Pereira gern auf dem Opern-Boule­­vard, aber dieser Tage holte ihn die Wirk­lich­keit ein. Ein 15-Millionen-Deal mit den Saudis sollte die Kasse des Opern­hauses füllen und seine Wieder­wahl sichern (wir haben berichtet). Aber der poli­ti­sche Druck wurde zu groß, und die Scala zahlt die drei Millionen Euro, die sie bekommen hat, nun zurück. Pereira soll im Amt bleiben, aber sein Akti­en­kurs ist unsi­cher. Das Opern­haus Covent Garden sorgte für Aufre­gung, weil ein Besu­cher angeb­lich des Hauses verwiesen wurde, da er ein T‑Shirt mit #Peop­les­Vo­teNow trug, also für ein neues Brexit-Refe­­rendum. Seither tobt auf Twitter der Wut-Mob. 

MUSIK­VER­LAGE ZITTERN 

Wiki­pedia hat sich letzte Woche abge­schaltet, um gegen die EU-Urhe­­ber­­rechts­rich­t­­linie zu demons­trieren, da geht der Präsi­dent des Deut­schen Musi­k­­ver­­­leger-Verbandes, Axel Sikorski, eben zum Print. In der FAZ sagt er (übri­gens urhe­ber­recht­lich von einer Pay Wall geschützt), dass das Schei­tern der Richt­linie eine Kata­strophe wäre. Sikorski will, dass Künstler konse­quenter an Rechten von YouTube und Co. betei­ligt werden: „Wer acht Stunden am Tag arbeiten muss, um Miete zu bezahlen, dem fällt es schwer, nebenbei noch Sympho­nien oder Songs zu schreiben.“ Schon klar, Herr Sikorski – aber wer einmal einen Film über Prokofjew gemacht hat und weiß, wie viel absurde Kohle Ihre Branche jedem abver­langt, der tote Kompo­nisten würdigen will, der weiß so langsam nicht mehr, auf welcher Seite Sie wirk­lich stehen – auf jener der Künstler, oder allein auf der Ihren!

Was war 

MONTERO KÄMPFT GEGEN AUTORIN

Diese Frau ist der Wahn­sinn, und die Geschichte scheint sich in ihre Rich­tung zu neigen. Ich durfte mit der Pianistin Gabriela Montero einmal eine Klassik-Session aufnehmen und war begeis­tert, dass Musik für sie immer auch ein Mittel der Politik ist. Es lohnt sich, ihren aktu­ellen Schlag­ab­tausch mit der vene­zo­la­ni­schen Autorin Gisela Kozak Rovero auf Twitter nach­zu­lesen. Dabei geht es um die Rolle von : „Dudamel hat nicht gefol­tert, niemanden enteignet, ist nicht für den Hunger verant­wort­lich“, schreibt Rovero, „er ist nur ein Musiker.“ Die Autorin wünscht sich, dass Montero gemeinsam mit dem Diri­genten auftritt. Aber Montero bleibt kompro­misslos: „Dudamel war ein Komplize des Systems. Wenn es ihm nutzte, kuschelte er mit der Chavista-Élite und hat deren Image rein­ge­wa­schen. Sie werden mich nie mit einem Komplizen sehen. Wer zum Chavismus gehört und von ihm profi­tiert hat, wird immer für den Schre­cken verant­wort­lich sein, in dem wir leben.“ Dudamel hat indes eine ganz eigene Form gefunden, abzu­tau­chen. Was nur wenige wissen: Immer wieder hat das Sistema die Auftritte von Montero in Südame­rika verhin­dert, indem das Simon Bolivar Orchester Veran­stal­tern gedroht haben soll: „Montero oder wir.“ Um so schöner, dass Gabriela Montero im Juni zum ersten Mal in der Carnegie-Hall auftreten wird. Eine große, mutige, musi­ka­li­sche Kämp­ferin! 

SPIELT DIE ZAUBERIN!

Musik­kri­tiker sind wie der Formel1-Zirkus. Sie reisen von Ort zu Ort und erzählen ihre Geschichten. Nun waren sie alle­samt in Lyon und beju­beln, was selten ist, einhellig Andriy Zholdaks Insze­nie­rung von Tschai­kow­skys Oper Die Zauberin. Schwin­del­erre­gende Virtuo­sität“ erkennt Jan Brach­mann, Manuel Brug (Insider für Stamm­leser: die Raupe Nimmer­satt feierte übri­gens gerade Geburtstag!) beju­belt das „glühende“ Dirigat von Daniele Rustioni, und Eleo­nore Büning bejam­mert, dass es noch immer keine Aufnahme „der besten Tschai­­kowsky-Oper“ gebe. Also, deut­sche Theater: Rauf damit auf Eure Spiel­pläne! +++ Julia Spinola ist begeis­tert von der Kasseler Walküre von Markus Dietz mit „sensa­tio­nellen Frau­en­stimmen“, beson­ders einer „vokal inten­siven“ Sieg­linde von Nadja Stefanoff und einer „sensa­tio­nellen Brünn­hilde“ von Nancy Weiß­bach. +++ Kommt er oder kommt er nicht? In der Gene­ral­probe ist noch Anna Netrebkos Mann  für Jonas Kauf­mann einge­sprungen – der aber war zur London-Première von Die Macht des Schicksals wieder fit (oder Vater?) und wurde vom Guar­dian beju­belt. +++ Volker Blech hat den poli­tisch herr­lich unkor­rekten Regis­seur  beob­achtet, der an der Deut­schen Oper gerade Zemlin­skys Der Zwerg probt. Und um am Ende wieder zum Boule­vard zurück­zukehren: Kratzer sucht gerade einen Gebraucht­wagen – Ange­bote bitte direkt an die Deut­sche Oper. +++ Begeis­tert war Manuel Brug von Stephan Kimmigs Insze­nie­rung der Henze-Oper Der Prinz von Homburgin Stutt­gart – souverän diri­giert von Corne­lius Meister. In gerät Inten­dant Lars Tietje unter Beschuss. Er hatte seinen Ensemble-Mitglie­­dern verboten, gegen den Theater-Sponsor Nestlé zu protes­tieren. Die revan­chieren sich nun mit einem offenen Brief, in dem sie ihm vorwerfen, das Kultur­erbe zu zerstören. Darauf ein stilles Vittel! +++Der Jour­na­list Joachim Lange, der uns vor drei Wochen an dieser Stelle über die Abwahl von Florian Lutz in Halle infor­miert hat, fasst die Ereig­nisse im lesens- und förde­rungs­wür­digen Das Blätt­chen nun noch Mal zusammen. 

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Die große Edita Gruberová hat ange­kün­digt, die Opern­bühne für immer zu verlassen – am 27. März wird sie als Elisa­betta in Doni­zettis Roberto Devereux in  zum letzten Mal auf der Bühne stehen. +++ Der Klari­net­tist Wolf­gang Meyer ist gestorben. Der Bruder von Sabine Meyer hat lange gegen den Krebs gekämpft, und ist aufge­treten, bis es wirk­lich nicht mehr ging. Die Anteil­nahme seiner zahl­rei­chen Schüler ist groß. +++ Und sonst? Die Hambur­gerin Chris­tina Schep­pel­mann geht vom Liceu an die Oper nach Seattle, und während in den kommenden Jahren so ziem­lich alle Klassik-Posi­­tionen neu besetzen werden, hat das Tonkünstler-Orchester Yutaka Sado gerade als Chef­di­ri­genten verlän­gert. 

THIE­LE­MANN, DIE STILI­KONE

Am 1. April feiert Chris­tian Thie­le­mann seinen 60. Geburtstag. Das ist für Diri­genten kein Alter, aber viel­leicht Zeit, etwas weiser zu werden. „Vieles von dem, was ich früher gesagt habe, denke ich noch immer, würde es aber nicht mehr so sagen“, erzählte er mir in einem Gespräch, in dem er auch seinen Abgang in  Revue passieren lässt. Nein, er sei kein Ewig­gest­riger: „Ich bin Avant­garde, mein Lieber!“ Hören Sie Teile unseres Gesprä­ches hier – und lesen Sie das ganze Inter­view in der aktu­ellen Ausgabe von CRESCENDO.Chris­tian Thie­le­mann im großen CRESCENDO-Geburts­­tags-Gespräch.

BAREN­BOIM: FLUCHT UND KAMPF

Dass Daniel Baren­boim nicht für den Ring in Bayreuth im Gespräch ist, soll zum großen Teil auch an Thie­le­mann liegen. Die beiden sind keine Freunde, und wo der eine ist, ist für den anderen offenbar kein Platz. In Wien werden beide dennoch voll­kommen kritiklos hofiert. So auch bei Baren­boims Auftritt mit den Wiener Phil­har­mo­ni­kern. In Berlin ist der Diri­gent einer Pres­se­kon­fe­renz aus dem Weg gegangen, dafür verla­gert er nun das Spiel­feld und erklärt: „Ich biete den strei­kenden Musi­kern in Chicago meine volle Unter­stüt­zung an.“ War was? Ist was? 

Was lohnt

MEINE CD DER WOCHE …

… ist die Einspie­lung der Bach-Violin­­kon­­­zerte mit  und der Akademie für Alte Musik Berlin. Faust hat sechs Konzerte ausge­wählt, die sie vier instru­men­talen Kantaten-Einlei­­tungs­­­sätzen, zwei bear­bei­teten Orgel-Trio­­so­­naten und einer Ouver­tü­ren­suite gegen­über­stellt. Ihre „Dornröschen“-Stradivari hat sie für diese akri­bi­sche, spiel- und risi­ko­freu­dige Aufnahme zur Seite gelegt und statt­dessen auf eine Geige von Jacobus Stainer zurück­ge­griffen. In einem Gespräch erklärte die Geigerin mir einmal, warum das Instru­ment für sie zwar ein Werk­zeug sei, aber auch dafür sorgt, dass es über sie hinaus­weise. Wie intensiv Faust sich mit Bach beschäf­tigt hat, zeigen auch ihre Noten. Dem Kultur­radio sagte sie: „Meine Noten sehen wild aus“ – viele Stellen seien markiert und mit besseren Versionen über­klebt. Und nun noch ein Häpp­chen für den Boule­vard: Die Zusam­men­ar­beit mit den Musi­kern sei nicht nur freund­schaft­lich gewesen, sondern auch lecker. Das Ensemble hat regel­mäßig für die Solistin gekocht – und sie habe einige Kilo „mit nach Hause genommen“. 

FEIERN SIE MIT

Ach so, und was machen Sie am 10. April? Schauen Sie doch bei unserer exklu­siven CRESCENDO Klassik-Lounge mit dem Schlag­zeuger  im Prinz­re­gen­ten­theater vorbei.

Jetzt bin ich doch wieder so lang geworden – aber auch der Klassik-Boule­­vard erzählt eben viele Geschichten.

In diesem Sinne, halten Sie die Ohren steif

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Wiki Commons