KlassikWoche 46/2019

Mehr Vibrator, bitte!

von Axel Brüggemann

11. November 2019

Heute mal mit ein biss­chen Prickeln, egal, auf was Sie stehen: Bern­stein, van Zweden oder Thie­le­mann … es wird vibrieren. Verspro­chen!

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,


heute mal mit ein biss­chen Prickeln, egal, auf was Sie stehen: Bern­stein, van Zweden oder Thie­le­mann … es wird vibrieren. Verspro­chen!

WAS IST

Wie viel Vibrato soll es denn sein?
MIT VIEL VIBRATOR, BITTE!

Die Dame an der Garde­robe des Wiener Konzert­hauses war erschro­cken: Hatte sie eine tickende Zeit­bombe ange­nommen? Ein Koffer, den eine Konzert­be­su­cherin abge­geben hatte, begann plötz­lich zu vibrieren. Polizei, Hunde­staffel – das ganz große Besteck. Am Ende stellte sich heraus, dass es sich um einen Vibrator handelte, der sich selbst­ständig gemacht hatte. Das Konzert lief weiter. Eine Nach­richt, die mich an eine Recherche während der erin­nerte. Damals fragte ich für SKY, welche Sex-Toys im Bayreu­ther Sexshop über den Tresen gehen, die ansonsten eher schlep­pend laufen. Die Antwort: Alles aus dem „Fifty Shades of Grey“-Repertoire und fern­ge­steu­erte Dildos, mit denen ein Partner dem anderen per Knopf­druck einen lust­vollen Gruß während des Walkü­ren­ritts über­mit­teln kann. Ob es sich in eben­falls um ein fern­ge­steu­ertes Objekt handelte, das sich an falscher Stelle verselbst­stän­digt hat, ist nicht bekannt – die Polizei klärte die Besit­zerin anschlie­ßend aller­dings über den Fund auf und schickte sie in die Nacht.


PERSO­NA­LIEN DER WOCHE NR. 1
Neulich erreichte mich das Bedauern darüber, dass die wöchent­liche Portion in diesem News­letter neuer­dings fehle. Also gut: In sehr naher Zukunft tritt der Aufsichtsrat der Bayreu­ther Fest­spiele zusammen und wird über die Zukunft des Diri­genten entscheiden. Sicher ist, dass zumin­dest seine Bestä­ti­gung als Musik­di­rektor unsi­cher ist – so hört man es jeden­falls aus dem Freun­des­kreis, wo große Skepsis über eine Wieder­wahl bestehen soll. +++ Und weil es so schön passt: Niko­laus Bachler hat der groß­ar­tigen Sopra­nistin diese Woche Blumen auf der Bühne der Baye­ri­schen Staats­oper über­reicht – zu ihrem 20. Jubi­läum. +++ Und weil auch das noch so schön passt: hat Alice Heidler gehei­ratet – heim­lich im April in Bayern.

EINE MILLI­ARDE FÜR ?
Von fast einer Milli­arde Euro für die Sanie­rung der ist nun die Rede, wie Ober­bür­ger­meister Fritz Kuhn erklärt hat. So berichtet es Thomas Braun in der Stutt­garter Zeitung: „Die Moder­ni­sie­rung des histo­ri­schen Litt­mann-Baus sowie der Neubau eines Kulis­sen­ge­bäudes entlang der Konrad-Adenauer-Straße schlagen demnach mit 740 Millionen bis 960 Millionen Euro zu Buche. Hinzu kommen 104 Millionen Euro für den Bau einer Ersatz­spiel­stätte nörd­lich der Wagen­hallen. Die Kosten­schät­zungen schwankten zuletzt zwischen 500 Millionen und einer Milli­arde Euro. Zu Beginn der Diskus­sion über die Sanie­rung der Staats­oper 2014 war man noch von mehr als 300 Millionen Euro ausge­gangen.“ Frag­lich, ob der Stutt­garter Gemein­derat sich traut, in die Kultur zu inves­tieren, während der Bahnhof noch immer nicht fertig­ge­stellt ist.

WAS WAR


MUSIK­STADT
Diese Werbung mache ich aus vollem Herzen – nicht nur, weil wir in der letzten Woche zum Fall der Berliner Mauer mal wieder sahen, wie Mstislaw Rostro­po­witsch Cello spielte und die „Ode an die Frei­heit“ diri­gierte. Leipzig hat unter dem Titel „Musik­stadt Leipzig“ eine neue Kampagne gestartet. Kultur­bür­ger­meis­terin Skadi Jennicke sagt: „Die wich­tigste Musi­ker­per­sön­lich­keit des 19. Jahr­hun­derts – zumin­dest für die Stadt­ent­wick­lung von Leipzig – nämlich , werden wir jähr­lich um den Todestag herum in Koope­ra­tion zwischen Mendels­sohn­haus und Gewand­haus ehren.“ Hinzu kommt das jähr­liche Bach­fest. Außerdem gibt es künftig einen Wechsel aus Opern­fest­spielen und Gewand­haus­fest­tagen.


ES MAUSERT IMMER WEITER
Keine Ruhe um den ehema­ligen Direktor der Münchner Musik­hoch­schule Sieg­fried Mauser, der wegen sexu­eller Über­griffe verur­teilt wurde. Die Fest­schrift zu seinem Geburtstag ist wie eine Schlag ins Gesicht der Opfer. Hier wird sein „welt­um­span­nender Eros, der für ihn schwer­wie­gende recht­liche Folgen hatte“ gefeiert. Und in einem BR-Inter­view schwa­dro­niert Dieter Borchmeyer über Mausers „über­schwäng­li­ches Wesen“, das er bewun­dert und kommt zu dem Schluss, „ein Gerichts­ur­teil ist kein Gottes­ur­teil“. Wer hören will, wie wenig die alten, weißen Männer verstanden haben, sollte sich das Inter­view anhören – bewun­derns­wert die Cooles von Inter­viewer Chris­toph Leibold.


PERSO­NA­LIEN DER WOCHE NR. 2
Eine Nach­richt, die mich persön­lich beson­ders freut: Egils Silins, der letti­sche Bass­ba­riton und gefei­erte -Sänger, wird Chef der Letti­schen Natio­nal­oper – Gratu­la­tion! +++ Ich wurde vor einigen Wochen zurecht gewiesen, dass seinen letzten Preis nicht vom Concert­ge­bou­wor­kest, sondern vom Veran­stal­tungsort, dem Concert­ge­bouw, bekommen hat, weshalb der Preis keinerlei Rück­schlüsse auf ihn als zukünf­tigen Chef des Orches­ters zulasse. Viel­leicht gelingt das aber, nachdem er die „Walküre“ mit dem Orchester aus konge­nial diri­giert hat? +++ Das Theater hat einen neuen Opern­chef: Jan Henric Bogen. Und der möchte in Zukunft Frauen im Opern­be­trieb sicht­barer machen. Außerdem sieht er seine Rolle im Theater als die eines Kunst­er­mög­li­chers – all das hat er Martin Preisser erzählt.

AUF UNSEREN BÜHNEN
Judith von Stern­burg hat die Insze­nie­rung von „Lady Macbeth von Mzensk“ an der Oper für die Frank­furter Rund­schau gesehen und feiert beson­ders das Orchester: „Die zentrale Helden­rolle des langen, großen Opern­abends, der auch ein großes Sinfo­nie­kon­zert ist, gehört dem Orchester unter der Leitung von Gene­ral­mu­sik­di­rektor Sebas­tian Weigle. Am heldischsten die Bläser­gruppen: das Blech als strah­lendes, diszi­pli­niertes, aber auch unbarm­her­ziges Edel­me­tall, und die Posaune bekommt den komischsten Moment der auch an Komik nicht armen Oper.“ +++ „Faust und Mephisto, Hitler und Goeb­bels: In ihrem sati­risch-bissigen Drama »Ichun­dIch« hat sich die Dich­terin Else Lasker-Schüler mit dem NS-Régime ausein­an­der­ge­setzt. Der Kompo­nist Johannes Harneit hat daraus nun eine Doku­men­tar­oper geschaffen – und sie in ein schil­lerndes Klang­ge­wand gehüllt.“ – Über die Hamburger Première berichtet Dagmar Penzlin im Deutsch­land­funk. +++ Ich mag die trockenen Kritiken von Michael Ernst sehr. Dieses Mal nimmt er Calixto Bieitos „Le Grand Macabre“ an der Semper­oper in ausein­ander: „Was Ligeti einst provo­zierte und auch in seiner hier gezeigten revi­dierten Fassung von 1996 kaum abge­mil­dert hat, geht heute längst nicht mehr als Thea­ter­re­volte durch. Eine solche jedoch wollte Regis­seur offenbar auf die Bühne hieven, um gera­dezu vorsätz­lich die Provo­ka­tion der Provo­ka­tion zu provo­zieren. , den Ersten Gast­di­ri­genten des Hauses, hatte er dabei ganz auf seiner Seite. Der nämlich nahm den schein­baren Protest auf, wischte ihn beiseite und tat, was Diri­genten tun sollten.“

WAS LOHNT


SCHWULER OPERN­FÜHRER
Kevin Clarke ist ein gran­dioser Opernfan. Ich habe ihn einmal bei einem Dreh in anderer Ange­le­gen­heit im Schwulen Museum in kennen­ge­lernt, an dem er eben­falls betei­ligt ist. Nun sprach er für die „Mann­schaft“ mit Rainer Falk (Theodor-Fontane-Archiv) und Sven Limbeck (Herzog August Biblio­thek Wolfen­büttel), den Heraus­ge­bern des neuen schwulen Opern­füh­rers „Casta Diva“. Das Gruß­wort zu diesem schil­lernden Nach­schla­ge­werk hat verfasst. Der Regis­seur und Inten­dant der Komi­schen Oper in Berlin steht oft selbst in der Kritik für seine „schwulen Insze­nie­rungen“ – beson­ders gern von Schwulen. Ob das schon der lange Schatten von Adorno sei, will Clarke von den Heraus­ge­bern wissen. Sie antworten ihm: „Gefähr­lich dabei ist, dass vor allem im poli­ti­schen, aber zuneh­mend auch im ästhe­ti­schen Diskurs Gender, sexu­elle Orien­tie­rung und andere Diffe­renzen zu Symbol­themen werden: Wie tief gesunken ist die poli­ti­sche Kultur Europas, wenn beispiels­weise die PiS in mit einem Wahl­kampf gegen die ‚Regen­bo­gen­seuche‘ Riesen­er­folge einfährt? Das ist das Problem und nicht, ob ein schwuler oder hete­ro­se­xu­eller Kritiker ein Problem mit Barrie Kosky hat …“

Mit den Geschlech­tern habe ich es nicht so, muss ich gestehen, und habe letzte Woche verse­hent­lich Austra­liens Opern­in­ten­danten Lyndon Terra­cini von der Opera Australia als Frau verkauft – Chris­tine Cerletti (und einige andere) haben mich darauf aufmerksam gemacht, unter anderem mit einem Beweis­bild, bei dem kein Heraus­ge­rede hilft. Ja, Herr Terra­cini ist ein Mann!
In diesem Sinne halten Sie die Ohren steif

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Wiki Commons