KlassikWoche 49/2023
Mondscheinsonate mit Hajo, Frantz und Sahra
von Axel Brüggemann
4. Dezember 2023
Treffpunkt von Klassik, Journalismus und populistischer Politik bei Justus Frantz, Valery Gergiev als neuer Chef des Moskauer Bolschoi-Theaters, die Büste des ehemaligen GMD, Herbert von Karajan.
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit erschreckenden Bildern, in denen sich Klassik, Journalismus und populistische Politik treffen, mit ziemlich teurer Theater-Kacke und einem Film-Denkmal für Johann Sebastian Bach.
Eine Bildbeschreibung
Das Foto der Woche hat Justus Frantz auf Facebook gepostet: Ein bürgerlicher Musik-Salon bei ihm zu Hause. Ehrengast war Sahra Wagenknecht, außerdem dabei: der Schweizer Journalist und Rechts-Politiker Roger Köppel. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine wirbt der in seiner Weltwoche um Verständnis für Wladimir Putin und sorgte mit einem Tweet nach Kriegsausbruch aus Moskau für Aufsehen: „Deutschland aufgepasst: In Moskau leuchten nicht nur die Lampen (viel Strom). Auch das Handynetz ist viel schneller als in Berlin. Viel schneller“. Mit von der Frantz-Partie war auch der Kulturmanager Hans-Joachim Frey. Der ehemalige Intendant des Theater Bremen leitet inzwischen das Kulturzentrum in Putins Lieblingsstadt Sotschi und hatte 2009 als Chef des Semperopernballs die Idee, Putin in Dresden einen Orden anzuheften (hier lernten sich die beiden kennen) und war als Intendant des Brucknerhauses in Linz Mitinitiator des dortigen Wirtschaftsforums, dem unter anderem der ehemalige Präsident der Wirtschaftskammer Österreich, Christoph Leitl, angehörte (späterer Co-Vorsitzender des Sotschi-Dialogs der Österreichischen Wirtschaftskammer). Frey hatte dem inzwischen unter Sanktionen stehenden Cellisten und Putin-Freund Sergej Roldugin die Reihe „Russische Dienstage“ überlassen. Roldugins milliardenschwere Geldgeschäfte flogen im Rahmen der Panama-Papiere auf.
Eine Bild-Interpretation
Interessant an diesem Bild ist, wie öffentlich sich Frantz mit populistischen Politikern umgibt. Der Spiegel berichtet in seiner aktuellen Ausgabe, dass der Pianist zuvor auch schon AfD-Frau Alice Weidel eingeladen hatte (O‑Ton Frantz: „Eine ganz zauberhafte Person“). Auch der Cellist und AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Moosdorf hatte kürzlich seinen Besuch und sein Konzert in Russland auf Facebook gepostet – ebenfalls an der Seite von Hans-Joachim Frey. All das ist wohl mehr als die etwas beschauliche „Der Fall des Justus-Frantz“-Geschichte des Spiegel. Offensichtlich formieren sich hier vor aller Augen neue Netzwerke zwischen Journalismus, Rechts- und Linkspopulisten und der Kultur. Mal wieder dient die Klassik als unterschätzter Ort, an dem sich Wirtschaft und Politik unheilvoll miteinander verbinden. Immerhin hat der Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals Christian Kuhnt bereits vor Monaten reagiert und Frantz in einem persönlichen Telefonat erklärt, dass der Pianist mit seiner Russlandnähe derzeit nicht mehr zum Festival passe, das er einst mitbegründet hatte. Kuhnt will auch nicht über das Propaganda-Stöckchen springen, das Frantz und seine neuen Freunde ihm hinhalten. Er wolle nicht über Dinge, die beim Festival nicht stattfinden reden, sondern lieber über die großen Probleme, denen sich die Welt und die Musik derzeit stellen müssen. Das bedeutet: Frantz war gestern, heute haben wir größere Probleme in einer vollkommen neuen Welt. So zeigt man populistischem Whataboutism die kalte Schulter.
BILD Dir Deine Meinung
Dass lediglich Leute wie Justus Frantz oder Matthias Moosdorf nach Russland kommen, und dass Hans-Joachim Frey mit Sahra Wagenknecht bei Frantz’ Salon abhängt, ist fast schon bemitleidenswert. Auf der anderen Seite: Man darf ihn und seine Netzwerke auch nicht unterschätzen. Wo Frey ist, treffen sich Politik, Wirtschaftskraft und Kultur. Wenn die Personage auch nicht gerade als Stütze der deutschen, demokratischen Gesellschaft bekannt ist – gemeinsam haben Frantz« Gäste durchaus Potenzial. Und das Bewusstsein dafür scheint langsam zu wachsen – zuletzt bei der BILD-Zeitung. Die hat gerade ihren Chefreporter Jürgen Helfricht freigestellt, weil der mit Frey an dessen Buch „Russland lieben lernen“ im Husum-Verlag mitgeschrieben hat. 2021 ist das Buch mit einem Vorwort Putins in der Reihe „Präsidentenbibliothek“ des Eksmo Verlages in Russland erschienen. Bezahlt wurde Helfricht nach eigenen Angaben vom Husum Verlag, von einem Dresdner Opernball-Unternehmen und einem Dresdner Musik-Verein, bei dem Hans-Joachim Frey Chef sei. BILD sagt, man hätte erst jetzt von Helfrichts Rolle beim Buch erfahren. Seit über vier Jahren recherchiere ich mit einem kleinen Team über Putins Kulturnetzwerk im Westen und, unter anderem auch über die Rolle von Hans-Joachim Frey. Schon im Mai 2022 hatten wir bei Helfricht (da er auch Autor eines Semperopernball-Buches ist) angefragt. Damals äußerte sich Helfricht nicht, leitete uns aber versehentlich eine Mail weiter, in der er intern anfragte, wie er „oder unsere Rechtsabteilung“ (also wahrscheinlich jene von Bild) auf unsere Anfrage antworten solle.
Gergiev nun doch Bolschoi-Chef
Der Chef des Moskauer Bolschoi-Theaters, Wladimir Urin, hat nach Kritik am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine das Staatstheater verlassen. „Ich verabschiede mich heute, weil heute mein letzter Arbeitstag im Bolschoi-Theater ist“, sagte der 76-Jährige laut einem im Internet verbreiteten Video bei einer Premierenfeier vor der Kompanie. Nachfolger wird Valery Gergiev, der genau das letzte Woche noch abgestritten hatte. So viel zur Glaubwürdigkeit der russischen Kulturpolitik.
Teure Kacke
Hannovers Ex-Ballettdirektor Marco Goecke hatte eine Journalistin der FAZ mit Hundekot beschmiert. Das Gericht wertete das als tätliche Beleidigung. Goecke habe einen mittleren vierstelligen Betrag an einen gemeinnützigen Verein zahlen müssen, der sich mit Konfliktschlichtung beschäftige. Das Verfahren wurde daraufhin eingestellt.
Die MDR-Umfrage
Letzte Woche habe ich an dieser Stelle die Frage gestellt, was Sie vom Insta-Kanal des MDR halten, der Frauen- und Genderthemen gern in den Vordergrund rückt. Ich war erstaunt über die vielen Zuschriften und über die Abstimmung auf meinem Insta-Kanal: Genau die Hälfte aller Teilnehmenden fand, der Kanal sei zu monothematisch, die andere Hälfte ist der Meinung, der MDR betreibe eine wichtige Pionierarbeit. Fakt ist: Die alte Klassik-Generation mag noch sehr laut sein – aber eine neue Generation, für die andere Themen wichtig sind, steht längst in den Startlöchern. Die Transformation der Kultur, die ich auch versuche in meinem Buch „Die zwei Klassik Gesellschaft“ zu beschreiben, hat längst begonnen. Und der MDR hat inzwischen leider ganz andere Probleme: Er plant ab 2025 einen Stellenabbau und Einsparungen in Millionenhöhe. Ein Sprecher des öffentlich-rechtlichen ARD-Senders teilte laut Nachrichtenagentur dpa mit, dass man nach gegenwärtigem Kenntnisstand unter den absehbaren Rahmenbedingungen ab 2025 Einsparungen in Höhe von mindestens 40 Millionen Euro pro Jahr erwarte.
Zoff um Karajans Büste
Puh – die Intendantin des Theaters Aachen, Elena Tzavara, hat die Büste des ehemaligen GMD, Herbert von Karajan, aus dem Foyer entfernen lassen. Der Grund: Karajans Rolle im Nationalsozialismus. Die Büste soll nun dem örtlichen Stadtmuseum Centre Charlemagne übergeben werden, wo sie in der für 2025 geplanten Ausstellung „200 Jahre Stadttheater Aachen“ gezeigt werde. Klar: das sorgt für Protest. Aber vielleicht könnte man auch Mal einen Gang runterschrauben. Karajan hatte sich gleich zwei Mal bei der NSDAP eingetragen – das verheimlichte er später. Überhaupt hat er sich für die Entnazifizierung einen guten Mythos erdacht, den er auch später pflegte – Fragen zur Geschichte wurden von ihm gern in anekdotische Geschichten verwandelt (siehe Video). Aber ist es klug, ihn deshalb in den Keller zu stellen? Wäre eine Einordnung nicht besser, eine Plakette, eine Installation, eine Erklärung über Karajans Rolle und die neueste Forschung? Nun soll Karajan durch Mozart ersetzt werden – aber was, wenn dessen Frauenbild nun noch Mal historisch untersucht wird? Wie auch immer: Karajan ist natürlich auch in der neuen Folge unseres Podcasts „Alles klar, Klassik?“ ein Thema.
Personalien der Woche
Italiens Präsident Sergio Mattarella und Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni werden der Eröffnung der Scala am 7. Dezember nicht beiwohnen. Ob das mit dem Auftritt von Anna Netrebko zu tun hat (an der Seite von Elīna Garanča), ist nicht übermittelt. +++ Klimaaktivisten haben eine Aufführung von Wagners Tannhäuser an der MET in New York gestört und Banner mit der Aufschrift „No Opera On A Dead Planet“ enthüllt. +++ Der neue Chef der Innsbrucker Festwochen, der Dirigent Ottavio Dantone, will die Länge der Barock-Opern an den heutigen Publikumsgeschmack anpassen: „Kürzungen sind kein Verrat.“ +++ Der Streit zwischen Weihnachtsmarkt-Veranstaltern und der GEMA hört nicht auf. Die GEMA geht nun in die PR-Offensive und erklärt ihren Standpunkt.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Ich empfehle diese Woche Mal etwas, das ich (noch) gar nicht gesehen habe: Den Film Living Bach von Anna Schmidt. Auch ich bin ja mal Wagner-Fans auf der ganzen Welt für einen Kinofilm hinterhergereist – ähnlich macht Schmidt das nun mit Bach. Von Afrika über die Vereinigten Staaten bis – natürlich – Leipzig! Der Trailer verspricht viel Schmunzeln, Begeisterung, Euphorie… Ich werde mir das auf jeden Fall ansehen!
Und wenn Sie jetzt noch Lust auf mehr Klassik-News und auf Debatten rund um die aktuellen Themen der Musik haben, hören Sie doch mal wieder rein bei unserem Podcast „Alles klar, Klassik?“, in dem ich diese Woche mit Dorothea Gregor debattiere, ob die Bayreuther Festspiele klug sparen, wie viele Gender-Themen die Klassik verträgt, ob es richtig ist, dass Aachen die Büste von Herbert von Karajan in den Keller verfrachtet und – wir flehen Arnd Zeigler an, uns die FIFA zu erklären (hier für alle Player, für Apple Podcast, oder einfach aufs Bild unten klicken und auf Spotify abspielen).
In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif
Ihr