Münchner Rundfunkorchester
„Meister der heiteren Muse“
von Ruth Renée Reif
31. März 2022
Das Münchner Rundfunkorchester feiert sein 70-jähriges Bestehen mit einer musikalischen Rückschau auf seine Vergangenheit.
Das Münchner Rundfunkorchester hatte keinen leichten Beginn und keine einfache Geschichte. Nachdem Radio München im Mai 1945 als Sender der Militärregierung den Betrieb aufgenommen hatte, gab es mehrere Formationen, die für den Sender Unterhaltungsmusik spielten. Da waren die Musiker des Komponisten und Dirigenten Kurt Graunke, das Rundfunk-Tanzorchester unter Herbert Beckh sowie ein großer hauseigener Orchesterpool, der 1950 bereits 145 Musiker umfasste und je nach Aufgaben in verschiedenen Besetzungen spielte.
Für das am 1. April 1952 neu zu bildende Rundfunkorchester wurden Musiker aus allen drei Klangkörpern aufgenommen, ein schmerzlicher Prozess, der, wie Doris Sennefelder in ihrem Band zum 50-jährigen Bestehen des Orchesters schrieb, „auch menschliche Aspekte“ berührte. Künstlerischer Leiter wurde der Komponist und Dirigent Werner Schmidt-Boelcke. Am 26. Oktober 1952 leitete er im Kongresssaal des Deutschen Museums das erste Sonntagskonzert. Unter dem Motto „Meister der heiteren Muse“ standen Werke von Paul Abraham, Theo Mackeben, Jacques Offenbach, Franz Lehár, Johann Strauß und Carl Michael Ziehrer auf dem Programm.
Aufgabe des Orchesters war es, die Zuhörer in Konzerten sowie an den Rundfunkgeräten zu unterhalten. Doch war der Begriff Unterhaltungsmusik immer noch überschattet von jener unglückseligen hierarchischen Einteilung in Unterhaltungsmusik und ernste Musik, an der Richard Strauss keinen geringen Anteil gehabt hatte. Vom „Wiener Operettenschund“ hatte er als Präsident der Reichsmusikkammer geschrieben und Lehár als „Gassenmusikanten“ bezeichnet.
Schmidt-Boelcke wehrte sich denn auch gegen die Bezeichnung Unterhaltungsorchester. „lch habe gesagt, Musiker können sich beim Spielen nicht unterhalten und die Leute sollen sich, wenn wir spielen, auch nicht unterhalten“, zitiert Sennefelder ihn aus einem Interview. So einigte man sich auf die Bezeichnung Rundfunkorchester. Zu den Solisten der ersten Jahre gehörten Sari Barabas, Erika Köth, Rudolf Schock, Caterina Valente und Peter Alexander. Häufige Gäste am Dirigentenpult waren Robert Stolz und Willi Boskovsky.
Kurt Eichhorn, der 1967 neuer Chefdirigent wurde, führte eine Wende herbei und gestaltetet Konzerte mit Werken von Mozart, Verdi, Wagner und Richard Strauss. Im Studio 1 begann er die Reihe der Münchner Funkkonzerte. Seine Nachfolger bauten diesen Weg aus und Sänger wie Theo Adam, René Kollo, Agnes Baltsa, Hermann Prey, Leonie Rysanek, Marjana Lipovšek und Simon Estes wurden als Gastsolisten geladen.
In den 1970er- und 1980er-Jahren wurden mit dem Orchester zahlreiche Gesamtaufnahmen von Opern produziert. Chefdirigent war ab 1975 Heinz Wallberg. Er dirigierte das Orchester im Bayreuther Festspielhaus zum 50. Todestag von Siegfried Wagner. Auch stöberte er vergessene Bühnenwerke auf wie etwa Singspiele von Franz Schubert.
Lamberto Gardelli, der 1982 die Leitung des Orchesters übernahm, gestaltete seine Sonntagskonzerte mit wenig gehörten Kompositionen von Gottfried von Einem und Ralph Vaughan Williams. Unter den acht Opern, die er mit dem Orchester aufnahm, fanden sich Werke wie Christoph Willibald Glucks Le cinesi und Georges Bizets Djamileh.
Giuseppe Patané, der 1988 nachfolgte, konnte aufgrund seines frühzeitigen Todes 1989 nur vier Auftritte des Orchesters leiten. Es folgten drei Trauerjahre, bis zum 40-jährigen Bestehen des Orchesters Roberto Abbado die Chefposition übertragen bekam.
Die existenzielle Frage, die in der Vergangenheit nur ab und an zur Debatte gestanden hatte, sich aber in den 1990er-Jahren mit zunehmender Dringlichkeit stellte, war die Profilierung des Rundfunkorchesters gegenüber dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Roberto Abbado hatte den Ehrgeiz, sich mit seinen Musikern dem Symphonieorchester ebenbürtig zu erweisen. So nahm er Werke wie Paul Hindemiths Oper Harmonie der Welt oder Darius Milhauds Konzertsuite Scaramouche in seine Programme auf.
Sein Nachfolger wurde 1998 Marcello Viotti. Ihm kam die Aufgabe zu, das Orchester in ein neues Jahrhundert zu geleiten mit neuen Wünschen und neuen Erwartungen, auch von Seiten des Publikums. Neue Formate mussten gefunden werden. „Vorhang auf!“ und „Mittwochs um halb neun“ wurden die neuen Reihen überschrieben. Auch die Reihe „Paradisi gloria“ wurde ins Leben gerufen. In Zusammenarbeit mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks wurde in der Herz-Jesu-Kirche in München geistliche Musik des 20. und dann auch des 21. Jahrhunderts aufgeführt.
2004 geriet das Orchester in eine tiefe Krise. Das Orchestersterben, das in den 1990er-Jahren über Deutschland hinwegfegte, bedrohte auch das Münchner Rundfunkorchester. Der Bayerische Rundfunk beschloss, das Orchester bis Ende 2006 aufzulösen. Als die Entscheidung bekannt wurde, erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Der Freundeskreis des Orchesters begann eine Unterschriftenaktion, und zahlreiche Musikerkollegen protestierten gegen die Auflösung. Tatsächlich hatten die Aktivitäten Erfolg. Der Bayerische Rundfunk gab dem Orchester in verkleinerter Form eine neue Chance. Viotti erlebte diese Wendung allerdings nicht mehr. Am 16. Februar 2005 war er bei einer Probe mit dem Orchester zu einer konzertanten Aufführung von Jules Massenets Manon Lescaut zusammengebrochen und wenige Tage darauf verstorben.
Als neuer künstlerischer Leiter wurde 2006 Ulf Schirmer verpflichtet. Als eine seiner kreativsten Erfahrungen bezeichnete er seine Zusammenarbeit mit den Musikern. So brachte er etwa Walter Braunfels Oper Verkündigung im Prinzregententheater zur Wiederaufführung, wofür es erst notwendig war, Notenmaterial herzustellen. Die Vorbereitung des Projekts hatte mehrere Jahre in Anspruch genommen. Zudem wurden unter seiner Leitung die Kinder- und Jugendkonzerte unter dem Motto „Klassik zum Staunen“ mit einem umfangreichen pädagogischen Programm ausgebaut. Und mit dem Motto „Antipasto“ wurde eine Reihe öffentlicher Proben überschrieben.
Seit 2017 lenkt Ivan Repušić als Chefdirigent die Geschicke des Münchner Rundfunkorchesters. Und mit ihm feiert das Orchester auch sein 70. Jubiläum.
Am 3. April 2022 bringt das Münchner Rundfunkorchester unter Ivan Repušić in seiner Reihe der Sonntagskonzerte im Münchner Prinzregententheater die Oper La Wally von Alfredo Catalani konzertant zur Aufführung. Weitere Informationen dazu unter: www.rundfunkorchester.de
Am 6. April 2022 spielt das Münchner Rundfunkorchester unter Joseph R. Olefirowicz in seiner Reihe der Mittwochskonzerte im Münchner Prinzregententheater unter dem Motto „Zauber schöner Melodien“ Radiomusiken der 1950er-Jahre. Weitere Informationen dazu unter: www.rundfunkorchester.de
Am 6. Mai 2022 findet in der Münchner Herz-Jesu-Kirche eine neue Folge der Reihe „Paradisi gloria“ statt. Unter der Leitung von Ivan Repušić bringen Solisten, der Chor des Bayerischen Rundfunks und das Münchner Rundfunkorchester Five Mystical Songs von Ralph Vaughan Williams und Magnificat von John Rutter zur Aufführung. Weitere Informationen dazu unter: www.rundfunkorchester.de
Und am 1. Juni 2022 erklingen in der Reihe der Mittwochskonzerte des Münchner Rundfunkorchesters unter der Leitung von Frank Strobel im Münchner Prinzregententheater unter dem Motto „Vom Schwarzwald nach Hollywood“ Filmmelodien der 1950er-Jahre. Weitere Informationen dazu unter: www.rundfunkorchester.de