KlassikWoche 09/2020

Netrebko wird teurer, Halle handelt – und pinkeln mit Liszt

von Axel Brüggemann

24. Februar 2020

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit der aktu­ellen Meldung, dass die Mailänder Scala nach den Corona-Fällen in Italien vorüber­ge­hend geschlossen wurde, mit einer Preis-Debatte an der und mit einem geschei­terten Twitter-Schwei­ge­ge­lübde.

WAS IST 

Die schönsten Twitter-Beiträge zum

NACH DEM BALL IST VOR DER PREIS­ER­HÖ­HUNG

Der Wiener Opern­ball (Foto oben: und bei der Eröff­nung) ist weit­ge­hend ohne Skan­dale über die Bühne gegangen. Die Über­tra­gung des ORF wurde in den sozialen Medien fast lustiger kommen­tiert, als der Opern­ball von den ORF-Kommen­ta­toren unter dem Opern­haus-Dach (s.o.). Öster­reich-Präsi­dent Alex­ander Van der Bellen, der sich vor dem Ball in vollem Ornat und mit Mickey-Mouse-Lektüre foto­gra­fieren ließ, war der eindeu­tige Social-Media-Gewinner. Aber nun stellt sich heraus: Nach dem Ball ist vor der Preis­er­hö­hung! Die Wiener Staats­oper, bzw. die Bundes­theater-Holding, denkt laut darüber nach, eine „dyna­mi­sche Preis­ge­stal­tung“ einzu­führen. Auf gut Öster­rei­chisch bedeutet das: Wenn die Netrebko singt, werden die Tickets teurer! „Wir hinken da in unserem Handeln dem Markt hinten­nach“, sagt Holding-Chef Chris­tian Kircher. Das Absurde ist: Selbst Top-Künstler sind nie nur durch Ticket­ver­käufe (schon jetzt oft mehr als 200 Euro!) zu refi­nan­zieren – erst Recht nicht, wenn sie mit großem Orchester, Chor und Ballett auftreten. Auch die Netrebko lebt – so oder so – von Steu­er­gel­dern und nicht von den wenigen Opern-Reichen. Anders­denken tut not! Statt die Preise für das Gute zu erhöhen, könnte man auch die Gagen der Guten etwas senken. Warum nehmen wir die inter­na­tio­nale Decke­lung der Sänger-Gagen an staat­li­chen Häusern nicht ernst? Denn nirgends ist die Kluft für zwei gleiche Jobs so groß wie in der Oper: Der Stadt­theater-Sopran verdient unter 2.000 Euro monat­lich, der Staats­opern-Sopran-Gast geschätzt über 20.000 Euro an einem Abend. 

SANI­fair IM LISZT-HAUS

Nach den letzten Bayreu­ther Toiletten-Texten bekamen wir jetzt folgende Info zuge­spielt: Der Toiletten-Fimmel der Bayreu­ther geht weiter! Die Partei „Die Unab­hän­gigen“ hat im Stadtrat Protest gegen die geplante Sanie­rung des Franz-Liszt-Museums einge­legt. Warum solle man ein Museum reno­vieren, in das eh keiner rein­gehe, war die ernst­hafte Frage von Lokal­po­li­tiker Helmut Zartner. Statt das Museum zu sanieren, solle man doch lieber Toiletten bauen: Warum werde so ein Toten­kult betrieben und nichts für die Lebenden getan. Puh! Es ist wahr, dass die Beliebt­heit einer Stadt an der Notdurft-Menge seiner Touristen abzu­lesen ist. Aber die kommen für ihr Geschäft eben nur in die Stadt, wenn hier vorher schon andere (am besten Promis!) gepin­kelt haben. Wie wäre es mit einem Kompro­miss? Zum Beispiel einem Extra-Zimmer im Liszt-Museum: „Hier war das Klo von Liszt, für 70 Cent können auch Sie hier Ihr Geschäft verrichten und bekommen 50 Cent Ermä­ßi­gung auf den Muse­ums­be­such.“ So macht man aus … na ja, Sie wissen schon: Gold!

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32 x Beet­hoven – Jetzt die neuen Folgen anhören!

Er wird für sein Beet­hoven-Spiel gefeiert. In seinem Podcast nimmt uns Igor Levit mit auf eine Reise durch die 32 Klavier­so­naten.
Spontan, persön­lich und mit vielen Musik­bei­spielen.

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HELLAU IN

Seit es diesen News­letter gibt, begleiten wir das Hick-Hack am Theater Halle: der Raus­wurf von Opern­di­rektor Florian Lutz, Mobbing-Vorwürfe und zuletzt das früh­zei­tige Ende der Gene­ral­mu­sik­di­rek­torin . An allem, so heißt es aus dem Ensemble in Halle, sei der ehrgei­zige Geschäfts­führer Stefan Rosinski schuld – und der musste nun endlich selber den Hut nehmen. Der mdr berichtet: „Der Aufsichtsrat der TOOH entscheidet, dass der Vertrag von Geschäfts­führer Stefan Rosinski nicht verlän­gert wird. Er läuft bis Sommer 2021. Zunächst ist unklar, ob Rosinski bis Vertrags­ende im Amt bleibt. Über das weitere Vorgehen will der Aufsichtsrat, dem Ober­bür­ger­meister Bernd Wiegand vorsteht, in seiner Sitzung Ende März entscheiden.

SCHLICHTET BLÜM IN ?

Auch der Thea­ter­streit in Essen beschäf­tigt uns schon einige Wochen. Ein Ende ist nicht abzu­sehen. Ende März soll weiter verhan­delt werden, even­tuell unter Leitung von Norbert Blüm und EU-Kommis­sarin Monika Wulf-Mathies, wie die WAZ berichtet: „In der Ausein­an­der­set­zung zwischen den Beschäf­tigten der Essener Theater und Phil­har­monie (TuP) und Geschäfts­führer Berger Berg­mann haben sich nun auch die großen Künstler-Gewerk­schaften zu Wort gemeldet. In einer gemein­samen Stel­lung­nahme fordern die Deut­sche Orches­ter­ver­ei­ni­gung (DOV), die Genos­sen­schaft Deut­scher Bühnen Ange­hö­riger (GDBA), die Verei­ni­gung deut­scher Opern­chöre und Bühnen­tänzer (VJO) und die Gewerk­schaft Verdi nun ein externes Spezia­lis­ten­team, das die von den Mitar­bei­tern erho­benen Vorwürfe gegen Geschäfts­führer Berg­mann klären soll.

WAS WAR

Haydn durfte noch ohne Visum nach London kommen – hier bei der „Wasser­musik“.

MUSIKER-VISA FÜR ?

Wie so vieles nach dem Brexit ist auch die Frage nach Musiker-Visa bislang nicht geklärt. Die Seite poli​tico​.de berichtet, dass mit dem Ende der Frei­zü­gig­keit 2021 auch Arbeits­visa für Musiker fällig werden könnten: „…sowohl EU als auch Nicht-EU-Künstler würden dann ein ‚tier 5 visum‘ benö­tigen, um im United Kingdom aufzu­treten, an Wett­be­werben oder Vorspielen teil­zu­nehmen…

LEVIT ZIEHT SICH ZURÜCK – FAST

Nach dem VAN-Text über Igor Levits Öffent­lich­keits­ar­beit in der letzten Woche stellt sich diese Woche die Frage: Igno­rieren oder kommen­tieren? Der Anlass ist tragisch: Nach den grau­en­vollen, verstö­renden und rassis­ti­schen Morden in twit­terte Levit spürbar geschockt, dass er sich eine Auszeit von Twitter verordnet: „Es ist heute etwas Funda­men­tales in mir kaputt­ge­gangen. Gebro­chen. Und irgendwie wird das Leben dazu führen, dass etwas Neues nach­wächst. Bis dahin ist inneres Heilen und Sammeln essen­tiell. Kein Twitter, nichts.“ Das „Nichts“ dauerte aller­dings keinen Tag, bis Levit – eben­falls auf Twitter – nach­schob: „Und ich hoffe so sehr, dass es uns und unserem Land gelingt, zu heilen.“ Noch am selben Tag verschickte er dann Musik auf Twitter, und keine 24 Stunden später rech­nete er schnell noch mit BILD-Chef Julian Reichelt ab, um wenige Stunden später einen anderen Jour­na­listen, Chris­tian Bangel, zu loben. Dann teilte er noch schnell mit (hier im O‑Ton): „wich­tige Gefühl, nicht allein zu sein. Nicht allein­ge­lassen zu werden. Lest ihn, folgt ihm.“ Läuft perfekt mit der funda­men­talen Twitter-Ankün­di­gung, sich nach innen zurück­zu­ziehen und mit dem Twit­tern zu pausieren. Aufmerk­sam­keit? Garan­tiert!

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LA FENICE VON FLUT BEDROHT

Die Stutt­garter Nach­richten haben einen dpa-Text über die Folgen des November-Hoch­was­sers für das vene­zia­ni­sche Opern­haus La Fenice veröf­fent­licht. Die Technik funk­tio­niert wieder, aber die wich­tigste Vorkeh­rungs­maß­nahme ist: die Hoff­nung. „ … die Technik steht nun wie vor dem Hoch­wasser im Keller des Hauses. Zwar wurden auch hydrau­li­sche Pumpen ange­schafft – die elek­tri­schen hatten im Hoch­wasser ihren Geist aufge­geben. Aber die gesamte Stadt ist für den anstei­genden Meeres­spiegel durch den Klima­wandel und häufi­gere Fluten nicht gut gerüstet. In der ‚Feniceist man bis zu einem Hoch­wasser von 184 Zenti­meter über dem normalen Meeres­spiegel vor Fluten geschützt, erklärt eine Spre­cherin. Im November stieg das Wasser aber auf 187 Zenti­meter – drei Zenti­meter zu viel.“

SCHWEN­KOWS BEAU­TY­FARM

Eigent­lich ist der brand-eins-Text über den Klassik-Unter­nehmer, den Erfinder des Klassik-Pops und den Berliner Konzert­ver­an­stalter Peter Schwenkow unter dem Titel „So bastle ich mir einen Star“ bereits 2011 erschienen. Nun wird er in der Klassik-Szene in Social-Media-Netz­werken erneut gepostet – und erfri­schend lustig kommen­tiert: Sängerin Daniela Fally teilt den Text mit einem Ausru­fe­zei­chen, und Tenor , der nicht zuletzt mit seinem Album „MozArt“ vorge­macht hat, wie man sich selber vermarktet (und wie anstren­gend das ist), schreibt amüsiert: „Nicht üben… ab in die Beau­ty­farm.“ Peter Lauden­bach erklärte in seinem Text Schwen­kows Geschäfts­mo­dell und fand nicht nur Kriti­sches, sondern auch Nach­denk­li­ches daran, dass Schwenkow bereits eine neue Klassik-Vision hatte, als die Plat­ten­firmen noch gar nicht daran gedacht haben. Wenn man den Text neun Jahre nach der Veröf­fent­li­chung liest, könnte man – trotz des Abge­sangs – denken, dass 2011 noch ein goldenes Jahr der Klassik war.

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

https://​www​.face​book​.com/​b​a​r​o​q​u​e​4​y​o​u​/​v​i​d​e​o​s​/​1​8​6​4​8​4​0​0​9​0​8​5​4​7​3​/​?​t=0

Eine Katze bringt die Musiker bei einem Konzert in durch­ein­ander.

Ihre Briefe, liebe Klassik-Woche-Lese­rInnen haben gezeigt, dass Sie auch nicht anders ticken als andere Leser: Selten haben wir mehr Rück­mel­dungen als zur Play­list für Katzen gehabt, die MET-Chef­di­ri­gent heraus­ge­bracht hat. Zum Glück bringt er seine Tiere nicht mit zum Konzert – denn dann könnte so etwas passieren wie neulich bei einem Konzert in Istanbul, in dem eine Muschi die Musiker irri­tierte. +++ Erneute Kritik an . Eine slowa­ki­sche Zeitung berich­tete, dass der russi­sche Diri­gent zu wenig Zeit hatte, um Rodion Shche­drins Oper „Lolita“ einzu­stu­dieren – und so diri­gierte der Diri­gent der Urauf­füh­rung, Sergey Neller, die Auffüh­rung in von der Seiten­bühne aus mit. +++ Es gibt inzwi­schen ja sehr viele Musik-Podcasts – und da ist es wie bei anderen Podcasts auch: Es wird mal besser und mal schlechter geredet, debat­tiert und Werbung gemacht, je nach Anbieter. Aber der Podcast von scheint eher ein heim­li­ches Expe­ri­ment mit der Frage­stel­lung zu sein, was passiert, wenn Musik einem das Gehirn weich­ge­schmolzen hat – seine SWR-„Midnight-Lounge“ mit erin­nert jeden­falls eher an ein Neue-Musik-Happe­ning, dem man viel­leicht zehn Minuten, aber sicher keine zwei Stunden folgen kann. +++ Seinen 80. Geburtstag hat Diri­gent am Opern­ball-Tag im gefeiert. Zuvor gab er der FAZ ein Inter­view und lobte sein Vorbild : „… und sie (die histo­risch infor­mierte Auffüh­rungs­praxis Anm. d. Red.) hat mich beein­flusst! – Vor allem durch die wirk­lich krea­tiven Vertreter dieser Rich­tung wie Niko­laus Harnon­court (…). Aber man sollte daraus kein Dogma machen – wie es auch Harnon­court selbst nicht getan hat. Für mich wirkte er gerade dann beispiel­ge­bend, wenn er (…) Orchester diri­giert hat, die auf modernen Instru­menten spielen: weil da zu hören war, dass ‚Klang­rede‘ eben keine Frage eines bestimmten Mediums, sondern eine der geis­tigen Haltung war.“ 

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif.

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de