Ambur Braid (Rachel; links unten sitzend) und Monika Buczkowska (Eudoxie; halbrechts stehend in hellem Kostüm) sowie Ensemble in "La Juive", Oper Frankfurt 2024

News | 17.06.2024

„La Juive“ an der Oper Frank­furt packend insze­niert

von Redaktion Nachrichten

17. Juni 2024

Tatjana Gürbacas psycho­lo­gisch ausge­feilter Zugriff auf From­ental Halévys poli­tisch brisante Grand opéra „La Juive“ fand am Sonn­tag­abend im Frank­furter Opern­haus lebhafte Zustim­mung, provo­zierte aber auch einige kräf­tige Buhs. Dabei gelang es der Berliner Regis­seurin meis­ter­lich, den uner­bitt­li­chen Sog der ebenso komplex wie modern ange­legten Haupt­fi­guren in eine kollek­tive Gewalt­spi­rale hinein nach­voll­ziehbar heraus­zu­ar­beiten. Seit dem Verbot der Nazis nicht mehr in Frank­furt am Main gespielt, kann sich Bernd Loebes Haus jetzt mit einer packend insze­nierten Wieder­ent­de­ckung von „La Juive“ schmü­cken, die einst eine der belieb­testen Opern des 19. Jahr­hun­derts war.

"La Juive"

„La Juive“

Enge, Über­be­le­gung und Ausweg­lo­sig­keit während des Konstanzer Konzils 1414 spie­geln sich in Klaus Grün­bergs albtraum­haften, baby­lo­ni­schen Turm­ge­rüst wider, das keine Intim­sphäre zulässt. In dieser qual­vollen Engfüh­rung insze­niert Gürbaca nicht nur die vielen Lynchmob-Szenen des viel gefor­derten, exzel­lenten Chores mit exqui­siter Könner­schaft, sondern auch die multi­plen persön­li­chen Krisen.

Allen voran macht das eins­tige Ensem­ble­mit­glied Ambur Braid ihre Rachel zu einer heutigen Frau von Fleisch und Blut, die sich auch hand­greif­lich gegen die Untreue und die Lügen Léopolds zu wehren versteht und am Ende voller Über­zeu­gung in den Flam­mentod geht. Tenor John Osborn als ihr jüdi­scher Vater Éléazar mit der brisan­testen Rolle betraut, da sie in ihrer vermeint­li­chen Rach­süch­tig­keit leicht in die Shylock-Schub­lade geraten kann, riss das Haus zu langem Szenen­ap­plaus hin, als er die tiefe Liebe zu seiner ange­nommen Tochter Rachel bekun­dete.

Monika Bucz­kowska über­drehte ihre Eudoxie raffi­niert bis zur Figu­rine einer Opera Comique, ebenso wie Gerard Schneider, der seinem sinn­li­chen Léopold bisweilen die Züge eines Operet­ten­kö­nigs verlieh. Neben den von Tilman Michael über­ra­gend dispo­nierten Christen und Juden-Chören galt beson­deres Lob Gast­di­ri­gent Henrik Nánási, der drei­ein­halb Stunden lang Höchst­span­nung garan­tierte: Sowohl die lyri­schen Ariosi der Belcanto-Linien als auch die drama­ti­schen Zuspit­zungen der unzäh­ligen Chorta­bleaus stat­tete er mit immer neuer, überaus reicher Farb­pa­lette aus.

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Fotos: Monika Rittershaus