KlassikWoche 23/2019

Pereira bangt in Mailand, Baren­boim in Berlin, Thie­le­mann in Salz­burg

von Axel Brüggemann

3. Juni 2019

Das Klassik-Karussell dreht sich gewaltig. Lesen Sie über den Stand der Dinge in Mailand, Berlin und Salzburg. Außerdem: Die kulturpolitischen Grabenkämpfe werden radikaler – ein Blick auf die Theaterpolitik im Osten.

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

das Klassik-Karus­­sell dreht sich gewaltig. Lesen Sie über den Stand der Dinge in Mailand,  und Salz­burg. Außerdem: Die kultur­po­li­ti­schen Graben­kämpfe werden radi­kaler – ein Blick auf die Thea­ter­po­litik im Osten. 

WAS IST

PERSO­NAL­KA­RUS­SELL I: MAILAND

In Mailand wollte Inten­dant Alex­ander Pereira einen Millionen-Deal mit den Scheichs aus Saudi-Arabien abwi­ckeln, bis er von Kriti­kern und der Politik zurück­ge­pfiffen wurde. Eigent­lich sollte seine Vertrags­ver­län­ge­rung längst unter­schrieben sein. Doch die Politik lässt Stichtag um Stichtag verstrei­chen. Der Unwille zur Vertrags­ver­län­ge­rung ist inzwi­schen derart offen­sicht­lich, dass gemun­kelt wird, man sehe sich in Mailand nach einem neuen Chef um. Hoff­nung, etwa für den schei­denden Wiener Opern­in­ten­danten Domi­nique Meyer? Dabei hat Pereira (so streitbar er ist) in dieser Saison tatsäch­lich einige span­nende Produk­tionen gezeigt. Gerade ging Die Tote Stadt von Korn­gold mit  über die Bühne und wurde von Chris­tian Wild­hagen in der NZZ beju­belt. Die neue Saison eröffnet Pereira am 7. Dezember mit der Original-Ausgabe der Tosca von 1900 – in der Titel­rolle  wird diri­gieren. Frag­lich, ob ihm diese Scoups am Ende noch den Job retten werden. 

PERSO­NAL­KA­RUS­SELL II: BERLIN

Gleich zwei Perso­na­lien bewegen Berlin. Profes­soren und Künstler der Musik­hoch­schule  protes­tieren gegen die Abset­zung des alten Rektors Robert Ehrlich – er habe gute Arbeit geleistet, die Bezie­hungen zum Senat verbes­sert, die Gehälter ange­hoben und die Exzel­lenz geför­dert. Große Namen wie die Cellisten  und Claudio Bohór­quez, der Geiger Kolja Blacher, der Pianist , die Sängerin Chris­tine Schäfer, die Brat­schistin Tabea Zimmer­mann und die Hornistin Marie-Luise Neunecke haben einen offenen Brief gegen seine Abwahl formu­liert – ein Affront gegen die desi­gnierte Hoch­­­schul-Leiterin Sarah Wedl-Wilson. Viel­leicht ist all das aber auch nur ein weiteres Beispiel, was passiert, wenn man Head­hun­tern in der Kultur das Feld über­lässt. Auch an der Staats­oper Unter den Linden ist die Situa­tion weiterhin offen: Kultur­se­nator Klaus Lederer verschiebt sein Bekenntnis zu Daniel Baren­boim immer wieder. So lange, dass Frederik Hanssen im Tages­spiegel bereits über einen Nach­folger speku­liert – etwa . Aber wäre der Unter­stützer des vene­zo­la­ni­schen Terror-Regimes poli­tisch nicht noch unkor­rekter? 

PERSO­NAL­KA­RUS­SELL III: SALZ­BURG

Auch die Salz­burger Oster­fest­spiele müssen uns an dieser Stelle noch einmal beschäf­tigen. Inzwi­schen ist sicher, dass die Situa­tion viel vertrackter ist als gedacht: Niko­laus Bachler hat, wie wir erfahren haben, seinen Vertrag als Inten­dant längst unter­schrieben. Zu einem orga­ni­sa­to­ri­schen Treffen zwischen Bachler und Chris­tian Thie­le­mann, der dem neuen Inten­danten zunächst zustimmte, um ihn dann zu bekämpfen, ist es noch nicht gekommen. Zwei Giga-Egos krachen da aufein­ander. Bachler, so hört man, akzep­tiert als Ort für ein Treffen nur Salz­burg oder , während Thie­le­mann sich unbe­ein­druckt zeigt und in Öster­reich Sympa­thie­punkte einsam­melt – unter anderem durch seine Frau ohne Schatten und durch bewusst gut gelaunte Auftritte in Fern­seh­sen­dungen des ORF. Einer von beiden wird früher oder später gehen müssen. Thie­le­manns Vertrag läuft noch bis 2022, ob Bachler vorher noch abspringt – wenn ja, wird es teuer werden.

WAS WAR

AfD WILL SACH­SENS THEATER VERÄN­DERN

Im vorletzten News­letter hatten wir bereits berichtet, wie die AfD sich in die Spiel­plan­ge­stal­tung am Mittel­säch­si­schen Theater einge­mischt hat. Nun, nach der im Osten erfolg­rei­chen Euro­pa­wahl und vor den anste­henden Wahlen in Bran­den­burg,  und  verschärft sich der Ton. Die AfD in Sachsen formu­liert ihr Kultur­kon­zept (und das ist leider kein Witz!) so: „Kultur darf kein Tummel­platz für sozio­kul­tu­relle Klien­tel­po­litik sein.“ Sie müsse „Spiegel des Selbst­ver­ständ­nisses der säch­si­schen Bürger sein“. Weshalb die AfD sich „gegen ein einseitig poli­tisch orien­tiertes, erzie­he­ri­sches Musik- und Sprech­theater wendet, wie es derzeit auf säch­si­schen Bühnen prak­ti­ziert wird.“ Lesens­wert dazu die Einord­nung des Dresdner Jour­na­listen Martin Morgen­stern, der den AfD-Poli­­tiker Gordon Engler zitiert: „Neumo­di­sche Extra­va­ganzen passen einfach besser zu einer Stadt wie Berlin. Dresden und seine altein­ge­ses­sene Bürger­schaft sind für eine Groß­stadt vergleichs­weise konser­vativ geprägt. Inso­weit gilt es auf den Geschmack und die Inter­essen der Bürger Rück­sicht zu nehmen. Die exzen­tri­sche Rand­grup­pen­kunst sollten wir daher gerne und Berlin über­lassen.“ Ich nehme in diesem News­letter selten poli­tisch Stel­lung, und das ist in diesem Fall eigent­lich auch nicht nötig. Es wird leider sofort klar: Wer AfD wählt, versün­digt sich an dem, was die Kultur­na­tion Deutsch­land seit jeher so erfolg­reich gemacht hat – Offen­heit, Meinungs­viel­falt, Provo­ka­tion und Reibung. Und es ist schwer zu verstehen, dass ausge­rechnet ein Künstler wie der Cellist Matthias Moos­dorf auf seiner Face­­book-Seite stolz drauf aufmerksam macht, dass er persön­lich diesen Quatsch erfunden habe, den die AfD Sachsen „Eins zu eins über­nommen“ hätte.

EKLAT AM THEATER 

In poli­tisch radi­kalen Zeiten werden auch die Angriffe auf Thea­ter­ma­cher immer direkter. Das musste nun die Inten­dantin des Thea­ters Ansbach, Susanne Schulz, erfahren, als der Vorsit­zende des Aufsichts­rates des Thea­ters, Herbert Matijas, bei der Spiel­plan­prä­sen­ta­tion unauf­ge­for­dert das Wort ergriff und sie und ihre Mitar­beiter mit einer „Plage“ verglich. Gegen­über Radio 8 reagierte Schulz gelassen: „So was sagt ja oft mehr über den Spre­cher als über den, der annon­ciert wird.

SPIELEN AGEN­TUREN MIT HOFF­NUNGEN?

Ich wurde mehr­fach darauf ange­spro­chen, warum ich im letzten News­letter nicht über einen Artikel im VAN-Magazin berichtet habe, in dem es um eine Künst­ler­agentur ging, die angeb­lich mit betrü­ge­ri­schen Machen­schaften die Hoff­nungen jungen Künstler ausnutze. Dazu nur dieses: Ich mag den inves­ti­ga­tiven Jour­na­lismus des VAN Maga­zins wirk­lich sehr, aber dieser Beitrag, den ich hier bewusst nicht verlinke, war bereits beim ersten Lesen zu offen­sicht­lich persön­lich getrieben und Teil eines Rache­feld­zuges. Nun ist auch BR Klassik auf dieses Thema aufge­sprungen – und schafft es wenigs­tens, die betrof­fene Agentin zu Wort kommen zu lassen. Viel­leicht wäre es wirk­lich ein über­fäl­liger Text, über die große Spanne zu schreiben, die zwischen den Erwar­tungen junger Künstler nach Öffent­lich­keit und Enga­ge­ments und der realen Konzert- und Medi­en­welt liegt, die diese Erwar­tungen kaum einlösen kann. Oder anders ausge­drückt: Einen Agenten zu enga­gieren, kann helfen, ist aber selten Garantie dafür, dass PR und Aufträge plötz­lich aus dem Nichts kommen. 

AUF UNSEREN BÜHNEN

Judith Aram (Vorsit­zende des Bundes für Szen­o­grafen) und Annemie Vana­ckere (Inten­dantin des Hebbel am Ufer) fordern eine Frau­en­quote für deut­sche Opern­häuser. Grund: Frauen seien sensa­tio­nell schlecht vertreten; keine der geplanten Premieren der Staats­oper Berlin und der Deut­schen Oper stammten von einer Frau. +++ Die austra­li­sche Oper kündigt für 2020 einen voll­kommen digi­talen Ring des Nibe­lungen in Bris­bane an, in dem Regis­seur Chen Shi-Zheng Wagners Tetra­logie in LED-Anima­­tionen in Szene setzen soll. +++ Letzte Woche haben wir darüber geschrieben, dass nicht die Urauf­führer, sondern jene, die ein neues Werk zum zweiten oder dritten Mal aufführen, die wahren Helden der Musik sind. Vorbild­lich das  Phil­har­monic Orchestra, das, gemeinsam mit , John Cori­glianos 1. Symphonie wieder­auf­ge­führt hat – ein beklem­mendes Werk, in dem der Kompo­nist jenen Freunden gedenkt, die vom HI-Virus dahin­ge­rafft wurden. +++ Udo Badelt verreißt im Tages­spiegel die Don Quichotte-Insze­nie­rung von Jakop Ahlbom an der Deut­schen Oper in Berlin.

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Sie war eine Neuden­kerin, hatte ästhe­ti­sches Gespür und einen Blick für das Neue und Andere. Eva Klei­nitz, Inten­dantin der Opéra national du Rhin in Straß­burg, zuvor unter anderem Opern­di­rek­torin in Stutt­gart, galt als eine der wich­tigsten und besten Opern-Leite­rinnen. Nun ist sie nach schwerer Krank­heit mit nur 47 Jahren viel zu früh verstorben. +++ Wer hätte das gedacht: US Präsi­dent Donald Trump hat dem neuen japa­ni­schen Kaiser Naru­hito ein kultu­relles Geschenk gemacht: eine Brat­sche von 1938 aus Virginia +++ Noch eine absurde Meldung gefällig? Thomas Gott­schalk über­nimmt die Schirm­herr­schaft des Winds­ba­cher Knaben­chores. +++ Und noch Mal Klatsch und Tratsch gefällig?  hat gehei­ratet – ein opulentes Fest im Schloss , unter anderem gehörte der chine­si­sche Konzert­ver­an­stalter Jiatong Wu zu den Gästen. +++ Jan Raes, Direktor des Royal Concert­ge­bouw Orchestra, wird das Ensemble Ende des Jahres verlassen – Norman Lebrecht vermutet, dass er seinen Hut nehmen muss, weil er die Tren­nung von Daniele Gatti voran­ge­trieben hatte.

WAS LOHNT

Als Miec­zysław Wein­bergs Oper Die Passa­gierin in  aufge­führt wurde, begann eine bemer­kens­werte Renais­sance des viel zu lange verges­senen Kompo­nisten. Er musste vor den Nazis aus nach Moskau fliehen, traf hier Schost­a­ko­witsch und befreun­dete sich mit ihm. Aber auch das anti­se­mi­ti­sche Stalin-Régime inhaf­tierte Wein­berg (er sollte angeb­lich eine jüdi­sche Repu­blik auf der Krim geplant haben). In der kommenden Saison wird unter anderem das Gewand­haus in Leipzig einen Wein­­berg-Zyklus zu dessen 100. Geburtstag auf die Beine stellen. Ein Höhe­punkt dabei: der Auftritt von  und Martha Arge­rich. Der Geiger Gidon Kremer, der sich seit jeher für Wein­berg stark macht, leitet das Jubi­lä­ums­jahr mit einer bemer­kens­werten Aufnahme der 24 Preludes von Wein­berg ein. „Diese Musik braucht Inti­mität und Ruhe, um auf uns zu wirken“, verrät Kremer meiner Kollegin Corina Kolbe in der neuen Ausgabe von CRESCENDO, die ich Ihnen natür­lich eben­falls ans Herz lege. Im neuen Heft lesen Sie auch einen Schwer­punkt über Musik und Mode, für den Teresa Pieschacón Raphael sich unter anderem mit Chris­tian Lacroix unter­hält. 

In diesem Sinne halten Sie die Ohren steif

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Wiki Commons