Peter Simonischek
»wie sie enden wird, weiß ich nicht«
von Ruth Renée Reif
22. November 2022
Robert Musils »Nachlass zu Lebzeiten«, eingelesen von Peter Simonischek, Peter Matić, Birgit Minichmayr u.a. und bibliophil ediert in einer Box mit einer MP3-CD und zwei Booklets, wurde vom Hessischen Rundfunk zum Hörbuch des Jahres 2022 erkoren.
Als Robert Musil im April 1942 im Schweizer Exil starb, wurde sein Tod in Berlin nicht einmal gemeldet. Man hatte ihn vergessen. So war der 1935 im Humanitas-Verlag in Zürich erschienene Band Nachlass zu Lebzeiten ein letzter Versuch gewesen, sich wieder in Erinnerung zu bringen. Musils Biograf Herbert Kraft wertet ihn als Reaktion auf einen Artikel, den der Schriftsteller und Mäzen Carl Seelig am 28. Juni 1933 im Berner Tagblatt über den „vor wenigen Jahren gestorbenen Kärntner Robert Musil“ schrieb, der wie Kafka erst durch seine postum veröffentlichten Arbeiten berühmt geworden sei.
Der Band gliedert sich in vier Teile. Der erste mit „Bildern“ überschriebene metaphorische Teil enthält Texte aus der Zeit zwischen den Kriegen. Das Prosastück Die Maus veranschaulicht die Sinnlosigkeit des Krieges: „Die Schüsse … schlugen weit hinten ein, wo nichts und niemand war, und verwüsteten dort mit eiserner Beharrlichkeit seit Monaten einen unschuldigen Abgang. Niemand wusste mehr warum.“ Der zweite mit dem Titel Unfreundliche Betrachtungen versammelt essayistische Texte.
Der dritte Teil mit Geschichten, die keine sind, beginnt mit dem allegorischen Märchen Der Riese AGOAG. Es handelt von einem Mann, der „den Aufstieg zur Kraft“ suchte und ein „umfassendes Streckenabonnement“ erträumte, und mündet in der männlichen Schicksalswahrheit: „Der Starke ist am mächtigsten allein!“ Es war Adolf Hitler, der dieses Zitat aus Friedrich Schillers Wilhelm Tell als Überschrift für das achte Kapitel von Mein Kampf wählte. Den vierten Teil des Buches bildet die verstörende Erzählung Die Amsel.
In bibliophiler Ausstattung hat der Sinus-Verlag 2021 eine Hörbuch-Edition von Nachlass zu Lebzeiten herausgebracht. Neben einer MP3-CD enthält sie zwei Booklets mit den Texten sowie mit Kommentaren und Essays, insgesamt 576 Seiten. Eingelesen wurden die Texte von Peter Simonischek, Peter Matić, Birgit Minichmayr, Martin Vischer und Dörte Lyssewski. Und so ist es mehr als verdient, dass die Box von Bayern 2, dem zweiten Hörfunkprogramm des Bayerischen Rundfunks, als Favorit und auf der hr‑2 Hörbuchbestenliste, der Hörbuchbestenliste des zweiten Hörfunkprogramms des Hessischen Rundfunks, als Hörbuch des Jahres 2022 ausgezeichnet wurde. „Selten liest und hört man so meisterhafte Prosa, selten erhält man zugleich so genaue Übersicht über deren Entstehung und Rezeption. Ein sensationelles Hör- und Lesevergnügen“, urteilte die Jury.
Der von Albert Bolliger in Kilchberg gegründete Verlag hat sich um die in der Schweiz entstandenen Werke Robert Musils bereits in der Vergangenheit große Verdienste erworben. 2017 brachte er die 4‑CD-Box mit Robert Musils Die Vollendung der Liebe und Die Versuchung der stillen Veronika heraus. Sie wurde ebenfalls von der hr‑2 Hörbuchbestenliste ausgezeichnet.