KlassikWoche 39/2019
Stein auf Stein in Rostock, Klappe zu in Salzburg
von Axel Brüggemann
23. September 2019
Dieses Mal mit einem endgültigen Haken hinter Dinge, die uns schon viel zu lange begleitet haben (z.B. die Osterfestspiele Salzburg), und mit allerhand Neuem … vor allen Dingen aber mit der Empfehlung eines ganz besonderen Albums von Marlis Petersen.
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
dieses Mal mit einem endgültigen Haken hinter Dinge, die uns schon viel zu lange begleitet haben (z.B. die Osterfestspiele Salzburg), und mit allerhand Neuem … vor allen Dingen aber mit der Empfehlung eines ganz besonderen Albums von Marlis Petersen.
WAS IST
NEUES VOLKSTHEATER FÜR ROSTOCK?
Nach 30 Jahren Debatte wird es nun konkret: Mehr als acht Stunden hat die Jury über die Vergabe des Neubaus der mit 110 Millionen Euro geplanten Spielstätte, des neuen Rostocker Volkstheaters, beraten. Am Ende setzte sich der Entwurf mit Skybar des Büros Hascher Jehle Assoziierte GmbH aus Berlin durch.
REVISION IM FALLE MAUSER
Wir haben viel über den Fall des ehemaligen Präsidenten der Münchner Musikhochschule, Siegfried Mauser, berichtet. Nun steht eine Revisionsverhandlung an. Mauser wurde wegen sexueller Nötigung in drei Fällen verurteilt. Die Süddeutsche Zeitung ist sicher, dass Mauser beim Bundesgerichtshof eine höhere Strafe als beim Münchner Landgericht droht. Die Bundesanwaltschaft sieht inzwischen den Vorwurf der Vergewaltigung erfüllt – und das würde bedeuten, dass sich Mausers Bitte, ihm die Freiheit zu lassen, eventuell nicht erfüllen wird. Alexander Strauch debattiert derweil weiter über die Festschrift zu Mausers Geburtstag, an der sich unter anderem Peter Sloterdijk, Nike Wagner, Peter Gülke und Jörg Widmann beteiligt haben und zeigt: dass es unter der jungen Generation durchaus Musiker gibt, die ihre Beiträge zurückgezogen haben.
SALZBURG UND ZDF UND THIELEMANN
Seit Wochen waren die Recherchen hinter den Kulissen der Salzburger Osterfestspiele Teil dieses Newsletters, ebenso wie die Information, dass Christian Thielemann sich wohl nicht gegen Nikolaus Bachler durchsetzen wird. Nach allerhand Schlammschlachten auf allen Seiten (geleakte Programmpläne, instrumentalisierte Journalisten und nächtliche SMS an Kritiker) sind die Würfel nun gefallen: Thielemann soll 2022 noch den Lohengrin dirigieren, von 2023 an soll Nikolaus Bachler allein die Geschäfte führen – Thielemann und die Staatskapelle Dresden müssen Salzburg verlassen. Diese Entscheidung scheint Thielemann in seinem Urlaub auf Sylt kalt erwischt zu haben. Während Bachler gegenüber der New York Times sagte: „The Drama is Over“, schickte Thielemann unter anderem Jürgen Kesting von der FAZ in die Spur, um von seiner Erschütterung zu berichten. Kesting, der die Salzburger Politiker frei nach Karl Kraus bereits als „Politbanditengesellschaft“ beschimpft hatte, wirft Bachler nun mit ebenfalls erschreckend historisch konnotiertem Vokabular eine „Machtergreifung“ vor. Wie auch immer: Bachler setzt zukünftig auf wechselnde Orchester (angeblich wurden bereits Gespräche mit dem Mariinski, dem Gewandhaus und den Berliner Philharmonikern geführt. Ob er die Berliner als eines der Wechsel-Orchester in Salzburg haben wolle, wurde Bachler von der New York Times gefragt, worauf er antwortete: „Das wäre mein großer Wunsch.“
Auch eine andere Meldung dieses Newsletters ist inzwischen erneut bestätigt: Die Morgenpost in Dresden hat weiterrecherchiert (Printausgabe) und bestätigt, dass sich auch das ZDF von 2020 an von Christian Thielemann und der Staatskapelle für das Silvesterkonzert trennen will. Hier will man ebenfalls zurück zu jenem Orchester, das die Dresdner einst ersetzt haben: zu den Berliner Philharmonikern. Das Tragische für Thielemann: Bei der Orchesterabstimmung über die Vertragsverlängerung votierten viele Musiker für ihn, weil mit ihm Salzburg und die ZDF-Übertragungen garantiert schienen. Wer sich dennoch mit Christian Thielemann beschäftigen möchte – das SZ-Magazin hat ein umfangreiches Interview mit ihm veröffentlicht, ganz ohne aktuellen Anlass.
WAS WAR
OPER DES JAHRES: STRASBOURG
Lotte Thaler ist in der FAZ begeistert von Philip Venables« Musikdrama nach Sarah Kane 4.48 Psychosis: „Venables« Musik, die sich synkretistisch zwischen Pop und Kammermusik bewegt und von Richard Baker hellwach dirigiert wird, ist nicht nur Krankheitsbefund, sondern auch Therapie: nach einem letzten Hass- und Gewaltausbruch gibt sie mit Kinderlied und Bachzitat der Hoffnung und dem Mitleiden Raum.“ Passend dazu die Nachricht, dass die Opéra national du Rhin in Strasbourg von der Zeitschrift Opernwelt zum Opernhaus des Jahres gewählt wurde – wenn auch mit tragischem Beigeschmack: als posthume Ehrung der viel zu früh verstorbenen Intendantin Eva Kleinitz.
AUF UNSEREN BÜHNEN
Martina Wohlthat bejubelt in der NZZ die Ensembleleistung bei der Basler Première von Luigi Nonos Al gran sole carico d’amore, schreibt aber auch: „Die Basler Inszenierung von Sebastian Baumgarten ist ein farbiges Plädoyer für Geschichtlichkeit – unter die grossen Tableaus mischt sich zuweilen aber auch ein Zuviel an kleinteiliger Handlung.“ +++ Uwe Friedrich bejubelt in Fazit von Deutschlandfunk Kultur das Rosenkavalier-Dirigat von Yoel Gamzou in Bremen und vor allen Dingen die Besetzung in dieser stark gestrichenen Aufführung: Nadine Lehner als Feldmarschallin, Patrick Zielke als Ochs und Nathalie Mittelbach als Octavian. +++ Lesenswert dass Interview, das VAN mit dem Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins,Ulrich Khuon, über Machtgefüge und sexuelle Übergriffe an deutschen Bühnen geführt hat. Sein Verhaltenscodex ist simpel: „Eigentlich sind die Grenzen ganz einfach dadurch abgesteckt, dass die oder der andere ›ja‹ oder ›nein‹ sagt. Wenn sie oder er ›nein‹ sagt, ist das zu respektieren, fertig.“ +++ „Machtfrei“ ist auch das Motto des Staatstheaters Augsburg. Dessen Intendant André Bücker sagt der Augsburger Allgemeinen: „Die Zeit der Theaterfürsten ist vorbei.“ +++ Wenn Sie diese Woche in die Pariser Oper gehen wollen – dann haben Sie Pech: Im Zuge des französischen Rentenstreiks fällt die Traviata am 24. September aus.
PERSONALIEN DER WOCHE
Klarheit für Wien und Mailand: zwischen 1. März und 30. Juni wird Dominique Meyer sowohl die Staatsoper in Wien, als auch die Scala in Mailand leiten. Letztere wird er dann an Bogdan Roščić übergeben. Sein Vorgänger an der Scala, Alexander Pereira, ist bereits fix in Florenz bestätigt. +++ Die Geigerin Anne-Sophie Mutter wird mit dem „Nobelpreis“ für Musik ausgezeichnet, dem japanischen Praemium Imperiale, der mit 126.000 Euro dotiert ist. +++ Nun gibt es auch Proteste gegen Plácido Domingo an der MET: Mitglieder des Chores sollen sich beschwert haben, dass der Sänger in Verdis Macbeth an ihrem Haus auftreten soll. +++ Wir hatten an dieser Stelle bereits über den anstehenden Verkauf des Landsitzes von Hans Werner Henze berichtet – nur durch das Engagement des Bundes könnte die Villa in eine Stiftung umgewandelt werden. Ein Thema, dem sich nun auch der WDR widmet. +++ Noch einmal zur Opernwelt-Umfrage: „Da ist eine neugierige, motivierende, zugleich rigoros auf Qualität bestehende Künstlerin am Werk, die besessen am Klang zu feilen pflegt und doch, wenn es darauf ankommt, loslassen kann“, erklärte die Jury den Preis für Joana Mallwitz als Dirigentin des Jahres. +++ Die Pianistin Dina Ugorskaja hat am 17. September ihren Kampf gegen den Krebs verloren – der BR ruft ihr rührend nach.
WAS LOHNT
Marlis Petersen hat früher in einer Coverband in Bierzelten Whitney-Houston-Songs gesungen. Und das sagt viel über sie aus: Bodenständig mit unglaublicher Röhre – und dennoch irgendwie: sphärisch! Dieses Spieljahr ist Petersen, eine leidenschaftliche Schwäbin, die in Wien und Griechenland wohnt, Artist in Residence bei den Berliner Philharmonikern – was bereits in Kirill Petrenkos Auftakt-Neunter eindrücklich zu vernehmen war. Und mit Dimensionen hat die Vorzeige-Lulu ein dreiteiliges CD-Projekt vorgelegt, das nach den Alben Welt und Anderswelt mit dem Album Innenwelt beschlossen wird. Stücke von Franz Liszt, Richard Strauss und Johannes Brahms stehen auf dem Programm – und zwar vollkommen ohne Kitsch! Aber auch Trouvaillen von Hans Sommer, Karl Weigl und Gabriel Fauré, die Pianist Stephan Matthias Lademann strömen lässt. Petersen gelingt es, nicht nur in ihrer Titelauswahl, Räume des Jenseits zu beschreiben, sie kann sie auch innerhalb ihrer Stimme öffnen: irgendwo in den inneren Spannungsfeldern ihrer Bögen, die sich in unendlichen Farbspektren auffächern. Esoterisch? Vielleicht ein bisschen. Aber man kann dem ganzen Projekt auch vollkommen rational begegnen – und wird dennoch weggebeamt.
In diesem Sinne, halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann
brueggemann@crescendo.de