Alexander von Zemlinsky
Ergreifend
von Ruth Renée Reif
23. Juni 2020
Widersprüchlichkeit der Gefühle! Tobias Kratzer inszenierte die Oper „Der Zwerg" von Alexander von Zemlinsky an der Deutschen Oper Berlin als Liebes- und Künstlertragödie.
Seiner Inszenierung setzte Tobias Kratzer einen Prolog voran. Darin stellte er einen biografischen Bezug her zwischen dem Opernstoff und Zemlinskys eigener Kleinwüchsigkeit sowie seiner unglücklich endenden Liebesbeziehung zu Alma Schindler.
Zu Beginn des Jahres 1900 verliebte sich Alma Schindler in Zemlinsky. „Fast den ganzen Abend mit Alexander von Zemlinsky dem 28jährigen Componisten von Es war einmal. Er ist furchtbar hässlich, hat fast kein Kinn – und doch gefiel er mir ausnehmend“, notierte sie in ihrem Tagebuch. Es war von Beginn an eine schwierige Beziehung.
Zemlinsky, der verlobt war, kämpfte gegen seine Liebe an, und Alma Schindler fühlte sich hin- und hergerissen zwischen glühendem Begehren und Abstoßung. „Er ist ein lieber Kerl und gefällt mir unendlich. – Hässlich ist er bis zum Wahnsinn!“, schrieb sie und erkannte doch seinen Geist: „… die Intelligenz leuchtet ihm aus den Augen – und ein solcher Mensch ist nie hässlich.“ Und sie verzehrt sich vor Sehnsucht nach ihm: „Ich sehne mich namenlos nach ihm… habe nur einen Gedanken: ihn – mich gebend – glücklich zu machen.“
Sie träumt von einem Kind mit ihm und kann sich dann wieder nicht einmal vorstellen, ihn zu heiraten: „Und ich dachte mir – wenn ich mit Z dort am Altar stehen würde – wie lächerlich das doch sein würde… Er so hässlich – so klein, ich so schön – so groß.“ Und selbstironisch fügt sie an: „Ich halb an Geist – er halb an Körper.“
Kratzer unterlegte den von den Pianisten Adelle Eslinger-Runnicles und Evgeny Nikiforov pantomimisch dargestellten Prolog mit Orchestermusik von Arnold Schönberg. Zemlinsky unterrichtete den um drei Jahre jüngeren Schönberg in Wien im Kontrapunkt. Die 1930 von Schönberg für einen nie gedrehten Film komponierte Belgleitmusik zu einer Lichtspielscene verleiht der Szene die musikalische Dramatik.
Die Widersprüchlichkeit der Gefühle, wie Alma Schindler sie für Zemlinsky empfand, durchzieht auch das Operngeschehen. Kratzer betonte diese Ambivalenz, indem er die Rolle doppelt besetzte. Der Tenor David Butt Philip und der kleinwüchsige Schauspieler Mick Morris Mehnert standen gemeinsam auf der Bühne. Unterstrichen wurde damit auch der Widerspruch zwischen Selbstwahrnehmung und Außenwahrnehmung, die schließlich im tragischen Ende des Werks gipfelt.
Die Handlung der Oper, die auf einer Novelle von Oscar Wilde basiert, spielt am spanischen Königshof. Die Zofen bereiten die Geburtstagsfeier der Infantin vor. Der Sultan schickt einen Zwerg als Geschenk, der den Zofen übergeben wird. Diese sollen darauf achten, alle Spiegel zu verhüllen. Denn der Zwerg weiß nichts von seiner Hässlichkeit. Er fühlt sich als Ritter. Beim Anblick der Infantin verliebt er sich in sie. Und er denkt, seine Liebe werde erwidert. Das höfische Spiel, in dem er für einen Narren gehalten wird und seine Liebe als Scherz aufgefasst wird, durchschaut er nicht.
Kratzer lässt die Oper in einem Konzertsaal spielen und verweist damit auf den Aspekt der Künstlertragödie. Der Zwerg betritt geradezu verzaubert den Saal und ist beglückt, dirigieren zu dürfen. Das Gelächter, mit denen die Hofgesellschaft sein Dirigat begleitet, trifft somit auch den Künstler. Und der Künstler vermag es – für kurze Zeit – sogar, sein Aussehen vergessen zu lassen. Ergreifend singt David Butt Philip das Lied von der blutenden Orange. Großartig sind auch die Sopranistinnen Elena Tsallagova als Infantin und Emily Magee als Zofe Ghita, die die Ambivalenz der Gefühle gegenüber dem Zwerg immer wieder verdeutlichen. Musikalisch geleitet wird die Aufführung von Donald Runnicles.
Die Aufnahme unter der Leitung von Götz Filenius ist eine Produktion von Naxos. Das Unternehmen arbeitet seit Jahren mit der Deutschen Oper Berlin und einigen weiteren europäischen Opernhäusern zusammen, um außergewöhnliche und herausragende Operninszenierungen auf DVD und Blu-ray Disc festzuhalten. Beigegeben ist ein Booklet mit einer Zusammenfassung des Inhalts und einem ausführlichen Interview, in dem Tobias Kratzer sein Regiekonzept erläutert.